"Collinas Erben" auf der Zielgeraden Wenn der Pfiff acht Minuten zu früh ertönt
24.05.2015, 15:18 Uhr

Hamburg, 19. Mai 2001: Patrik Andersson jubelt mit dem FC Bayern. Und Markus Merk lässt sich lieber nicht mehr auf Schalke blicken.
Am letzten Bundesliga-Spieltag stehen die Schiedsrichter nirgendwo im Mittelpunkt und erledigen ihre teils heiklen Aufgaben souverän. Für zwei erfahrene Unparteiische ist der Schlusspfiff am Samstag gleichzeitig der letzte ihrer langen Karriere.
Wenn das Saisonfinale ansteht und es in manchen Partien um alles oder nichts geht, sind auch die Schiedsrichter in besonders gefordert. Sie wissen, dass ihre Pfiffe die Gemüter noch mehr erhitzen werden als sonst und unmittelbare Konsequenzen haben können. So wie 2001, als Markus Merk in der Nachspielzeit auf indirekten Freistoß für den FC Bayern wenige Meter vor dem Tor entschied, als der Hamburger Keeper Mathias Schober den Rückpass seines Mitspielers Tomas Ujfalusi mit den Händen aufnahm.
Was folgte, ist längst Legende: Münchens Patrik Andersson drosch den Freistoß in die Maschen, Bayern wurde doch noch Meister, Schalke versank in Tränen. In Gelsenkirchen gilt Merk bis heute als Persona non grata, obwohl seine Entscheidung völlig richtig war. Der DFB sorgte dennoch dafür, dass sein damaliger Spitzenmann und die Knappen sich nicht mehr begegneten. Nun kommt es nicht an jedem 34. Spieltag zu derart dramatischen Szenen, dennoch sei "für jeden spürbar, dass mehr Emotionen im Spiel sind als in früheren Jahren", glaubt Herbert Fandel.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Der Chef der deutschen Referees sagt: "Sich davon nicht beeindrucken zu lassen und zu sachlich fundierten Entscheidungen zu finden", das sei die schwierige Aufgabe der Unparteiischen, sagte er vor dem letzten Spieltag. Allerdings wird in existenziell wichtigen Spielen nicht automatisch mit besonders harten Bandagen gekämpft, wie der frühere Fifa-Schiedsrichter aus eigener Erfahrung weiß: "Ich selbst habe erlebt, dass die Spieler sogar kontrollierter in die Zweikämpfe gehen. Keiner kann sich einen frühen Platzverweis leisten."
Fandel sollte Recht behalten - und er kann mit seinen Unparteiischen hochzufrieden sein. In keinem der Spiele, bei denen es ums Eingemachte ging, standen sie im Fokus, in keinem unterliefen ihnen folgenschwere Fehler. Und nahezu überall ging es sportlich höchst anständig zu. Deniz Aytekin beispielsweise benötigte bei der fairen Begegnung zwischen dem SC Paderborn 07 und dem VfB Stuttgart lediglich vier Gelbe Karten und verhängte 34 Freistöße - Durchschnittswerte, die nicht erahnen lassen, was für die Beteiligten auf dem Spiel stand. Tobias Welz kam mit der Partie des Hamburger SV gegen Schalke 04 ebenfalls sehr gut zurecht und setzte in der 26. Minute mit der Gelben Karte für den Schalker Sead Kolasinac nach einer Beinschere gegen Lewis Holtby just in dem Moment eine klare Grenze, als es auf dem Platz härter zu werden drohte.
Nur Weiner liegt daneben
Auch Wolfgang Stark hatte sein Spiel, das Abstiegsduell zwischen Hannover 96 und dem SC Freiburg, fest im Griff. In mehreren kniffligen Strafraumsituationen entschied er richtig, seine Linie bei der Zweikampfbeurteilung passte er dem Spielcharakter sehr gut an. Nach 67 Minuten kam es zu einer heiklen Szene, als der Freiburger Karim Guedé und der Hannoveraner Jimmy Briand im Strafraum der Gäste abseits des Balles aneinander gerieten. Guedé griff mit seinem Arm im Laufen ein wenig nach hinten aus und traf Briand, der revanchierte sich, indem er dem Freiburger von hinten ein Bein stellte. Bei einer strengen Regelauslegung hätte man darin grobe Unsportlichkeiten sehen können - allerdings hatte offenbar weder Wolfgang Stark noch sein Assistent die Szene beobachtet. Und nicht einmal bei den Beteiligten gab es auch nur den Hauch von Aufregung darüber.
Vergleichsweise deutlich daneben lag lediglich Michael Weiner mit seiner Entscheidung, dem Gladbacher Havard Nordtveit nach 61 Minuten für sein Foul gegen den Augsburger Tim Matavz die Rote Karte wegen einer "Notbremse" zu zeigen. Dabei war Matavz‘ Weg zum Tor der Gastgeber noch recht weit, zudem hätte Nordtveits Mitspieler Oscar Wendt durchaus noch mit fairen Mitteln eingreifen können. Eine hundertprozentige Torchance wurde hier also nicht verhindert, eine Gelbe Karte hätte daher genügt. Nach dem Platzverweis drehte der FC Augsburg die Partie noch und verdrängte den FC Schalke 04 so von Platz fünf, der die direkte Qualifikation für die Gruppenphase der Europa League bedeutet. Angesichts ihres desaströsen Auftritts in Hamburg würden aber wohl nicht einmal die Schalker dem Referee in Mönchengladbach auch nur den leisesten Vorwurf machen.
Abschied ohne Gelbe Karten
Zwei Schiedsrichter leiteten am Samstag ihr letztes Bundesligaspiel, nämlich Peter Gagelmann und Thorsten Kinhöfer. Beide werden in Kürze 47 Jahre alt und haben damit die Altersgrenze erreicht. Gagelmann feierte im April 2000 sein Debüt in der höchsten deutschen Spielklasse und kam dort auf insgesamt 214 Einsätze. Zum Abschluss pfiff er die Partie des 1. FC Köln gegen den VfL Wolfsburg. Kinhöfer gab im September 2001 seinen Einstand im Oberhaus und kann auf 213 Begegnungen in der Eliteklasse zurückblicken. Seine letzte war die des Deutschen Meisters FC Bayern München gegen Mainz 05. Beide Referees kamen in ihren Abschiedsspielen ohne Gelbe Karte aus und gehörten - auch wenn mancher Fan das bisweilen anders gesehen haben mochte - über viele Jahre hinweg zu den besten Unparteiischen des DFB. Nicht zufällig wurden sie oft mit hochkarätigen oder als besonders schwierig eingestuften Spielen betraut.
Die Bundesligasaison ging also, was die Schiedsrichter betrifft, ziemlich unspektakulär zu Ende. Aus der Kreisliga Regensburg dagegen wird ein alles andere als alltäglicher Vorfall vermeldet. Dort pfiff ein Unparteiischer die Partie zwischen dem TSV Großberg und dem TSV Bernhardswald beim Stand von 2:7 acht Minuten zu früh ab. Als ihn seine Assistenten auf den Lapsus aufmerksam machten, standen die meisten Spieler der Gastgeber bereits unter der Dusche. Nur noch vier Kicker der Hausherren kehrten auf den Platz zurück, das Spiel ging schließlich 3:8 aus. Die Wiederaufnahme war dabei regelkonform: Zwar kann eine Begegnung abgebrochen werden, wenn eine Mannschaft im Laufe der Zeit weniger als sieben Spieler auf dem Feld hat und zurückliegt. Aber dieses Team muss den Schiedsrichter ausdrücklich um die vorzeitige Beendigung bitten. Und das taten die Großberger nicht. Wahrer Sportsgeist!
Quelle: ntv.de