Fußball

Fürsorge, Fehler, unvergessen Was vom Jogi übrig blieb

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Bilder wie dieses, die Joachim Löw als Bundestrainer ermöglichte, werden für immer in den Köpfen der deutschen Fußballfans bleiben.

(Foto: imago images/ActionPictures)

Was bleibt, wenn jemand Abschied nimmt? Joachim Löw ist lange der erfolgreichste Bundestrainer Deutschlands, baut zum Ende seiner Laufbahn aber stark ab. Nach seinem Aus hinterlässt er eine Lücke. Aber nicht die eines Trainers, sondern eines Menschen mit Höhen und Tiefen.

Was bleibt? Woran erinnern Sie sich, wenn Sie auf die 15 Jahre Bundestrainer Joachim Löw zurückschauen? Natürlich, zunächst dürfte da der Weltmeister-Titel 2014 in den Sinn kommen. Den vierten Stern auf dem DFB-Trikot kann Löw niemand nehmen. Löw ist für immer einer der (bisher) an einer Hand abzählbaren deutschen Königstrainer. Doch blicken Fußballfans auf die letzten Jahre zurück, sprechen sie von der WM 2018, von verpatzten Quali-Spielen, vom frühen Aus bei der EM 2021, dann bleibt bei ihnen auch ein bitterer Geschmack im Mund zurück.

Joachim Löw weg, Angela Merkel weg. Vieles ist danach nicht wie zuvor. 17 Jahre beim DFB, Abschied als Bundestrainer im Sommer nach der verkorksten Europameisterschaft. Alles ist endlich, auch der ach so unverwüstliche Jogi. Aber auch wenn Löws Abgang eine Wegmarke in Fußball-Deutschland ist, so wirklich traurig reagiert niemand auf die verkündete Botschaft im Frühjahr. Das liegt wohl ebenfalls daran, dass sein Aus auch (vielleicht vor allem) eine Chance für die Nationalelf birgt und das Team diese mit Neu-Trainer Hansi Flick in den ersten sieben Partien mit sieben Siegen direkt nutzt.

Es liegt wohl auch an den miserablen Ergebnissen, die Löw in den vergangenen Jahren einfuhr. An seinem verpatzten Umbruch. Trotzdem, wenn einer geht, stellt sich die Frage: Was bleibt? Was hat Joachim Löw Sinnstiftendes hinterlassen? Bei all den Blamagen und negativen Schlagzeilen der jüngeren Vergangenheit, dürfen die Errungenschaften des ehemaligen Bundestrainers nicht vergessen werden. Besonders, weil der 61-Jährige den deutschen Fußball nachhaltig prägte.

Mehr als die großen Erfolge

Zusammen mit Jürgen Klinsmann schickt er bei der WM 2006 Deutschland ins kollektive Fußballfieber, wie das vorher niemand geschafft hat. Nach dem Sommermärchen tritt Löw aus Klinsmanns Schatten und übernimmt eine junge, hungrige Nationalmannschaft. Bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz lässt sich Philipp Lahm einmal abkochen und Fernando Torres verwehrt Löws den perfekten Start in sein Nationaltraineramt. Und dennoch: Innerhalb kurzer Zeit hat der Breisgauer einen Titelkandidaten gebastelt und führt die DFB-Elf auch langfristig zurück in die Weltspitze.

Bei der WM 2010 in Südafrika spielt die Löw-Elf vielleicht ihren schönsten Fußball - trotz oder gerade wegen des Verlusts des Capitanos Michael Ballack kurz vor dem Turnier. Power-Gegenstöße, ein junger und spritziger Mesut Özil, ein unverbrauchter Thomas Müller, ein treffsicherer Miroslav Klose: Besonders das 4:1 gegen England und das 4:0 gegen Argentinien im Achtel- und Viertelfinale bleiben unvergessen. Im Halbfinale ist die spanische Mannschaft, zu der der Bundestrainer stets aufschaut, in ihrer Entwicklung einfach schon oder noch, je nach Sichtweise, einen Schritt weiter. Hätte Löw in seiner Ära nicht gerade diese über Jahre dominanten Weltklasse-Spanier gegen sich gehabt, wer weiß…

Es sind nicht die großen Erfolge, die bleiben, wenn ein Ära-prägender Trainer geht. Sondern auch seine Wesenszüge. Mit Humor kann Löw nie wirklich überzeugen. Er ist Zeit seines Amtes weder der Sympathieträger à la Jürgen Klopp noch der Menschenfänger à la Hansi Flick. Aber er ist ein fürsorglicher, fast schon zärtlicher Trainer, der sich immer vor seine Spieler stellt. So schützt Löw Mesut Özil, als dieser schon lange vor seinem Nationalelf-Aus viel Kritik einstecken muss. Wer es in seinen auserwählten Kreis schafft, wird so schnell nicht fallengelassen. Das Prinzip trägt manchmal Früchte (Miroslav Klose, Lukas Podolski), in anderen Fällen ist diese gewisse Sturheit Löws ein Fehler (Julian Draxler).

Bilder im Kopf

Bewies Löw bei der 2010 seine mutigen Wesenszüge, kommen bei der WM 2014 Widerstandsfähigkeit, Wissbegierde und Lernwilligkeit hinzu. Er zieht die richtigen Schlüsse aus der EM-Niederlage 2012 gegen Italien (Löw passt sein System an, um Andrea Pirlo in Manndeckung zu nehmen) und in Brasilien ordnet sich die DFB-Elf bei der WM 2014 niemandem unter, sondern zwingt ihr eigenes dominantes Spiel dem Gegner auf. Dieses Mal reitet Löw die Welle bis ins Finale - wo er wieder mit einem mutigen Schachzug Joker-Torschütze Mario Götze kurz vor Schluss einwechselt.

Daten und Fakten allein reichen nicht, um zu erörtern, was der ehemalige Bundestrainer hinterlässt. Viele besondere Momente und Erinnerungen werden für immer in den Köpfen der Fußballfans bewahrt bleiben und etwas in ihren Herzen bewegen. Sie regen an zum Innehalten und können die Emotionen des damals erlebten direkt wieder hervorbringen. Ähnlich wie ehrliche und authentische Bilder, auf denen niemand posiert und die man zunächst gar nicht ins Fotoalbum kleben will, weil sie unscharf oder verwackelt wirken.

Eine Auswahl: Ausgelassener Jubel an allen Straßenecken 2006, "Schweini und Poldi", Löw in "seinem" blauen Pullover am Spielfeldrand, Mario Ballotelli oben ohne in Siegerpose, der Bundestrainer beim Spazieren am Strand in Brasilien, sein "scho au" in jedem Interview, der Libero-Torwart Manuel Neuer, fassungslose brasilianische Fußballfans nach dem historischen 7:1, der am Auge blutende und weinende Bastian Schweinsteiger in den Armen seines Trainers, feiernde Fans am Brandenburger Tor nach dem WM-Coup 2014, gefrustete Minen nach dem blamablen Aus in Russland.

Demütigungen zum Ende

Wenn jemand Abschied nimmt, merkt man auch, dass alle Menschen widersprüchliche Seiten besitzen. Löw ist stets ein strikt professioneller Coach. Kein Geschichtenerzähler, keiner, der Trubel um seine Person macht. Löws Unaufdringlichkeit ist vielleicht seine sympathischste Eigenschaft für Außenstehende. Der ehemalige Bundestrainer aber, der immer fair ist zu Journalisten, sich nie einen Ausraster erlaubt oder sich daneben benimmt, belügt sich nach der WM 2014 selbst. Ihm fehlt es an neuer Energie, neuen Reizen und Impulsen. Nach dem EM 2016 erreicht er die Mannschaft nicht mehr richtig. Fühlt sie nicht mehr. Bereits vor der WM 2018 ist zu sehen: Die DFB-Elf ist nicht mehr Weltspitze. Und ihr Trainer ebenso wenig. Nur will Löw beides nicht wahrhaben.

Die Länderspieljahre 2018 bis 2021 verlaufen katastrophal. Zu inkonstant spielt das deutsche Team. Der von Low vielfach versprochene Umbruch glückt nicht - trotz unglaublich viel Talent. Innerhalb von wenigen Jahren sammelt Löw das schlechteste WM-Abschneiden seit 1938 (WM 2018), die höchste Niederlage in 89 Jahren (0:6 gegen Spanien im vergangenen November) und ein trostloses 1:2 gegen Nordmazedonien Anfang dieses Jahres ein. Demütigungen für den Fußballlehrer, die er sich gerne erspart hätte - und viele Fußballfans gegen ihn aufbringen.

Und nun? Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer sind ohnehin längst Legenden, Berti Vogts sicherte sich immerhin einen (zweifelhaften) Erfolgshit, Rudi Völler erreichte Kult-Status, Jürgen Klinsmann trat vor jubelnden Fans am Brandenburger Tor ab - doch Löw bekommt nur ein mickriges Spalier gegen Liechtenstein. Was bleibt also von Jogi Löw nach seiner ewig anmutenden Amtszeit übrig?

Ein ganz normaler Mensch

"Es war nicht der Abschied, den wir uns alle vorgestellt haben", sprach der nun ehemalige Bundestrainer auf seiner letzten Pressekonferenz nach dem Aus bei der EM 2021 sehr langsam. "Die Enttäuschung sitzt sehr, sehr tief." Kein deutscher Nationaltrainer hat mehr Länderspiele gesammelt als Löw. Kaum einer war erfolgreicher.

Im Sommer 2021 ging einer, der den deutschen Fußball vorangebracht hat. Der mit seinem offensiv gedachtem Spiel den deutschen Fans viel Freude bereitet hat, ihnen unvergessliche Momente und Bilder in ihre Erinnerungen eingespeist hat. Einer, der viele menschliche Wesenszüge zeigte und seine Spieler verteidigte. Aber es geht auch ein Erfolgsbesessener, ein Unersättlicher, der unbedingt weitermachen wollte und zu spät den Absprung fand, selbst als es nicht mehr lief.

Es bleibt nicht der Erfolgstrainer oder der längst überholte Coach, sondern der Mensch Joachim Löw. Mit all seinen Facetten, mit seiner Fürsorge und seinen Fehlern und Schwächen.

Quelle: ntv.de

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