Kein Ende der Krise Wie die Schalker sich zum ersten Sieg zittern
30.09.2018, 11:06 Uhr
Immerhn gewonnen: Daniel Caligiuri, Nabil Bentaleb, Guido Burgstaller und Salif Sané.
(Foto: imago/Team 2)
Mit dem Heimsieg gegen den FSV Mainz 05 feiern die Schalker ihren ersten Dreier nach fünf Niederlagen und verhindern den schlechtesten Bundesliga-Saisonstart ihrer Vereinsgeschichte. Das Ende der Krise ist das aber noch nicht.
Beim FC Schalke 04 geschieht immer wieder Erstaunliches. So wusste Domenico Tedesco vor der wegweisenden Begegnung gegen den FSV Mainz 05 davon zu berichten, dass er in den schweren Tagen nach der 0:1-Pleite in Freiburg am Dienstag nicht von den üblichen Schmähungen überschüttet wurde. Stattdessen spendeten Fans und viele, die es mit dem Gelsenkirchenern halten, Trost und Zuspruch auf allen Kanälen. "Das war bewegend", sagte der Trainer, mahnte aber an: "Es ist höchste Zeit, diesen Menschen endlich etwas zurückzuzahlen."
Das haben die Spieler am Samstagnachmittag getan. Mit 1:0 (1:0) sie gegen die Mainzer und vermieden somit nicht nur die sechste Niederlage in Folge, sondern auch den schlechtesten Saisonstart der Vereinsgeschichte. Bis zur frühen Führung, der ersten in dieser Spielzeit der Fußball-Bundesliga, sahen die 61.810 Besucher in der nicht ganz ausverkauften Arena allerdings eine Heimmannschaft, die schwer an der Misserfolgsserie zu knabbern hatte. Der Negativlauf hatte Spuren hinterlassen. Nervös und fahrig bemühte sich eine verunsicherte Schalker Elf, Zugang zu diesem immens wichtigen Spiel zu finden.
"Die Angst zu verlieren war absolut da", sagte Tedesco. Insofern war das Tor von Alessandro Schöpf, den Tedesco für den bemühten, aber unglücklich agierenden Breel Embolo in die Startelf beförderte, so etwas wie der Wendepunkt in der erschreckend erfolglosen Spielzeit. Angedeutet hatte sich nichts, als sich Yevhen Konoplyanka nach einem Diagonalball von Salif Sané auf der linken Angriffsseite durchsetzte, in den Strafraum flankte, wo Schöpf, begünstigt durch nachlässiges Verteidigen des Mainzers Stefan Bell, einköpfte.
"Einige Tode gestorben"
Es war die elfte Spielminute, und es war das Tor des Tages. Es war zugleich so viel mehr. Rund um den Schalker Markt hatten sie dieses Erfolgserlebnis geradezu herbeigebetet. "Wir hatten uns doch im Leben nicht vorstellen können", sagte Christian Heidel, "dass sich der Fehlstart von vor zwei Jahren wiederholt". Der Manager war damals nach 24 Jahren in Mainz gerade im Ruhrpott angekommen. Auch damals gelang erst im sechsten Saisonspiel der erste Dreier. So wie nun. Keine Frage: Es war sicher nicht alles schön diesem sonnigen Nachmittag in Gelsenkirchen. "Aber wir dürfen uns endlich mal ein bisschen freuen", sagte der Trainer.
Auch Heidel, der die Situation zuletzt "beschissen" fand, war erleichtert, gab aber zu, in der Schlussphase "einige Tode gestorben zu sein". Vor dem Spiel in Freiburg hatte er noch gewitzelt, dass Tedesco "noch zwei Spiele darf". Der nahm ein solches Ultimatum ebenfalls mit Humor. "Ja", sagte er, "das finde ich witzig, weil es zeigt welch entspannten Umgang wir pflegen." Sorgen machen müssen sie sich aber weiterhin, wenngleich die Probleme ein wenig kleiner geworden. Der Sieg verschafft dem Coach mindestens eine einigermaßen ruhige Trainingswoche, die von der Reise zum Champions-League-Spiel nach Moskau unterbrochen wird, das am Mittwoch (ab 18.55 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) stattfindet. Er kann Kräfte freisetzen, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Probleme offenkundig sind. Tedesco schafft es nur bedingt, den blau-weißen Sportwagen mit mehr PS auf die Strecke zu bringen. Dabei hat er in der Krise viel probiert, an Schrauben gedreht, die Mannschaftsstruktur verändert, als er in Freiburg und daheim gegen Mainz mit Naldo und Sebastian Rudy zwei Spieler auf die Bank setzte, die eigentlich Verantwortung übernehmen sollen.
Still und einfach nur erleichtert
Misserfolg bringt eben Veränderungen mit sich. Zuletzt nahm er seine Vision, die massive Defensive zugunsten spielerischer Elemente zu lockern, wieder zurück, weil seine an empfindlichen Stellen umgebaute Elf genau damit nicht zurechtkam. Nichts wollte fruchten. Bis zum Samstag. Gegen Mainz, das soll die Botschaft sein, bleibt der Sieg, der in der Schlussphase erzittert wurde, weil Konoplyanka seinen sehenswerten Freistoß (59.) und seinen noch sehenswerteren Seitfallzieher (72.) nur ans Quergebälk gesetzt. Und die Erkenntnis, dass die Tedesco-Elf sich nach wie vor schwer tut, das Spiel zu gestalten.
Wenn die Profis ihren Job kreativ interpretieren sollen, wird es holprig. Gerade so als hätte man einem Fahrradanfänger die Stützräder entfernt. "Gegen Ende hatten wir mit der Angst zu tun", sagte Tedesco, der bis zuletzt wie ein Kind um das versprochene Geschenk bangen musste. "Doch wenn du die Konter nicht nutzt, musst du leiden können." So aber kam es, dass er gemeinsam mit seinem Vorgesetzten unmittelbar nach Spielschluss das Bild des Tages bot. Bevor er zu seiner Mannschaft ging, umarmten sich die beiden - aber nicht laut jubelnd, sondern demütig, still und einfach nur erleichtert und dankbar.
Seine Ansprache im Mittelkreis fiel dann erstaunlich schmal aus. "Ich wollte eigentlich ein bisschen länger sprechen, aber die Jungs haben mich unterbrochen und ein paar schöne und warme Worte an mich gerichtet", sagte Tedesco. "Da musste ich aufpassen, nicht sentimental zu werden." Was die Mannschaft ihm gesagt hat, verriet er nicht. Aber Guido Burgstaller brachte dieses offensichtlich besondere Verhältnis auf den Punkt. "Wir alle gehen für den Trainer durchs Feuer." Und irgendwie war Schalke plötzlich nicht mehr ganz so königsgrau.
Quelle: ntv.de