Neuer Minusrekord droht Was läuft falsch bei den Bundesliga-Stürmern?
13.05.2023, 07:11 Uhr
Ohne Haaland und Lewandowski fehlt der Bundesliga ein Stümer der Weltklasse.
(Foto: IMAGO/Jan Huebner)
Die Bundesliga könnte in diesem Jahr einen neuen Negativrekord erleben. Denn der beste Torjäger, Niclas Füllkrug, hat bislang lediglich 16 Treffer erzielt - so wenige gab es vom Torbesten noch nie. Aber eine Torflaute erlebt die Bundesliga trotzdem nicht.
Die glamourösesten Spieler einer Liga sind für gewöhnlich die Stürmer. Folgen wir dieser Hypothese, so fehlt es der Bundesliga momentan an Glamour. Denn nach dem Weggang von Robert Lewandowski zum FC Barcelona und Erling Haaland zu Manchester City konnte keiner diese beiden spektakulären Torjäger ersetzen.
Nach 31 Spieltagen führt Niclas Füllkrug mit 16 Treffern die Torschützenliste an. Damit liegt er aktuell ein Tor hinter dem bisherigen Negativwert - aufgestellt von Fredi Bobic in der Saison 1994/95 sowie sieben Jahre zuvor von Thomas Allofs und Roland Wohlfarth. Füllkrug laboriert seit Mitte April an der Wade und es ist fraglich, ob er überhaupt nochmal für seinen Klub Werder Bremen entscheidend eingreifen kann.
Hinter Füllkrug rangieren der Flügelstürmer Vincenzo Grifo, der momentan formschwache Christopher Nkunku sowie Randal Kolo Muani und Marcus Thuram, alle mit jeweils 13 Toren. Aus der Masse sticht keiner wirklich heraus. Gewiss hat Kolo Muani einen teils unorthodoxen, teils spektakulären Spielstil, während Nkunku zu den größten Juwelen des ohnehin reichhaltig bestückten französischen Fußballs zählt. Aber auch bei ihnen bleibt Luft nach oben in dieser Saison.
Dass die Torjägerkanone diese Saison mit "so wenig Toren weggeht", überrasche Rekordhalter Bobic nicht. "Mit Erling Haaland und Robert Lewandowski hat die Bundesliga zwei absolute Top-Angreifer verloren, die einem Klub locker 30 Tore garantieren", sagte Bobic: "Und es wurde kein adäquater Ersatz geholt. Die Bundesliga hat keinen Weltklasse-Stürmer mehr, das muss man so klar sagen."
Zugleich ist die laufende Saison aber, was den Toreschnitt pro Partie betrifft, im Mittelfeld aller Spielzeiten der Bundesliga. Konkret beträgt der Toreschnitt momentan 3,1183, was gleichbedeutend ist mit Rang 25 von 60. Es herrscht also keine allgemeine Torflaute, die Treffer verteilen sich auf mehr Torekonten.
Woran liegt das?
Antwort 1: Stürmer werden immer öfter als Arbeitstiere eingesetzt
Einige Trainer nutzen ihre Mittelstürmer in erster Linie nicht als Torjäger, sondern als Wandspieler und Lückenreißer. Ein gutes Beispiel ist momentan Borussia Dortmund mit Sébastien Haller. Eingekauft wurde der Ivorer als Torjäger, aber nach seiner Hodenkrebserkrankung benötigt er noch Zeit, um im Strafraum den "Punch" von einst zu besitzen. Trotzdem sind viele Mitspieler froh darüber, dass Haller in der Sturmspitze präsent ist, denn er verleiht als Wandspieler und Mann für Ablagen dem ganzen Spiel des BVB mehr Struktur. Davon profitieren die Hintermänner: Julian Brandt und Donyell Malen mit acht Toren, Jude Bellingham und Youssoufa Moukoko mit sieben, Karim Adeyemi mit sechs.
Ähnlich wie im Fall Haller verhält es sich bei Eric Maxim Choupo-Moting im Team von Bayern München oder Michael Gregoritsch beim SC Freiburg. Auch bei diesen beiden Spielern sind durch ihre Ballablagen oder Kopfballverlängerungen im Mittelfeld fast wichtiger als die Trefferquote. Beide stehen momentan bei zehn Toren in der laufenden Saison.
Antwort 2: Die absoluten Top-Torjäger fehlen
Ganz abgesehen davon, dass weder Bayern noch Dortmund den Abgang ihres jeweiligen Top-Stürmers im vergangenen Sommer kompensieren konnten, waren andere potenzielle Top-Angreifer wegen diverser Gründe zeitweilig abstinent. Prominentester Fall ist sicherlich Patrik Schick von Bayer Leverkusen. Der Tscheche konnte bislang nicht einmal 1.000 Spielminuten in dieser Saison absolvieren und fällt seit November bis auf eine kurze Unterbrechung mit Adduktorenbeschwerden aus.
Deshalb musste Bayer-Trainer Xabi Alonso auf ein stürmerloses 3-4-3 umstellen. Folglich verteilen sich die Tore auf die Offensivakteure. Die rechte Seite mit Moussa Diaby und Jeremie Frimpong hat dabei schon 17 Treffer verbuchen können. Adam Hlozek und Amine Adli, die jeweils als "Falsche Neun" fungieren, kommen auf fünf beziehungsweise vier.
"Wir sollten in Deutschland mal wieder echte Neuner ausbilden - und nicht nur falsche Neuner. Diese Entwicklung, dass in den vergangenen Jahren nicht mehr auf echte Mittelstürmer gesetzt wurde, macht sich jetzt bemerkbar", sagt Bobic. Allerdings gibt es in der Bundesliga sowie in den Ligen darunter eigentlich jede Menge physische Mittelstürmer, nur erfolgreiche Torjäger sind nicht alle von ihnen. Ausnahmen wie Füllkrug in der Bundesliga oder Tim Kleindienst in der 2. Bundesliga lassen wohl einige Sturmkollegen in einem schlechten Licht stehen.
Neben Leverkusen müssen einige Bundesligisten zuweilen ohne klaren Torjäger auskommen. Beim VfL Wolfsburg etwa sind weder Jonas Wind noch Omar Marmoush in diese Rolle hineingewachsen. Lukas Nmecha erlitt unterdessen zwei Verletzungen, die ihn außer Gefecht setzten.
Antwort 3: Verteidigungsreihen machen Fehler im Stellungsspiel
Besonders in der letzten Saisonphase ist auffällig, wie Bundesliga-Teams teilweise mit simplen Pässen, aber vor allem mit Flanken von der Seite oder aus dem Halbfeld zum Erfolg kommen. In den Abwehrzentralen mangelt es immer wieder am Stellungsspiel oder aber anlaufende Gegner können gut Separation zwischen sich und den Verteidigern herstellen. Die Flanken landen eben nicht alle beim Mittelstürmer, sondern auch andere Offensivkräfte können Abnehmer sein. Denn durch den Abstand zum Verteidiger braucht es keine nennenswerte Stärke im Luftzweikampf.
Allein am 31. Spieltag gab es einige Beispiele für schwaches Stellungsspiel - so gesehen beim 1:0-Treffer von Davie Selke für Köln in Leverkusen oder auch beim Ausgleichstreffer von Serhou Guirassy für den VfB Stuttgart bei Hertha BSC. Als im Vorlauf ein langer Verlagerungsball in Richtung von Josha Vagnoman geschlagen wird, orientiert sich sein direkter Mitspieler Marco Richter jedoch für einen Moment in Richtung Elfmeterpunkt und damit weg von Vagnoman. Dieser konnte recht leicht den Ball in die Mitte legen und so das 1:1 vorbereiten.
Derartige Szenen gab es zuletzt reihenweise. Eine Torflaute erlebt die Bundesliga aktuell nicht, aber sie hat keinen Robert Lewandowski oder Erling Haaland mehr.
Quelle: ntv.de