Fußball

Freigeist braucht Freiraum "Zirkus Coutinho" gastiert beim FC Bayern

Philippe Coutinho könnte "Robbery" als Attraktion des FC Bayern beerben.

Philippe Coutinho könnte "Robbery" als Attraktion des FC Bayern beerben.

(Foto: imago images/Focus Images)

Mit Philippe Coutinho engagiert der Fußball-Bundesligist einen Spielmacher fürs Zentrum. Er startet vielversprechend, harmoniert mit Toptorjäger Robert Lewandowski und könnte "Robbery" als Attraktion beerben. Doch für seine Brillanz braucht der Brasilianer bestimmte Voraussetzungen.

"Der Zirkus ist in der Stadt" - als Arjen Robben im Jahr 2009 sein furioses Debüt für den FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga gab, sprach Kommentator Marcel Reif diese Worte und meinte damit das Zusammenspiel des Niederländers mit Franck Ribéry. Zehn Jahre später könnte der Zirkus erneut zu Gast sein ­- allerdings mit anderen Protagonisten.

Die Bayern verpflichteten kurz vor Ende des Transferfensters wieder einen Spieler, der ganz besondere Fähigkeiten mitbringt, diese zuletzt aber nicht so oft zeigen konnte: Für 8,5 Millionen Euro wurde Philippe Coutinho für ein Jahr vom FC Barcelona ausgeliehen. Sein Wechsel vom FC Liverpool zu den Katalanen hatte im Januar 2018 für Aufregung gesorgt: Coutinho hatte den Transfer erstreikt. Für die Engländer war er in über 200 Pflichtspielen an knapp 100 Toren direkt beteiligt gewesen, weitere Treffer hatte er indirekt mit eingeleitet.

Zum Autor
  • Justin Kraft ist freier Autor und Blogger bei miasanrot.de.
  • Als Jahrgang 1993 durch die "Generation Kahn" mit dem FC Bayern in Kontakt gekommen.
  • Fußball-sozialisiert mit der "Generation Lahmsteiger", der er 2019 sogar ein nach ihr benanntes Buch widmete.

Doch in Spanien war der Brasilianer zuletzt in Verruf geraten, in den anderthalb Jahren beim Messi-Klub sollte es für den 27-Jährigen nicht mehr so gut laufen. Im auf Ballbesitz ausgelegten Barça-System schien er sich nicht wohlzufühlen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass er für die Katalanen überwiegend als klassischer Flügelspieler eingesetzt wurde. Nur acht der insgesamt 76 Pflichtspiele absolvierte er auf seiner Lieblingsposition: als offensiver Mittelfeldspieler im Zentrum.

Stärke in engen Räumen

Doch schon in den ersten Wochen beim FC Bayern zeigt sich, dass seine Brillanz nicht unbedingt von der Position abhängt. Ob der Neuzugang funktioniert oder nicht, liegt an seiner Einbindung ins Spiel. Stark ist Coutinho vor allem in engräumigen Situationen. Das heißt einerseits, dass er unter Druck kluge Entscheidungen treffen und aus Unterzahlsituationen heraus Überzahl in anderen Spielfeldbereichen kreieren kann. Es heißt aber auch, dass er kurze Verbindungen zu seinen Mitspielern braucht. Coutinho positioniert sich oft clever zwischen den Linien des Gegners und kann diesen mit seinen Aktionen destabilisieren.

Lewandowski und Coutinho harmonieren gut.

Lewandowski und Coutinho harmonieren gut.

(Foto: imago images/Laci Perenyi)

Ist er aber am Flügel gebunden, sind auch seine Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Bei Barcelona war das zu oft der Fall. Wenn er außen spielt, ist er mehr einrückender Spielmacher als jemand, der dem Spiel Breite gibt. Die Einbindung ist dort komplizierter und die Wege zum Tor weiter. In seinen bisherigen Auftritten für die Bayern deutete er im Offensivzentrum an, welchen großen Mehrwert er mit diesen engräumigen Aktionen einbringen kann. Ob das nun im linken Halbraum, direkt hinter Lewandowski oder manchmal auf einer Höhe mit ihm ist, spielt dabei weniger eine Rolle. Coutinho sollte als Freigeist wirbeln dürfen, der nicht an einen festen Raum gebunden ist.

Mehr taktische Optionen durch Coutinho

Die Bewegungsfreude des Brasilianers erhöht auch den taktischen Spielraum der Bayern. Ein großer Kritikpunkt im letzten Jahr war, dass die Mannschaft keine Gefahr im Zentrum erzeugen konnte. Die vielen ungefährlichen Flanken waren ein Resultat fehlender Kreativität. Seit Coutinho aber regelmäßig auf der Zehnerposition für die Bayern aufläuft, ist die Mannschaft nicht nur im Angriffsdrittel kreativer. Gerade im Zusammenspiel mit Joshua Kimmich und Thiago Alcántara entstand eine Harmonie im Mittelfeld, die es so schon länger nicht mehr bei den Bayern gab. Dieses Dreiermittelfeld hat das Potenzial, Spiele zu dominieren und zu kontrollieren - auch wenn verständlicherweise nach so kurzer Zeit noch nicht alles perfekt läuft.

Denn einen größeren Nachteil bringt Coutinho mit: In seiner Entscheidungsfindung braucht er die Hilfe seiner Mannschaft wie kaum ein anderer im Kader. Manchmal kann er seine Trainer zur Verzweiflung bringen. Hier ein zu hastiger Abschluss trotz besserer Optionen, dort ein unüberlegter Fehlpass, der den Konter des Gegners einleitet. Bei Barcelona scheiterte er auch deshalb, weil der Fokus der Mannschaft darauf liegt, Lionel Messi perfekt zu inszenieren. Viele Abläufe standen im Konflikt mit seiner Spielweise.

Coutinho macht Lewandowski stark

Coutinho braucht um sich herum immer Verbindungen und Anspielstationen. Die Bayern sind einen so engräumigen Spieler aber noch nicht gewöhnt. Und so kommt es gerade zu Beginn noch zu einigen Missverständnissen. Im Gegensatz zu Barcelona haben die Münchner jedoch keinen Messi, der deutlich über allen anderen schwebt. Sie können es sich erlauben, das Spiel an den Neuzugang anzupassen. Und es kann sich auch für die anderen Spieler auszahlen: Das Zusammenspiel mit Lewandowski ist jetzt schon vielversprechend. Immer wieder sucht Coutinho den Polen, um ihn im Zentrum in gute Abschlusssituationen zu bringen. Der Stürmer ist auch durch die Präsenz des Brasilianers im Moment so unglaublich stark. Im Idealfall sieht das dann so aus wie beim Treffer zum 6:2 gegen Tottenham Hotspur in der Champions League, als Coutinho den Ball elegant durch die Verteidiger zu Lewandowski spitzelte.

Ein weiterer Pluspunkt im Zusammenspiel der beiden sind die sogenannten "Steil-Klatsch"-Pässe. Das bedeutet, dass Coutinho sich den Ball etwas tiefer abholt, ihn dann steil nach vorn spielt und sofort nachrückt, um den Rückpass zu empfangen. Ein solches taktisches Mittel fehlte den Bayern in den letzten Jahren. Selbst James Rodríguez war trotz einer ähnlichen Spielweise nicht so stark in solch kleinteiligen Aktionen im Zentrum.

"Robbery" dominierte viele Jahre beim FC Bayern.

"Robbery" dominierte viele Jahre beim FC Bayern.

(Foto: REUTERS)

Coutinho fordert Bälle und verteilt sie klug. Entgegen vieler Erwartungen ist er aber nicht der Spieler, der in jeder Partie direkt an Toren beteiligt ist und sollte deshalb auch nicht ausschließlich anhand von Scorerpunkten bewertet werden. Er ist ein Strukturgeber, der hin und wieder Torgefahr ausstrahlt. In seiner Karriere war er oft genug der Mann für den vorletzten Pass. Durch tolle Verlagerungen wie vor dem Führungstor gegen Paderborn, sein gutes Gespür für den Raum und präzise Abschlüsse wird er dennoch einige Torbeteiligungen sammeln können. Seine Flexibilität und Vielseitigkeit kann den Bayern nach so vielen Jahren Dominanz durch "Robbery" dabei helfen, noch variabler im Angriff zu werden. Kann Niko Kovac ihm dann noch beibringen, nicht jede halbwegs gute Situation für einen eigenen Abschluss zu nutzen und auch die einlaufenden Angreifer zu sehen, könnte Coutinho in München ein entscheidender Karriereschritt gelingen.

Schwächen im Pressing

Die Frage wird allerdings auch sein, wie Bayerns neuer Zehner seiner Mannschaft im Spiel gegen den Ball unterstützen kann. Gerade am Dienstagabend gegen Tottenham zeigte sich, dass der Offensivmann bei Ballverlusten keine große Hilfe ist. Seine Stärken liegen zweifelsohne nicht im (Gegen-)Pressing, wo Thomas Müller ihm deutlich überlegen ist.

In der wilden Anfangsphase kamen die Spurs zu einigen Kontersituationen, in denen Coutinho und Lewandowski sich selbst aus dem Spiel nahmen. Dadurch hatten Kimmich und Corentin Tolisso es im Zentrum schwerer. Das muss aber kein genereller Schwachpunkt werden: Mit Thiago als Balancegeber im Mittelfeld gelang es den Münchnern zuletzt besser, die Nachteile Coutinhos auszugleichen als mit Tolisso am Dienstag.

Kovac wird hier eine Konstellation finden müssen, in der er seinen Spielmacher perfekt integrieren kann. Gegen Tottenham hat er über weite Strecken gesehen, wie er es trotz der sieben Tore nicht machen sollte. Die Abstände um Coutinho herum waren zu groß und zu selten wurde er von seinen Mitspielern in Szene gesetzt. Daraus zogen die Spurs manchen Vorteil und der Brasilianer blieb weitestgehend blass. Er kann ein Bessermacher sein, wenn seine Mannschaft ihn dabei unterstützt. Das wird noch Zeit brauchen. Ist die Abstimmung gefunden, könnte in München aber bald der "Zirkus Coutinho" gastieren - auch gegen Mannschaften wie Tottenham.

Quelle: ntv.de

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