Aber DFB-Spieler wird er nicht Thomas Müller, der beste Nothelfer der Welt
15.08.2020, 09:08 Uhr
Na, alle gesehen, was der Müller noch so kann?
(Foto: dpa)
In der Nationalmannschaft ist Thomas Müller nicht mehr willkommen. Unter Ex-Coach Niko Kovac war er beim FC Bayern nur noch der Mann für den Notfall. Wie wichtig der 30-Jährige aber noch immer ist, zeigt er gegen Barcelona. Joachim Löw wird das indes kaum jucken.
Wenn sich Thomas Müller noch einmal bewusst vorgenommen hatte, der Welt zu zeigen, warum er auf seine so spezielle Art und Weise absolut unverzichtbar ist, dann waren Zeit (Freitagabend) und Ort (das Estádio da Luz) gut gewählt. Herausragend gut sogar. Freitagabend im Estádio da Luz, da war Champions League. Das Viertelfinale seines FC Bayern im Knockout-Wettbewerb gegen den großen FC Barcelona. Die Mannschaft um Lionel Messi, um Marc-André ter Stegen und so viele andere, die einfach fantastisch sind, wenn es ums Fußballspielen geht. So erzählt es die Legende des Klubs.
Es ist indes eine Legende, die in den vergangenen Jahren immer häufiger ein paar Schrammen kassiert hat. National weniger schmerzvoll als international. Es ist eine Legende, die an diesem Freitagabend brutal gedemütigt wurde. Es ist eine Demütigung, die weit heftiger wirkt, als der desaströse Abgang aus der Königsklasse in der vergangenen Saison, als sich die Mannschaft beim FC Liverpool von einer Genie-Ecke peinlich übertölpeln ließ. Was die Mannschaft nun in Lissabon erlebte, wird bereits als "historische Lächerlichkeit" von den heimischen Medien verspottet. Als "Weltrekord für Jämmerlichkeit".
Barcelona: ter Stegen - Nelson Semedo, Pique, Lenglet, Jordi Alba - Busquets (70. Fati) - Roberto (46. Griezmann), de Jong - Messi, Suarez, Vidal. - Trainer: Setien
München: Neuer - Kimmich, Jerome Boateng (76. Süle), Alaba, Davies (84. Hernandez) - Thiago, Goretzka (84. Tolisso) - Thomas Müller - Gnabry (75. Coutinho), Lewandowski, Perisic (67. Coman). - Trainer: Flick
Schiedsrichter: Damir Skomina (Slowenien)
Tore: 0:1 Thomas Müller (4.), 1:1 Alaba (7., Eigentor), 1:2 Perisic (21.), 1:3 Gnabry (27.), 1:4 Thomas Müller (31.), 2:4 Suarez (57.), 2:5 Kimmich (63.), 2:6 Lewandowski (82.), 2:7 Coutinho (85.), 2:8 Coutinho (89.)
Zuschauer: keine (in Lissabon)
Gelbe Karten: Suarez, Jordi Alba, Vidal - Jerome Boateng, Davies, Alaba, Kimmich
Die katalanische Schande, sie wurde herbeigeführt vom unerbittlichen FC Bayern. Angeführt vom unersättlichen und immer gierigen Thomas Müller, der mit seinem 113. Spiel in der Königsklasse auch noch den Rekord von Philipp Lahm übertraf. Müller, der Mann, der so einmalig ist, der Fußball auf eine, auf seine ganz besondere Weise interpretiert, traf nicht nur doppelt und bereitete ein Tor von Philippe Coutinho vor. Er ordnete und organisierte. Vor allem das nahezu perfekte und unfassbar erdrückende Pressing der Münchner. Das so ball- und passsichere Ensemble des FC Barcelona, es war heillos überfordert. Selbst Torwart ter Stegen, dem man bescheinigt mit Ball am Fuß immer eine gute Lösung zu finden, sorgte mit seinen Zuspielen oft für Stress im eigenen Team. Immer wieder attackiert von den kraftvollen Münchnern. Immer auf Kommando von Müller.
Vom Nothelfer zum Wichtigestuer
Thomas Müller hat die wohl spektakulärste Geschichte eines deutschen Fußballers der vergangenen Jahre zu erzählen. Als einer der "Sündenböcke" des höchst peinlichen WM-Debakels von Russland im Sommer 2018 wurde er von Bundestrainer Joachim Löw überraschend aus der Nationalmannschaft verbannt. Und beim FC Bayern, wo Niko Kovac Trainer war, war er nach einer zermürbenden Zeit plötzlich nicht mehr als ein Nothelfer. Eine demütigende Degradierung (Kovac räumte die Aussage wenig später als Fehler ein, auf Müller setzte er allerdings weiterhin nicht) als Zuspitzung des gegenseitigen Fremdelns. Dass Müller für den Rekordmeister noch einmal sehr wichtig werden würde, es galt fast als ausgeschlossen.
Doch dann ging Kovac, dann kam Flick. Dann verwandelte sich der FC Bayern von einer völlig verunsicherten Mannschaft mehr und mehr wieder zu einer Dominanz-Maschine. Mit Müller in tragender Rolle. In seiner stärksten Rolle. Als Mann, dessen Art des Spiels vom Gegner nie und nicht zu greifen ist. Als Mann hinter Robert Lewandowski, als Mann zwischen Serge Gnabry und Kingsley Coman (oder Ivan Perišić). Als Mann vor Leon Goretzka (oder Thiago) und Joshua Kimmich. Als das freie Radikal zwischen all den Linien, gefährlich als Vorbereiter und Vollstrecker (12 Tore, 25 Vorlagen in 47 Spielen). Als Wichtigestuer. Und Richtigestuer. Wie nun auch vor dem 1:0 gegen den FC Barcelona. Als der Ball bei ihm landete, er den Schuss erst verweigerte, den Doppelpass mit Robert Lewandowski vorzog und dann eben souverän traf. Eine kleine Genialität.
Momente, wie sie Müller schafft. Momente, die die ewige Diskussion nach einer mal wieder sehr guten Saison weiter befeuern, dass er doch wieder für Deutschland spielen sollte. Dass der Bundestrainer seine Bockigkeit endlich aufgibt. Doch dazu wird es nicht kommen, ganz egal was für Momente der 30-Jährige beim Knockout-Wettbewerb in Lissabon noch schaffen mag. Der Weg der Verjüngung, der Veränderung, er gilt für Löw als unumstößlich. Dass haben er und seine wichtigsten Mitarbeiter beim DFB immer wieder beteuert. Die junge, hochtalentierte Generation soll den gleichen Weg gehen, wie einst Müller und die Kollegen seiner "Generation". Sie sollen sich entwickeln - und Titel gewinnen. Leistungen wie eben jene von diesem Freitagabend, sie werden den obersten Übungsleiter des Landes womöglich beeindrucken. Nur jucken, das werden sie ihn nicht. Auch wenn er nun weiß, dass Müller noch immer Weltklasse ist.
Quelle: ntv.de