"Rasenball? Nee, Fußball!" Wenn aus Abneigung handfester Hass wird
14.10.2017, 07:58 Uhr
Was fehlt: "Es wäre die Aufgabe des BVB, vor diesem Spiel nochmals darauf einzugehen und sich zu entschuldigen."
(Foto: imago/Chai v.d. Laage)
Im Grunde sind sich die meisten einig: "Vollchaoten haben sich unmöglich benommen." Nun spielt RB Leipzig wieder beim BVB. Viele Gästefans bleiben zu Hause. Der Grat zwischen Sticheleien und Hass ist im Fußball schmal.
Der Fanladen des Fanprojekts Dortmund liegt in einer unscheinbaren Nebenstraße mit Kiezcharme zwischen Innenstadt und Stadion. Einen Tag vor dem Bundesliga-Spitzenspiel zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig ist es hier friedlich. Thilo Danielsmeyer, Leiter des Fanprojektes, schließt den Laden auf, wo sonst der harte Kern der Fanszene eine Anlaufstelle hat und wo Sozialarbeit auch mit Problemfans stattfindet. Der urige Raum ist übervoll mit BVB-Devotionalien - Schals, Wimpel, Poster, Fotos -, die von 25 Jahren Fanarbeit erzählen. So lange ist Danielsmeyer, eigentlich Sportlehrer, auch schon dabei.

"Das war asozial, Vollchaoten und Trittbrettfahrer haben sich unmöglich benommen": Thilo Danielsmeyer, Leiter des Fanprojektes Dortmund.
(Foto: Ullrich Kroemer)
Der 59-Jährige ist einer der profundesten Kenner der Dortmunder Ultrakultur. Er kann darüber Auskunft geben, wie die Szene die Ausschreitungen vom 4. Februar reflektiert hat und wie sich die Einstellung zu RB Leipzig entwickelt. Bereits nach dem Gewaltexzess hatte er sich überregional prägnant geäußert und tut das auch vor diesem Spiel. "Das war asozial, Vollchaoten und Trittbrettfahrer haben sich unmöglich benommen - nicht nur durch physische, sondern auch verbale Gewalt rund um das gesamte Spiel", sagt er.
Ulf Walther hat die Szenen, die sich am Nachmittag des 4. Februar rund um das Dortmunder Stadion abgespielt haben, noch immer vor Augen. Bereits bei der Ankunft am S-Bahnhof wurden die 7500 RB-Fans - darunter auch Familien mit Kindern - bespuckt, "übelst bepöbelt", wie er sagt, und beworfen. Auf der Strobelallee am Stadion Rote Erde eskalierte die Situation. "Es wurde mit allem auf uns geworfen, was fliegen kann." Steine, Flaschen, Dosen, Farbbeutel, Raketen, Mülleimer. Wie "Schlachtvieh" seien sie sich vorgekommen hatten die Bornaer Bullen, Walthers Fanclub, damals in einem offenen Brief an Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke geschrieben. Dass "nur" ein Dutzend Leipziger im Krankenhaus behandelt werden musste, bezeichnen viele, die dabeigewesen sind, als ein Wunder. 168 Strafverfahren eröffnete die damals völlig unterbesetzte und überraschte Polizei im Nachgang, 66 Täter - ungewöhnlich viele - wurden identifiziert.
"Borussia bekommt von mir kein Geld"
Walther hat aus dieser Auswärtsfahrt Konsequenzen gezogen und fährt zum Gastspiel von RB Leipzig beim BVB an diesem Samstag (ab 18.30 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) nicht mit - nicht vordergründig aus Angst vor erneuten Ausschreitungen, sondern "aus Prinzip". Der 38-Jährige sagt: "Fußball soll Spaß machen, schon die Fahrten sollen Feste sein. Aber auf der Fahrt nach Dortmund könnte ich nicht feiern." So hat er entschieden: "Ich betrete dieses Stadion nie wieder. Borussia Dortmund bekommt von mir kein Geld für eine Eintrittskarte."
So wie Walther denken nicht wenige Fans von RB Leipzig, darunter viele Familien mit Kindern. Die Zahl der Auswärtsfahrer nach Dortmund hat sich trotz der sportlich reizvollen Konstellation bei der Begegnung zwischen Tabellenführer und Tabellenviertem auf knapp 3500 verringert - geschützt von 1000 Polizisten. Von den etwa 70 Fans, die in der vergangenen Saison von den Bornaer Bullen dabei waren, bleibt nun etwa die Hälfte lieber daheim. Auch, weil Signale der Reue oder des Gewaltverzichts aus Dortmund von Fans und Verantwortlichen vor der Partie ausblieben.
Dass Dortmunds Bürgermeister Ullrich Sierau einige ausgewählte RB-Fans, die damals zu Schaden gekommen waren nun nach Dortmund eingeladen hat, findet Walther ein gutes Signal. Zehn Leipziger folgen der Einladung. Nur: "Es kommt meiner Meinung nach vom Falschen. Es wäre die Aufgabe des BVB, vor diesem Spiel nochmals darauf einzugehen und sich zu entschuldigen." Doch die Dortmunder Verantwortlichen blieben seltsam stumm vor dieser Partie. Aktuelle Interviewanfragen lehnte der BVB "aus terminlichen Gründen" ab.
"Rasenball? Nee, Fußball!"
BVB-Boss Watzke sagte den Zeitungen der Funke-Gruppe: "Grundsätzlich glaube ich, dass alle gelernt haben aus der Situation. Insofern bin ich verhalten optimistisch, dass wir das ordentlich über die Bühne kriegen." Das ist nicht nur verhalten optimistisch, sondern generell sehr verhalten. Vielleicht sei es bereits ein Erfolg, sagt RB-Fan Walther bitter, dass Watzke vor diesem Spiel nicht wie in der Vergangenheit gegen RBL gestichelt habe. Auf offiziellen Spielankündigungen, die in Stadionnähe angebracht sind, ist das anders. "Rasenball? Nee, Fußball!", steht da schwarz auf gelbem Grund zu lesen. Dieses Plakat stammt zwar nicht von Borussia Dortmund selbst, der Sponsor hatte in einem Wettbewerb den "witzigsten" Spruch des Spieltags gekürt - und dennoch.
Der BVB hätte durchaus Grund, seine Anstrengungen gegen die Gewalttäter, den versuchten Dialog mit der Fanszene offensiver öffentlich zu machen. Watzke & Co. hatten nach der Gewalteruption intensiv intern und mit Fanvertretern etwa im Fanrat diskutiert. Jedoch offenbar ohne einen wirklichen Konsens zu finden. Letztlich reagierte die Borussia-Führung mit Härte. Insgesamt 40 Stadionverbote sprach der Klub nach dem Spiel gegen Rasenballsport aus, etwa 15 gegen diejenigen, die strafwürdige Banner gegen RB gezeigt hatten, die übrigen gegen die Gewalttäter. Zudem wurden etwa die Ultras in ihren Rechten eingeschränkt. Die größte Fangruppierung "The Unity" musste ihren Verkaufsstand für Sticker, Fanzines und Fanartikel unterhalb der Südtribüne schließen.
"Der Verein hat die Fanszene in noch nie dagewesenem Ausmaß abgestraft", bewertet Thilo Danielsmeyer. Und die Fanszene? "In den Fällen, in denen Grenzen überschritten wurden, hat sich intern auch die Fanszene deutlich distanziert", sagt Danielsmeyer. "Das fand keiner gut, auch die nicht, die am Samstag wieder protestieren."
Trotz der Eskalationen im Februar, an denen laut Danielsmeyer keine Ultras beteiligt waren, haben die Szene-Wortführer vom Bündnis Südtribüne wieder zu einem Protestmarsch gegen RB aufgerufen - etwa 2000 Fans werden erwartet, Start vor dem Fanladen. Doch in der Einladung drehen die Initiatoren die Opferrolle um. Vom "sogenannten Skandalspiel" und "Jetzt erst recht" ist die Rede. Kein einziges Wort des Bedauerns oder des Aufrufs zur Gewaltfreiheit.
Weil der Deutsche Fußball-Bund wegen vier letztlich strafrelevanter Plakate 25.000 Fans auf der Südtribüne - Heiligtum des BVB - für ein Spiel aussperrte, fühlen sich die Ultras zu Unrecht abgestraft. "Es gab viele, die sich von den Idioten deutlich abgegrenzt haben. Aber als die Kollektivstrafe kam, hieß es nicht mehr: Das war scheiße von unseren eigenen Fans, sondern nur noch, Scheiß DFB’. Das war aus unserer Sicht schade", sagt Danielsmeyer. Weiterer Dialog sei so nicht mehr möglich gewesen. "Anstatt die Vorfälle weiter aufzuarbeiten können die sich jetzt durchaus in einer Opferrolle sehen", erklärt der Fanarbeiter.
Die Nebenstraße wird dann mit Anti-RB-Bannern und -Parolen - auch Hass gegen die Leipziger - überzogen sein. "Der Marsch ist für die Ultras wichtig, sie müssen eine Stunde gegen RB singen und ihre Plakate zeigen", sagt Danielsmeyer. "Ich bin davon überzeugt, dass sie darauf achten werden, dass Gewalt keine Rolle spielen wird. Es geht den Ultras um die Message." Immerhin. Doch der Grat zwischen ironischen Sticheleien, Hassgesängen und Hassaktionen ist im Fußball schmal.
Quelle: ntv.de