
Moderator Kurt Felix in der Sendung "Verstehen Sie Spaß?"
(Foto: imago stock&people)
Nächste Woche startet der deutsche Fußball mit dem DFB-Pokal in die Saison. Millionen von Fußballfans freuen sich wie immer auf spannende Wettbewerbe. Was ist aber, wenn das TV diese Freude schamlos für einen Gag ausnutzt?
Diese Geschichte stammt aus einer Zeit, als sich am Samstagabend noch ganze Familien geschlossen um 20.15 Uhr vor dem Fernsehapparat versammelten. Damals, als Millionen von Zuschauern Shows wie "Einer wird gewinnen" mit Hans-Joachim Kulenkampff, "Wetten dass ...?" mit Frank Elstner und "Verstehen Sie Spaß?" mit Kurt und Paola Felix schauten. Und genau in dieser letztgenannten Sendung passierte sie - diese hinreißende Story aus einer Zeit ohne Handys und globaler Vernetzung. Nur so war möglich, was sich an diesem 28. Mai 1988 abspielte.
Damals veräppelte TV-Kommentator Rudi Michel mit einer wahren schauspielerischen Glanzleistung fünf treue wie ahnungslose Fußballfans, die ihr Team, den VfL Bochum, im DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt aus der Ferne anfeuern wollten. Der Clou: Mit einem für damalige Verhältnisse riesigen technischen Aufwand hatte das Fernsehteam keine Kosten und Mühen gescheut, um exklusiv für diese fünf VfL-Anhänger den ZDF-Originalkommentar von Eberhard Figgemeier durch eine extra eingesprochene Live-Reportage von ARD-Mann Rudi Michel zu ersetzen.
Am Anfang des Abends saßen die vier auserwählten Herren und eine Dame noch sichtlich vergnügt im "Blauen Salon" des Bochumer Ruhrstadions und wurden "im VIP-Raum, wo sonst nur die oberen 10.000 hinkommen, sehr gut bewirtet, was auch die Getränke anbelangt", wie Michel vorweg amüsiert verkündete. Er selbst hatte derweil schon einmal in den Katakomben des Stadions Platz genommen und sprach von hier aus auf die Original-Geräuschkulisse aus dem Berliner Olympiastadion eine neunzigminütige Liebeserklärung eines Frankfurt-Fans an seinen Verein.
"Was kriegt der bezahlt?"
Und dann ging es auf dem Rasen in Berlin auch schon los. Doch bereits nach den ersten Worten von Rudi Michel war einer der Herren auf den Polstermöbeln im Ruhrstadion bedient. "Ich möchte Bochum siegen sehen", sagte er genervt, "das ist selbstverständlich, bin ja auch Bochumer, aber wenn der Idiot nicht bald seine Klappe hält …". Mit Idiot war natürlich Rudi Michel gemeint.
Die einzige Frau im Raum hatte sich dem Ereignis entsprechend schick gemacht. In einer lockeren, rosafarbenen Sommerbluse versuchte sie die aufgebrachte Männerrunde zu beruhigen. "Regt euch nicht auf!", meinte sie noch, doch dafür war es bereits zu spät. "Ker, so ein Quatschkopp, wat kriegt der bezahlt", fragte sichtlich erregt einer der Männer, bevor er sich zur eigenen Beruhigung durch die feuchte Pomade im Haar strich.
Als der Eintracht-Verteidiger Dieter Schlindwein schließlich äußerst unsanft den Bochumer Martin Kree bei einem Konter über die Klinge springen ließ, knusperte man auf den blauen Plüschsesseln gerade ein paar Salzstangen. Doch von einer Sekunde zur nächsten war die Aufregung im Raum wieder groß. "Jetzt muss er die Karte geben", war die einhellige Meinung der fünf. Doch Rudi Michel interpretierte die Szene bewusst etwas anders: "Ich glaube, er hat sich ein bisschen fallen lassen. War eine Schwalbe!" Das saß.
Antwort aus den Katakomben
Und dann legte der "falsche" TV-Kommentator erst richtig los: "Bochum wirkt für mich einfach zweitklassig. Die Mannschaft ist nicht besser als die Elf von 1968, als man zu Recht 4:1 verlor. Plötzlich sind sie auch im Mittelfeld weg vom Fenster. Die Bochumer haben ihr Pulver wahrscheinlich schon verschossen." Das war endgültig zu viel für die Runde: "Hömma, die Bochumer machen doch das Spiel. Die sind doch nur in deren Hälfte. Millionen sehen das und der quatscht da so blöd rum. Also, so etwas, ehrlich, ey. Hoffentlich schalten sie dich in der zweiten Halbzeit ab. Komm, ruf mal ebent zum WDR an, wat der Idiot da macht."
Doch Rudi Michel setzte entschlossen nach: "Freistoß gegen Bochum wegen einer Schwalbe. Ob es den Bochumern gefällt oder nicht. Das muss man als sehr objektiver Berichterstatter, der die Objektivität erfunden hat, einfach sagen." Entsetzen bei den VfL-Fans: "Das ist der Michel, oder? Das ist ganz genauso eine Pflaume wie all die anderen auch. Und dafür zahle ich die Gebühren."
Die direkte Antwort aus den Katakomben kam prompt: "Wissen Sie, meine Damen und Herren. So ein Fernsehreporter hat es schwer, insbesondere bei einem solchen Spiel. Hat vielleicht 20 Millionen Zuschauer, und keinem kann er es Recht machen." Der Konter aus dem VIP-Raum erfolgte umgehend: "Hömma, du Idiot, jetzt sprich mal objektiv!" Michel: "Natürlich ist es für jeden sehr schwer, objektiv zu sprechen …" Wieherndes Gelächter im "Blauen Salon".
Im Gespräch mit dem Kommentator
Und dann begannen Rudi Michel, der vermeintliche Fernsehkommentator in Berlin, und der VfL-Fan im Ruhrstadion endgültig wie in einem Theaterdialog direkt miteinander zu sprechen - gerade so, als stünde man an einem lauschigen Sommerabend bei ein paar Gläsern Pils am Tresen und hätte sich wegen irgendeiner Lappalie ein wenig in die Wolle gekriegt.
"Du magst Bochum nicht, da liegt's dran", startete der Wortführer im VIP-Raum den frontalen Angriff.
"Ja, ich musste in Essen umsteigen, das war das Schwierige daran", konterte Rudi Michel schlagfertig.
"Deswegen? Aber die Bochumer machen doch das Spiel."
"Nein, die anderen machen das, es sei denn, ich habe mich in den Trikots getäuscht."
"Ja, ich weiß ja nicht, musste wohl 'ne verkehrte Brille aufhaben. Hast du eine Sonnenbrille?"
"Ja, etwas getönt." "Ja, dann setz die mal ab."
Ben Redelings ist ein leidenschaftlicher "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und Anhänger des ruhmreichen VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt im Ruhrgebiet und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Für ntv.de schreibt er dienstags und samstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Weitere Informationen zu Ben Redelings, seinen aktuellen Terminen und Projekten gibt es auf seiner Seite www.scudetto.de.
Die Herrenrunde mit Dame im "Blauen Salon" des VfL Bochum zeigte sich amüsiert und irritiert zugleich. Was war das bloß für eine skurrile Situation? Doch einer der Männer hatte sich schon eine schlüssige Theorie für dieses kuriose Gespräch zurechtgelegt. Vehement beschwor er die anderen, ruhig zu sein: "Der kriegt unseren Kommentar hier."
"Ja, natürlich", erklang es wenige Meter tiefer aus dem Keller des Ruhrstadions nach oben, "ich habe ja Millionen auf der Rückleitung. Aber in Bochum sind die völlig neben dem Häuschen." Jetzt war aber auch mal gut, dachten sie sich in Bochum: "Ja, du bist nebem Häuschen. Hömma, wie viel hast du denn eigentlich schon getrunken?"
Nun konnte Rudi Michel einfach nicht mehr. Er lachte, nahm das Kopfmikrofon herunter, beendete die Reportage und sagte mit einem breiten Grinsen: "Der macht mich ganz verrückt!"
Quelle: ntv.de