"Herz schlägt schwarz-rot-gold" Löws emotionaler Abschied - ohne Einsicht
30.06.2021, 18:20 Uhr
Das war's: Joachim Löw ist nicht mehr deutscher Bundestrainer.
(Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur)
Joachim Löws letzte DFB-PK: Der Bundestrainer gibt bei seinem finalen offiziellen Auftritt einen seltenen Einblick in sein Seelenleben. Er wird sogar schmalzig-emotional - und zeigt zum Abschluss noch einmal, warum seine Mannschaft unter ihm scheitern musste.
"Vielen Dank." Joachim Löws letzte Worte als Bundestrainer. Am Ende muss er dann doch ziemlich schlucken. Der 61-Jährige schaut emotional betroffen vor sich auf das Mikrofon, als seine letzte Pressekonferenz zu Ende geht. Noch ein zweites Mal schluckt der Fußballlehrer. Ein leichtes Glitzern in den Augen, sie bleiben aber trocken. Dann war es das. Der Abschied des Rekord-Nationaltrainers. Die Ära Löw ist nun wirklich vorüber.
"Es war nicht der Abschied, den wir uns alle vorgestellt haben", erklärt der nun ehemalige Bundestrainer gleich zu Anfang. Er spricht langsam. "Die Enttäuschung sitzt sehr, sehr tief." Eine Pause. Er übernehme Verantwortung für das Ausscheiden, "ohne Wenn und Aber". Und er brauche nun Zeit, "das richtig zu verarbeiten".
Dann tischt Löw ein wenig schmalzige Emotionalität auf, wie man es selten von ihm gesehen oder gehört hat. Über die 15 sehr langen Jahre, "mit vielen schönen Momenten und einigen Enttäuschungen" berichtet er. Wieder eine kleine Pause. Dann schiebt Löw nach: "Mein Herz schlägt weiterhin schwarz-rot-gold." Er werde Fan dieser Mannschaft bleiben, "mit meinem ganzen Herzen und allem, was ich habe". Bei so viel Kitsch muss Löw selbst ein wenig grinsen.
"Brauche emotionalen Abstand"
Aber interessante Einblicke bietet sie auch, die letzte der unzähligen Pressekonferenzen mit dem Breisgauer. Sehnen Sie sich nach Ruhe, wird er gefragt. Und Löw gibt tatsächlich etwas von seinem Innenleben preis. Auch das ist selten. "Als Außenstehender kann man nicht erahnen, was es bedeutet, 15 Jahre in der Verantwortung zu sein", erzählt der Trainer. "Man ist ständig geistig gefordert und angespannt, macht sich unendlich viele Gedanken." Der Druck und die Kritik, die von außen auf ihn herabgeprasselt sind - spurlos sind sie wohl nie an Löw vorübergegangen.
"Verantwortung zu tragen ist nicht immer leicht", sagt er überlegt. "Natürlich gab es Momente, wo ich das nicht immer toll fand." Nun wäre er "froh, dass ich mich etwas zurückziehen kann". Eine Frage eines niederländischen Journalisten, ob denn die Oranje, die ja einen neuen Trainer sucht, etwas für ihn wäre, schmettert Löw deshalb sofort ab. "Es wird etwas Zeit brauchen, um all diese schönen Momente und Enttäuschungen einzuordnen und zu verarbeiten." Nach so einer langen, intensiven Zeit "brauche ich emotionalen Abstand. Das spüre ich jetzt im Moment auch." Die Aussagen wirken nicht gekünstelt. Ein spontaner Einblick ins Seelenleben eines der am kritischsten beäugten Bundesbürger.
Aber die letzte Löw'sche Pressekonferenz offenbart auch wieder, warum die Nationalelf mit ihrem ehemaligen Bundestrainer in den vergangenen drei Jahren fast immer gescheitert ist. Zwar erkennt Löw an: "Man braucht die Kaltschnäuzigkeit, Cleverness und Coolheit - das hat gestern gefehlt." Doch wie so oft relativiert er direkt im Anschluss, findet keine konkreten Fehler. Auch nicht bei sich selbst.
Löws Ausreden
"Ich hatte und habe das absolute Vertrauen in diese Mannschaft", stellt Löw klar. Ob es denn an fehlender Reife gelegen hat, wie der Fußballlehrer noch am Abend nach dem EM-Aus gegen England sagte, will ein Journalist wissen. "Wir hatten viele Spieler, die noch nicht so viel Turniererfahrung haben", entschuldigt sich Löw fast. Nun, wer eine Achse in seiner Startelf mit Manuel Neuer, Mats Hummels, Joshua Kimmich, Toni Kroos und Thomas Müller hat, sollte von fehlender Turniererfahrung besser nicht sprechen. Und ohnehin ist diese nicht unbedingt ausschlaggebend für Erfolg, wie eine junge deutsche Mannschaft bei der WM 2010 bewies oder die jungen Italiener und Spanier bei dieser EM zeigen.
Vor dem Turnier hatte der Bundestrainer drei Schwerpunkte, an denen er arbeiten wollte: defensive Kompaktheit, Standardsituationen und Effektivität vor dem Tor. Verbesserungen in diesen Bereichen waren bei der EM nicht erkennbar. Warum das der Fall war, wird Löw gefragt. Auch hier verschließt der 61-Jährige die Augen vor der Wahrheit. "Es sei zu früh für eine Analyse", wiegelt er ab. "Ich will da jetzt nicht ins Detail gehen."
Aber mal längerfristig betrachtet, warum hat es nicht funktioniert, seit 2018 eine verlässliche Mannschaft aufzubauen? Nun, er hätte natürlich konkrete Pläne geschmiedet nach dem WM-Debakel in Russland, so Löw, mit einem klaren Konzept. Aber die drei Jahre wären geprägt gewesen von einigen Schwierigkeiten. "Corona, Verletzungen und andere Rückschläge" nennt der Coach hier tatsächlich. Diese wären auch die Gründe gewesen, "warum wir uns nicht so einspielen konnten wie etwa Italien oder Belgien". Dadurch hätten jetzt bei der EM "die Automatismen" gefehlt.
Dann ist Schluss
Löws Gründe, sie klingen wie billige Ausreden. Corona, Verletzungen und so weiter - jede Mannschaft auf der Welt hat damit zu kämpfen. Automatismen fehlten unter anderen, weil Löw Hummels und Müller erst kurz vor Schluss zurück ins Team holte und Kimmich auf die rechte Außenbahn stellte. Der Selbstbetrug, der dem Bundestrainer (unterbewusst wahrscheinlich, wohlgemerkt) in den vergangenen Jahren die Sicht verschleierte, er zeigt sich ein letztes Mal.
Dann kommen noch einmal, die "vielen Momente und Bilder, die ich in meinem Herzen abgespeichert habe" zur Sprache: "Erfolge, Planungen, gemeinsames Einschwören, Gespräche im Campo Bahia in Brasilien". Dann ist Schluss. Mit kitschigen Erinnerungen. Mit Selbstbetrug. "Vielen Dank."
Quelle: ntv.de