Köster über ganz billigen Spott Ohne Traditionsvereine taugt die Liga nichts
20.09.2016, 12:54 Uhr
Über Traditionsklubs wie den Hamburger SV und Werder Bremen lässt sich derzeit leicht lachen.
(Foto: imago/Picture Point LE)
Hamburger SV - zu blöd! Werder Bremen - macht alles falsch! Jeder darf sich derzeit über die Traditionsvereine lustig machen. Eine ganz billige Nummer. Ohne die großen Klubs würde in der Liga bohrende Langeweile ausbrechen.
Es gehört ja derzeit zum guten Ton in der Fußballszene, sich möglichst ausgiebig über kriselnde Traditionsvereine lustig zu machen. Wie blöd sich doch der Hamburger SV anstellt! Was der SV Werder nicht alles falsch macht! Und der VfB Stuttgart erst! Der Spott ist nach den ersten Spielen der neuen Saison eher lauter als leiser geworden. Nun ist es wirklich einfach, festzustellen, dass an allen drei Standorten derzeit nicht übermäßig nachhaltig gewirtschaftet wird, was im Übrigen auch für andere traditionelle Fußballklubs wie Hannover 96 und Kaiserslautern gilt.
Und es ist auf den ersten Blick ein Leichtes, ein paar Emporkömmlinge der letzten Jahre dagegenzuhalten, sei es der FC Augsburg, sei es der FC Ingolstadt. Die arbeiten angeblich so viel besser, zielstrebiger und strukturierter als die großen, alten Klubs, von Wachablösung war in den letzten Jahren viel die Rede. Die Zukunft schien den neuen Klubs zu gehören und Tradition war irgendwann nur noch ein Synonym für völlig unnötigen Ballast.
Populäre These mit großem Haken
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußballmagazins "11 Freunde". In seiner Kolumne "Kösters Direktabnahme" greift er jeden Dienstag für n-tv.de ein aktuelles Thema aus der Welt des Fußballs auf. Zudem ist er seit der Saison 2016/17 Bundesligaexperte von n-tv.
Der Haken an der Sache: Die These stimmt nicht. In vielerlei Hinsicht nicht. So ist miserables Wirtschaften keinesfalls ein Privileg der Traditionsvereine. Nur mal zur Erinnerung: Noch vor zwei Jahren wurde der SC Paderborn als leuchtendes Beispiel für das neue Zeitalter gefeiert - heute kicken die Ostwestfalen nach einem spektakulären Absturz inklusive Effenberg-Verpflichtung in der dritten Liga.
Und galt die TSG Hoffenheim nicht mal als Prototyp des zukunftsorientierten Klubs, dessen Siegeszug allein schon durch seine großartige Nachwuchsarbeit kaum aufzuhalten sein würde? Mehrfach ist die TSG in den letzten Jahren so gerade mal am Abstieg vorbeigeschrammt und wirkt auch unter dem Jungcoach Nagelsmann nicht gerade wie das Überraschungsteam der laufenden Saison.
Sieht man einmal von der mit Millionen vollgestopften österreichischen Vereinskarikatur aus Leipzig ab, sind es vor allem Traditionsteams, die derzeit die Liga überraschen. Der 1.FC Köln, der seit Jahren seriös und kontinuierlich an der sportlichen Weiterentwicklung arbeitet. Und Hertha BSC, das nach Jahren im Fahrstuhl endlich wieder eine sportliche Idee entwickelt hat, wohin es eigentlich möchte.
Die stimmungstechnische Verödung droht
Viel wichtiger als die Würdigung des kurzfristigen sportlichen Erfolgs wäre jedoch, dass sich endlich einmal die Erkenntnis durchsetzen sollte: Es sind exakt diese oft verspotteten Klubs, die dafür sorgen, dass der deutsche Profifußball stimmungstechnisch noch nicht vollends verödet ist. Und wer da jetzt lässig abwinkt, sollte nur mal kurz einen Blick auf die Sky-Quoten der letzten Bundesliga-Saison werfen. Auf den ersten zehn Plätzen landeten ausschließlich Traditionsklubs, vom FC Bayern über den 1. FC Köln bis zu Hertha BSC. Abgeschlagener Letzter übrigens ist der FC Ingolstadt.
Insofern wäre es eine reizvolle Vorstellung, mal vom gegenwärtigen Tabellenstand auszugehen und anzunehmen, dass am Ende dieser Saison der Hamburger SV, Werder Bremen und Schalke in die zweite Liga absteigen und stattdessen ein paar der so gerühmten neuen Klubs aufsteigen. Und dann freuen wir uns auf einen Bundesliga-Samstag mit den Kracherpartien Kickers Würzburg - Bayer Leverkusen, Ingolstadt – Leverkusen, Heidenheim – Wolfsburg und Hoffenheim – Augsburg. Anschließend diskutieren wir dann nochmal über Traditionsvereine. Aber nur, wenn wir dann noch wach sind.
Quelle: ntv.de