"Collinas Erben" spielen nach Warum Herthas Dardai zu Unrecht sauer war
19.02.2017, 12:53 Uhr

Was soll uns diese Geste sagen? Pal Dardai.
(Foto: imago/Eibner)
In letzter Sekunde wendet der FC Bayern in Berlin seine zweite Saisonniederlage ab. Bei der Hertha zürnen sie dem Schiedsrichter. Der verlängert die üppige Nachspielzeit am Ende noch einmal. Dafür gibt es jedoch nachvollziehbare Gründe.
Unmittelbar nach dem Schlusspfiff, als die Enttäuschung am frischsten und größten war, bemühte sich Pal Dardai gar nicht erst um Sachlichkeit. "So viel Nachspielzeit, das ist der Bayern-Bonus", ärgerte sich der Trainer von Hertha BSC und reihte sich damit bei jenen ein, die schon immer davon überzeugt waren, dass die Schiedsrichter den deutschen Rekordmeister aus München begünstigen. Kurz zuvor hatte Robert Lewandowski im Berliner Olympiastadion exakt fünf Minuten und 59 Sekunden nach dem Ablauf der regulären Spielzeit doch noch den Ausgleichstreffer zum 1:1 erzielt und die Gastgeber damit um den sicher geglaubten Sieg gebracht. Es war das späteste Bundesligator seit dem Beginn der detaillierten Datenerfassung in der Saison 2004/2005.
Dardai war der Ansicht, dass der Freistoß, der schließlich zum Tor führte, gar nicht mehr hätte ausgeführt werden sollen. Schließlich hatte der Vierte Offizielle auf Geheiß von Referee Patrick Ittrich eine Nachspielzeit von lediglich fünf Minuten angezeigt. Als diese fünf Minuten abgelaufen waren, bemühten sich die Bayern allerdings gerade vehement, noch einmal in den Hertha-Strafraum zu gelangen. Die Unparteiischen sind seit jeher gehalten, einen solchen Angriff noch ausspielen zu lassen und nicht mittendrin abzupfeifen.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Peter Pekarik beendete den Spielzug abrupt mit einer Grätsche gegen den durchgebrochenen Kingsley Coman. Dafür sah er zu Recht die Gelbe Karte. Theoretisch hätte der Schiedsrichter die Partie nun beenden können. Denn rein regeltechnisch gibt es nur eine einzige Spielfortsetzung, die zwingend auch dann noch ausgeführt werden muss, wenn die Spielzeit bereits abgelaufen ist - nämlich den Strafstoß. Doch in der Praxis lässt nahezu jeder Referee auch einen Freistoß in Tornähe noch zu. Schließlich soll der Gegner für sein unfaires Spiel nicht belohnt werden.
Es gab aber noch einen weiteren Grund für Patrick Ittrich, die angezeigte Nachspielzeit um eine weitere Minute zu verlängern: Hertha hatte nach der 90. Minute zwei Auswechslungen durchgeführt und sich dabei nicht gerade beeilt. Zudem hatten sich die Spieler der "Alten Dame" auch bei der Ausführung von Abstößen und Freistößen reichlich Zeit gelassen. In der Regel 7 (Dauer des Spiels) heißt es: "Die zusätzliche Zeit kann vom Schiedsrichter erhöht werden, nicht jedoch gesenkt." Deshalb handelte der Unparteiische aus Hamburg vollkommen regelgerecht.
Gute Gründe für die üppige Dreingabe
Aber war nicht bereits der angezeigte Nachschlag von fünf Minuten arg großzügig bemessen, zumindest für die Verhältnisse in der Bundesliga, wo nur ganz selten mehr als zwei, drei Minuten draufgegeben werden? Das zu beurteilen, liegt im Ermessen des Unparteiischen. Und der hatte nicht vergessen, dass sich gleich mehrere Berliner Spieler in der zweiten Hälfte wegen Krämpfen hatten behandeln lassen. Auch bei den eigenen Spielfortsetzungen ließen es die Hausherren bisweilen recht gemächlich angehen. Deshalb hatte Ittrich gute Gründe für die ungewöhnlich üppige Dreingabe.
Womöglich hat das auch Pal Dardai eingesehen, nachdem er die erste Enttäuschung verarbeitet hatte. Bei der Pressekonferenz war jedenfalls keine Rede mehr vom "Bayern-Bonus", sondern nur noch davon, dass der späte Punktverlust "schon sehr weh tut". Die Münchner dagegen freuten sich: Ihnen gelang in ihrer fünften Bundesligapartie in diesem Jahr zum dritten Mal ein Tor nach der 90. Minute. Übrigens profitierte auch die Hertha in dieser Saison schon einmal von einer ungewöhnlich langen Nachspielzeit, und zwar gleich am ersten Spieltag: Da erzielte Julian Schieber den 2:1-Siegtreffer gegen den SC Freiburg in der 95. Minute.
Quelle: ntv.de