"Collinas Erben" fühlen mit In Wolfsburg hatten sie richtig Stress
04.10.2021, 06:21 Uhr

Breel Embolo und Kevin Mbabu produzierten eine von mehreren kniffligen Szenen für Frank Willenborg und sein Gespann..
(Foto: picture alliance/dpa)
In Wolfsburg hat der Schiedsrichter im Verbund mit seinen Helfern und dem Monitor sehr viel Arbeit zu verrichten. Dabei löst das Gespann auch knifflige Situationen richtig oder zumindest vertretbar. Nur in einem Fall war es nicht konsequent, aber der war nicht spielentscheidend.
Es gibt Spiele, die nicht nur für das Schiedsrichterteam auf dem Feld eine ganze Fülle von anspruchsvollen Situationen mit sich bringen, sondern auch dem Video-Assistenten eine Menge Arbeit bescheren. Die Partie zwischen dem VfL Wolfsburg und Borussia Mönchengladbach (1:3) zählt definitiv dazu. Knifflige Abseitsfragen bei Toren, schwierige Strafraumszenen, Feldverweise wegen "Notbremsen" - der Unparteiische Frank Willenborg, seine Assistenten Guido Kleve und Arne Aarnink sowie VAR Sascha Stegemann hatten alle Hände voll zu tun.
Schon bei den beiden frühen Toren für die Gäste nach fünf und sieben Minuten war vor allem Kleve stark gefordert, weil sich jeweils die Frage stellte, ob sich die Torschützen, Breel Embolo und Jonas Hofmann, im Abseits befunden hatten. In beiden Fällen zeigten die Bilder mit den kalibrierten Linien und dem Lot aus der Kölner Videozentrale, dass der Assistent mit seiner Wahrnehmung richtig lag: Abseitspositionen waren jeweils knapp nicht gegeben.
Die Trefferquote der Helfer an den Seitenlinien bei der Bewertung von möglichen Abseitssituationen liegt in der Bundesliga bei über 90 Prozent - ein herausragender Wert, wenn man bedenkt, wie eng es fast jedes Mal zugeht und wie schnell das Spiel ist. Längst sind die Assistenten vielfach besonders geschulte Spezialisten, denen neben ihrer ausgeprägten Beobachtungsgabe, ihrer starken Antizipation von Spielzügen, ihrer genauen Positionierung und ihrer langjährigen Erfahrung auch ein gutes Gespür für die Situation und manchmal Glück dabei helfen, Situationen richtig zu bewerten.
Embolo fällt zweimal, bekommt aber nur einen Elfmeter
Nach 31 Minuten ging der Wolfsburger Kevin Mbabu im eigenen Strafraum in ein riskantes Tackling gegen Embolo, der dabei zu Fall kam, während der Ball ins Toraus rollte. Referee Willenborg entschied auf Eckstoß, hatte also einen Ballkontakt durch Mbabu wahrgenommen. Den gab es tatsächlich, wenngleich er nicht sehr deutlich war, allerdings hatte der Wolfsburger Verteidiger mit seinem anderen Bein Embolo getroffen und so zu Boden gebracht. Insgesamt sprach hier mehr für einen Strafstoß als dagegen, doch eine wirklich kapitale Fehlentscheidung lag nicht vor. Dass VAR Stegemann nicht eingriff, ist daher nachvollziehbar.
Auch nach 76 Minuten stand Embolo im Mittelpunkt, als ihn Maxence Lacroix im Wolfsburger Strafraum in zentraler Position elf Meter vor dem Tor mit einer Grätsche zu Fall brachte. Diesmal war die Sache eindeutig, denn einen Ballkontakt gab es dabei nicht. Der umsichtige Willenborg entschied deshalb zu Recht auf Strafstoß und verwies Lacroix mit Gelb-Rot des Feldes. Der Wolfsburger hatte eine offensichtliche Torchance verhindert, allerdings war er beim Tackling zum Ball orientiert, den er nur knapp verfehlte. Für eine ballbezogene "Notbremse" im Strafraum gibt es keine Rote Karte, sondern nur eine Gelbe - was für den bereits verwarnten Lacroix jedoch trotzdem den Feldverweis bedeutete.
Auch in dieser Situation gebührt dem Assistenten ein besonderes Lob: Arne Aarnink hatte, auch das zeigte die Abseitslinie aus Köln, richtig wahrgenommen, dass sich Embolo beim Zuspiel knapp nicht im Abseits befand. Wäre das anders gewesen, dann hätten der Elfmeter und die Matchstrafe zurückgenommen werden müssen. So aber blieb es beim Strafstoß, den Lars Stindl jedoch kläglich vergab - Koen Casteels parierte den schwachen Schuss relativ mühelos.
Der Strafstoß für Gladbach hätte wiederholt werden müssen
Dessen ungeachtet hätte der Elfmeter wiederholt werden müssen. Nicht so sehr aus dem Grund, dass Casteels' Mitspieler Maximilian Arnold zu früh in den Strafraum gelaufen war - über einen solchen Verstoß sehen die Unparteiischen in der Praxis meist großzügig hinweg, sofern der betreffende Spieler den Ausgang des Strafstoßes nicht direkt beeinflusst. Auch der Video-Assistent darf nur eingreifen, wenn eine solche Einflussnahme vorliegt, die beispielsweise gegeben ist, wenn der zu früh vorgelaufene Spieler einen Nachschuss verhindert.
Das Problem war hier vielmehr, dass der Keeper der Gastgeber im Moment der Ausführung mit beiden Füßen vor der Torlinie war. Das ist bekanntlich nicht erlaubt, ein Fuß muss sich auf oder oberhalb dieser Linie befinden. Verstöße dagegen sollen, wenn der Torhüter beim Elfmeter den Ball abwehrt, konsequent geahndet werden - nötigenfalls mithilfe des VAR, wenn dieser bei der Überprüfung eindeutig feststellen kann, dass der Schlussmann die Torlinie mit beiden Füßen vorzeitig verlassen hat. Bei Casteels waren es, wie die Hintertorperspektive zeigt, deutlich mehr als nur ein paar Zentimeter, damit war das Vergehen eigentlich klar genug für eine Intervention.
Rot gegen Roussillon wurde zu Recht zurückgenommen
Einen Eingriff aus Köln gab es dann aber vier Minuten später. Schiedsrichter Willenborg hatte zunächst den Wolfsburger Jérôme Roussillon mit einer Roten Karte des Feldes verwiesen, wegen einer "Notbremse" rund 23 Meter vor dem Tor der Hausherren. Der Fall schien auf den ersten Blick klar, doch bei der Überprüfung der Entscheidung bemerkte Video-Assistent Stegemann, dass Roussillon bei seinem Tackling gegen Jonas Hofmann zuerst den Ball gespielt hatte. Das war in der Realgeschwindigkeit kaum zu erkennen, weil die Kugel anschließend ihre Laufrichtung nicht verändert hatte.
Durch das faire Spielen des Balles änderte sich die Sachlage: Der Einsatz des Wolfsburgers galt klar dem Spielgerät, das auch getroffen wurde. Hofmann kam danach zu Fall, weil er über Roussillons Beine stolperte, und nicht, weil ihm Roussillon aktiv ein Bein stellte. Da der Unparteiische den Ballkontakt offenkundig nicht wahrgenommen hatte, war der Eingriff so berechtigt wie die Entscheidung nach dem anschließenden On-Field-Review: Willenborg nahm den Feldverweis zurück und setzte das Spiel mit einem Schiedsrichterball fort. Weitere Stressmomente in diesem ereignisreichen Spiel blieben dem stets ruhigen und besonnenen Referee erspart.
Quelle: ntv.de