Klum schweigt noch zum Trainer Teilnahmsloser Tuchel wird zum Teil des Bayern-Problems
21.05.2023, 12:02 Uhr
Tuchel sendete von der Seitenlinie fatale Signale.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Fußball ist eine gigantische Unterhaltungsmaschine. Er ist immer dann besonders gut, wenn etwas zerbricht. So wie der FC Bayern im Jahr 2023. Auch der neue Trainer Thomas Tuchel kann den Fall des Rekordmeisters nicht stoppen. Er ist längst Teil des Problems.
Heidi Klum hatte kein Foto für Hasan Salihamidžić, Uli Hoeneß wollte nicht mehr hinschauen, Oliver Kahn sackte auf seinem Sitz zusammen. Die Fans flüchteten. Vor der Südkurve standen die Bayern-Spieler mit leerem Blick, Thomas Müller winkte noch einmal auf die spärlich besetzten Ränge und Thomas Tuchel wütete vor den TV-Kameras. Der Ausklang des 1:3 des FC Bayern gegen RB Leipzig glich in der Allianz Arena einem Endzeitszenario.
Die große Zeit der Bayern ging für mindestens 24 Stunden zu Ende. Der Meistertitel war zumindest bis zum Sonntagabend verspielt und der Vulkan brach wieder aus. In den vergangenen Wochen hatten die Bayern ihn unter Kontrolle halten können. Mühsam hatten sie die Lavamassen der Eruption nach der Entlassung von Trainer Julian Nagelsmann in ungefährliche Bahnen lenken können. Doch jetzt fanden sie ihren Weg und rissen alles mit sich. Das Fachblatt "Kicker" schrieb von einem Abend "mit apokalyptischen Ausmaßen" und zerlegte den Verein.
Unrecht hatte der "Kicker" damit nicht. Über die vergangenen Jahre hatte sich der FC Bayern München konstant verschlechtert. Unter dem Druck der neureichen Klubs aus England und Frankreich hatten sie den Führungswechsel auf höchster Ebene nicht verkraftet. Die alten Schlachtrosse Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge traten ab, die Neulinge Hasan Salihamidžić und Oliver Kahn wurden die Gesichter. Präsident Herbert Hainer blieb blass. Große Spieler gingen, ehemalige Weltstars kamen. Der im vergangenen Sommer als einer der größten Transfers der Vereinsgeschichte umjubelte Sadio Mané ist ein kolossales, extrem teures Missverständnis.
Tuchel kam, um das Werk zu vollenden
Die Bayern-Krise hat viele Schuldige. Deswegen suchten sie nach dem Spiel nach Erklärungen für das Unerklärliche. Oliver Kahn fand keine, Thomas Tuchel auch nicht und Hasan Salihamidžić stellte sich hinter seine Mannschaft. Was blieb ihm auch anders übrig. Denn der FC Bayern ist seine Mannschaft und Tuchel ist sein Trainer. Der Sportvorstand hat seinen Klub mit seiner Transferpolitik der vergangenen Jahre in diese Lage manövriert.
Gemeinsam mit Oliver Kahn, dem Vorstandsvorsitzenden, begaben sie sich auf eine lange Talfahrt, kaschiert nur durch den Pandemietitel in der Champions League. In den vergangenen sechs Monaten ging es Schlag auf Schlag. Als Manuel Neuer sich im Urlaub verletzte, kauften sie Yann Sommer und warfen den Neuer-Vertrauten Toni Tapalovic raus. Wenig später flog Julian Nagelsmann, der sich von Maulwürfen umzingelt sah. Der, so hieß es, die Kabine nicht einmal verloren hatte. Weil er sie nie erreichen konnte.
Es war an Tuchel, das Werk der letzten Jahre gewissermaßen zu vollenden. Der ehemalige Trainer des FC Chelsea wirkt in seinen bisherigen zwei Monaten an der Säbener Straße seltsam teilnahmslos, will mit seinem Team kaum etwas zu tun haben. War er in den ersten Tagen nach Niederlagen noch "schockverliebt" in seine Mannschaft, hielt er schon während der Niederlage nicht mehr mit seiner Meinung hinterm Berg.
Tuchel schritt gegen Leipzig hektisch durch seine Coaching-Zone, faltete einzelne Spieler immer wieder zusammen und drehte sich verächtlich um. Er sendete fatale Signale, indem er sich mit dem, was auf dem Rasen passierte, nicht gemein machen wollte. Die Spieler des FC Bayern, einst das Sinnbild für Mentalität, wurden zu Nervenwracks. Sie schenkten drei Tore her, waren fahrig, ließen sich von nicht einmal überragenden Leipzigern immer tiefer drängen.
Julian Nagelsmann ist fein raus
Das, was den FC Bayern über ein Jahrzehnt ausgezeichnet hatte, war einfach verschwunden. Es war vielleicht schon nicht mehr ganz da, als Nagelsmann nach einer Kurzschlussreaktion Ende März gehen musste. Doch es ist erst unter Tuchel komplett unter den Lavamassen verschüttgegangen. Der warf in den Interviews nach dem Spiel seine Mannschaft unter den Bus. Stellte sich nicht vor sie, sondern rätselte, wie sie dermaßen zusammenbrechen konnte. Bei ESPN stürmte er auf die Frage, ob er denn etwas Positives gesehen habe, aus dem Interview. Das war auch eine Antwort. Aber immer noch keine Erklärung für das Debakel.
Das aber ist die Aufgabe eines Trainers. Tuchel findet bislang keine Lösungen. Er gibt offen zu, dass ihn die Mannschaft nach einer intensiven Trainingswoche enttäuscht hat. Die Fehler sucht er noch nicht bei sich. Nur einmal deutete er so etwas wie Eigenverschulden an. Im ZDF sprach er davon, die sportliche Verantwortung für eine womöglich titellose Saison zu übernehmen. Denn er könnte am Ende der sein, mit dessen Namen das Ende eines historischen Laufs in Verbindung gebracht wird. Julian Nagelsmann ist fein raus. Dass historische Läufe irgendwann enden, ist im Übrigen keine Neuigkeit.
Die gute Nachricht: Heidi Klum schweigt noch
Doch die Sollbruchstellen faszinieren im Sport immer wieder. Der Aufstieg begeistert, der Zerfall reißt mit. Er ist, anders als im echten Leben, an keine wirklichen Schicksale gebunden. Er findet direkt vor unseren Augen in einem gewaltigen Paralleluniversum statt und bildet doch das echte Leben ab. Die Protagonisten der Erzählung sind in jedem Haushalt präsent. Sie haben Spitznamen, Pferde und Probleme in ihrem Liebesleben. Der Fußball ist eine der größten Erzählungen der Welt. Doch der Bundesliga-Strang war in den vergangenen Jahren zunehmend verflacht. Es ist den Bayern zu verdanken, dass sich dies nun ändert.
Denn die Probleme der Münchener Führungsetage sind gewaltig. Die muss nun einen kolossalen Umbruch moderieren und weiß nicht einmal selbst, ob sie im kommenden Monat noch da sein wird. Über das Schicksal des Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn entscheidet eine Aufsichtsratssitzung Ende Mai. Salihamidžić ist aktuell geschützt von der ihm freundlich gesinnten Münchener Presse. Auch über Tuchel wird momentan nicht geredet. Das dürfte sich schon bald ändern. Er ist längst ein gewaltiger Teil des Bayern-Problems. Noch schweigt Heidi Klum.
Quelle: ntv.de