Fußball

Dem Raumdeuter fehlt der Platz Bayerns Stürmer-Not wird Thomas Müller zum Verhängnis

Thomas Müller auf der Bank. Ein Bild, das zunehmend zum Alltag wird.

Thomas Müller auf der Bank. Ein Bild, das zunehmend zum Alltag wird.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Ein FC Bayern ohne Thomas Müller ist kaum vorstellbar. Dennoch gibt es Gerüchte um dessen Abschied nach 23 Jahren im Verein. Der 33-Jährige ist nicht mehr Stammspieler, an Toren selten beteiligt. Dass der Raumdeuter aktuell nicht glänzt, liegt aber längst nicht nur an Müller selbst.

Thomas Müller spielt wenig, sitzt häufig auf der Bank des FC Bayern, und über seinen Abschied wird spekuliert. Dieser Satz galt schon 2019 - und er stimmt jetzt wieder. Thomas Müller holt die Vergangenheit ein. Vier Jahre älter ist der dienstälteste Bayern-Profi inzwischen geworden, die Gerüchte aber wiederholen sich. Mit 33 Jahren wird mal wieder über seinen Abschied spekuliert.

Die Voraussetzungen aber könnten unterschiedlicher nicht sein. 2019 hieß der Bayern-Trainer Niko Kovac, und der hatte wenig Interesse an Müller. "Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen!", hatte er im Oktober 2019 gesagt. Müller als "Notnagel" - eine verbale Degradierung, die einer schallenden Ohrfeige glich. Nun ist Thomas Tuchel in München verantwortlich - und der geht kommunikativ auf Kuschelkurs. "Ich liebe Thomas Müller", hatte der Coach am vergangenen Samstag nach dem Spiel bei Werder Bremen (1:2) bei Sky gesagt.

Allerdings hilft Müller all die "Liebe" wenig, denn spielen darf er trotzdem selten. Sogar noch weniger als unter Kovac. Von neun Spielen in der Amtszeit Tuchels stand er in fünf Partien in der Startelf, in vier musste er auf der Bank Platz nehmen. Nur zwei Partien absolvierte er über die vollen 90 Minuten. Gerade einmal 53,8 Minuten steht er unter dem neuen Trainer auf dem Platz, bei Kovac waren es immerhin noch 66,26 Minuten. Gerade einmal sechs Tore und sieben Assists stehen für ihn in der Bundesliga zu Buche, seit fünf Spielen ist er ohne Torbeteiligung. Statistiken, die aufzeigen, wie schlecht es um den Offensivmann derzeit steht. Nur einmal in seiner Karriere - in der Saison 2015/16 - legte er in der Bundesliga nicht Tore im zweistelligen Bereich auf, stattdessen schoss er aber selbst 20 Tore.

Seit 23 Jahren beim FC Bayern

2019 sprach Müller öffentlich über seine Abschiedsgedanken: "Wenn das Trainerteam mich in Zukunft nur noch in der Rolle des Ersatzspielers sieht, muss ich mir meine Gedanken machen. Dafür bin ich einfach zu ehrgeizig." Es kam anders, nicht Müller musste gehen, sondern Kovac. Unter dessen Nachfolger Hansi Flick blühte der Ur-Bayer, der sein Profidebüt 2008 gab, wieder auf. Rückblickend sagte er im Februar 2022 gegenüber der "Sport Bild": Ein Transfer wäre "ein schmerzhafter, aber eben auch notwendiger Schritt gewesen."

Diesmal bleibt der Mann, der seit 23 Jahren im Verein ist, ruhig. Ein Abschied wäre für den Klub schon rein marketingtechnisch dramatisch, niemand verkörpert den FC Bayern so wie Thomas Müller mit seinen launigen Interviews. Doch natürlich spekulieren andere. Die "Sport Bild" schreibt von Möglichkeiten innerhalb der Bundesliga, aber auch Transfers in die USA oder nach Saudi-Arabien seien möglich. Und das kommentiert Müller dann doch, wenn auch subtil. Bei Instagram lädt er ein Foto von sich und einem seiner Pferde hoch. Dazu schreibt er: "Wenn du Zeitung lesen könntest, King D'avie ..." und postet dazu auch die Hashtags "jetztwirdsdannlangsamwild und #nurderfcb.

Damit stimmt er seinem Bayern-Boss Oliver Kahn zu, der den Gerüchten nur wenig abgewinnen kann: "Das wird nicht passieren", sagte er dem Magazin über einen möglichen Abschied Müllers. "Wenn dieser Fall mal eintreten sollte, würde ich ihm das mit aller Deutlichkeit ausreden. Thomas ist fit, nie verletzt und unheimlich charakterstark. Er ist für das ganze Gebilde unheimlich wichtig. Ich bin mir sicher: Thomas wird noch sehr viele Spiele für uns machen."

Das Problem des "Thomas-Müller-Spiels"

Dafür allerdings ist Tuchel verantwortlich. Und der sah bekanntlich zuletzt mehrfach "kein Thomas-Müller-Spiel". Das war seine Begründung, warum er den 33-Jährigen im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Manchester City auf der Bank sitzen ließ. Ein Anblick, der sich wiederholt, zuletzt auch gegen Bremen, als Müller erst in der 62. Minute eingewechselt wurde.

Die Kritik an Müllers Bankdrücker-Zeit war groß und ist es noch immer. Lothar Matthäus hatte dies in seiner Rolle als Sky-Experte angeprangert, was Tuchel verärgerte. "Das sind zwei Spiele, die er mal von der Bank kommt, und ihr Kollege fragt mich, ob ich das Karriereende einleite. Da sind wir vielleicht auch im Maßhalten am Ziel vorbei." Wie Müller die Entscheidungen hinnehme, "ist es natürlich sensationell", sagte der Trainer. "Ich weiß, dass er eine besondere Rolle einnimmt, und die bekommt er auch von mir. Das wird sich auch nicht immer nur an Spielminuten messen lassen."

Nun dürfte es allerdings ausgerechnet Müllers besondere Rolle sein, die ihm aktuell so wenig Einsatzzeit beschert. Denn der Offensivmann ist bekanntlich einer, der sich in kein Gerüst pressen lässt. Seine Aktionen und Laufwege sind unberechenbar, auch nach 15 Jahren in der Bundesliga wirkt es so, als wisse er selbst bis zum Schuss nicht, was er mit dem Ball anfangen will. 2011 hatte er auf die Frage der "Süddeutschen Zeitung", welcher Spielertyp er denn sei, geantwortet: "Hm. Tja, was bin ich? Raumdeuter? Ja, ich bin ein Raumdeuter." Ein Begriff, der untrennbar mit seiner Person verbunden ist. Einer, der sogar Einzug in Fußball-Managerspiele gefunden hat.

Der Raumdeuter hat keinen Raum mehr

Allerdings braucht Müller dafür Mitspieler, die ihn das machen lassen, was er so gut kann. So einer war Robert Lewandowski. Der Stürmer hatte die Mitspieler an sich gebunden, ihre Aufmerksamkeit beansprucht. So boten sich für Müller mehr Räume. Doch Lewandowski hat den FC Bayern verlassen, und seitdem auch noch Eric Maxim Choupo-Moting verletzt ausfällt, haben die Münchner keinen echten Stoßstürmer mehr in ihren Reihen. Die Angriffswucht verteilt sich im Matchplan von Tuchel also auf mehrere Spieler, doch die können vom Gegner gemeinschaftlich im Bereich vor dem Strafraum besser verteidigt werden. Für Müller bleiben weniger Entfaltungsmöglichkeiten, seine überraschenden Aktionen werden gleich mit unterbunden. Seine Klasse als Raumdeuter wird geschmälert - er kann nicht mehr glänzen.

Matthäus sagte zudem über Müller: "Er braucht einen Trainer, der ein System spielen lässt, in das Müller passt, so wie es bei Flick der Fall war. Sowohl Niko Kovac als auch Pep Guardiola waren Trainer, die das nicht so gesehen haben. Wenn man in einem 4-2-3-1 spielt, mit einem klaren 6er, einem 8er und einem 10er, dann kann man zu dem Schluss kommen, dass Müller kein Spieler ist, der einer dieser Positionen eindeutig zugeschrieben werden kann." Ein Raumdeuter eben, der schon bei der WM 2010 die ausländischen Journalisten ratlos machte. Ein Redakteur des englischen "Guardian" hatte vom damaligen Bundestrainer Joachim Löw wissen wollen, was den WM-Debütanten im DFB-Team, der das Turnier als Torschützenkönig und bester Jungprofi beendete, ausmache. Denn Müller sei ja schließlich weder besonders schnell, noch extrem kopfballstark, kein Supertechniker, aber auch kein Dribbler. An guten Tagen macht Müller noch heute - 13 Jahre später - die Konkurrenz ratlos.

So etwa im Spiel gegen den BVB. Beim 4:2-Sieg spielte Müller als hängende Spitze, bekam viele Freiheiten - und traf prompt doppelt. Es waren seine bislang letzten Tore in dieser Saison. Nach 69 Minuten wurde er für Serge Gnabry ausgewechselt. Bis dahin hatte er brilliert und in der Gemeinschaft mit Leroy Sané die Dortmunder zur Verzweiflung gebracht. Er hatte nicht nur selbst getroffen, sondern auch weitere Torchancen herausgespielt, einzig Choupo-Moting konnte mehrfach nicht verwandeln, und auch Kingsley Coman scheiterte an BVB-Torhüter Gregor Kobel. Das Zusammenspiel mit Sané funktionierte herausragend, das war für Tuchel aber offenbar kein Grund, öfter auf die Kombination zu setzen. Auch Sané ist unter Tuchel kein Stammspieler.

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Und so werden diese glanzvollen Tage seltener für Müller. Ein Problem, das schon die ganze Saison über existiert, auch unter Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann bekam Müller zunehmend weniger Spielzeit. Tuchel aber verdeutlichte es mit seinem Begriff des "Thomas-Müller-Spiels". Dass der Raumdeuter für das Bayern-Spiel nicht mehr so gefragt ist, liegt also nicht nur an Müller selbst, sondern auch immer am System des Trainers und an seinen Mitspielern - oder eben dem entscheidenden, der fehlt. Dass der FC Bayern dringend einen Strafraumstürmer sucht, ist bekannt.

In dieser Saison aber dürfte sich für Müller nicht mehr viel an seiner Situation ändern. Auch Tuchel versucht, den Fokus weg von der Personalie zu lenken: "Es geht nur noch darum, dass wir es über die Ziellinie bringen", sagt er über den engen Meisterschaftskampf mit Borussia Dortmund. "Das Ego muss draußen bleiben." Thomas Müller weiß das. Und womöglich setzt er voll und ganz auf die kommende Saison. Im vergangenen Jahr hatte er betont, er denke "noch lange nicht ans Aufhören": "Ich will auf jeden Fall bis 2025 auf Top-Niveau Fußball spielen." Und das ganz offensichtlich beim FC Bayern.

Quelle: ntv.de

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