Redelings Nachspielzeit

Jahr mit Pfostenbruch & Meineid Als der FC Bayern mit einem Messer beworfen wurde

Sepp Maier war fassungslos, was er da auf dem Rasen gefunden hatte.

Sepp Maier war fassungslos, was er da auf dem Rasen gefunden hatte.

(Foto: imago sportfotodienst)

Saison 1970/71: Es ist eine Saison reich an vielen kuriosen und unvergesslichen Geschichten. In Mönchengladbach kracht mitten im Spiel ein Tor zusammen, in Essen trifft den Bayern-Torhüter fast ein Messer und am Ende erschüttert die Bundesliga auch noch ein Skandal in ihren Grundfesten.

Und ganz am Schluss kam dann auch noch der Skandal. Die Spielzeit 1970/71 bot an spektakulärer Unterhaltung alles, was man sich nur wünschen kann - außer vielleicht die ganz großen sportlichen Highlights. Aber an Geschichten war diese Saison reich wie kaum eine andere in 60 Jahren Bundesliga. Und es war der Augenblick, als auf Schalke der FC Meineid geboren wurde. Eine ganze Nation war damals in Aufruhr. Denn als sich andeutete, dass Spiele verschoben worden sein könnten, war die heile Welt des Fußballs von einem Moment zum nächsten zerstört.

Und dann sprach auch noch Dieter Gütt, der ARD-Programmkoordinator, in den "Tagesthemen" einen Kommentar, der eine hitzige Debatte auslöste: "Auch das Fernsehen wird sich überlegen müssen, ob es einen solchen kriminellen Unsinn, der sich Fußball nennt, noch weiterhin übertragen soll. Die Vereinsmeier und die Kicker, die Bestochenen und die Bestecher und schließlich ein williges Publikum, das das, was mit schmutzigen Stiefeln geschieht, noch für Sport hält, wäre dann unter sich. Schade für die Gutgläubigen …".

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Es war der aufsehenerregende Schlusspunkt am Ende eine Saison der kuriosen Ereignisse. In Essen hatten sie bei Rot-Weiss eigentlich schon mit der Spielzeit abgeschlossen. Ein solider achter Tabellenplatz zur Halbserie - da erschien ein Abstieg fast unmöglich. Doch dann begannen in Essen die Vertragsverhandlungen mit dem Star der Mannschaft, Willi Lippens. Hertha wollte ihm 200.000 pro Jahr zahlen, RWE bot daraufhin 300.000 Mark für drei Jahre.

Sepp Maier findet 30 Zentimeter langes Messer im Strafraum

Doch das sorgte für Zündstoff im Klub. Geschäftsstellenleiter Nikelski: "Die anderen Spieler mussten unters Sauerstoffzelt gelegt werden, als sie diese Zahlen hörten." Und Mannschaftskamerad Erich Beer: "Willi soll getrost mehr verdienen als wir. Aber er hätte die Summen für sich behalten und nicht hinausposaunen sollen. Das gab nur böses Blut." Und so kam es, dass Rot-Weiss Essen nach Lippens' Vertragsverlängerung keine der letzten 13 Partien gewinnen konnte und in dieser Zeit nur drei kümmerliche Punkte holte. Der letzte Sieg des Absteigers: ein 3:1 am 21. Spieltag gegen Bayern München.

Und genau bei dieser Partie kam es zum Eklat. Aus der berüchtigten Essener Westkurve flog ein Messer in den Strafraum und verfehlte Bayern-Keeper Sepp Maier nur knapp. Entsetzt präsentierte der Torhüter das etwa 30 Zentimeter lange Brotmesser Schiedsrichter Redelfs, der es sofort nach Spielschluss zum DFB nach Frankfurt schickte. Bereits in der Pause verkündete der Stadionsprecher stolz, der Messerwerfer sei mithilfe der Zuschauer gefasst worden.

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Es handelte sich um einen 17-jährigen Jüngling, der unter starkem Alkoholeinfluss stand und am ganzen Körper "wie Espenlaub" zitterte. Nervös erzählte er, dass er das Messer stets bei sich trage, es ihm hingefallen sei, ein anderer es aufgehoben und aufs Spielfeld geschleudert habe. Mit Tränen in den Augen flehte er die Polizei an, bloß den Eltern nichts zu sagen. Sein Vater schlage ihn tot, wenn er das erfahre, stammelte er. Doch den Gang konnte ihm keiner ersparen.

Duisburger Durchsage entsetzt die Profis des FC Bayern

Auch im Tabellenkeller ging es ordentlich zur Sache: In Oberhausen klopfte das Abstiegsgespenst in Gestalt eines Journalisten an die Tür des Trainers der Rot-Weißen und fragte den legendären Coach Adi Preißler, was er denn gerne trinken möge. Preißlers Wahl sprach Bände: "Geben Sie mir E 605, es ist doch alles aus!" Am Ende schaffte man es doch noch, die Klasse zu halten. Vielleicht auch wegen zweier kleiner, aber feiner Neuerungen, die man nach der Winterpause eingeführt hatte: Im Klubhaus durfte nicht mehr geraucht werden, und nach dem Training gab es statt Bohnenkaffee gesunden Kakao. Na, dann!

An der Spitze standen vor dem letzten Spieltag der Saison der FC Bayern München und Titelverteidiger Borussia Mönchengladbach punktgleich vorne, doch Bayern hatte die um ein Tor bessere Differenz vorzuweisen. Es kam zum klassischen Showdown - mit einer irren Geschichte als Sahnehäubchen. Als sich die Bayern in Duisburg warmliefen, trauten sie ihren Ohren nicht. Über die Lautsprecher ertönte eine Durchsage: "Meine Damen und Herren, liebe Sportplatzbesucher, wir bitten um Beifall und Anfeuerung für den MSV Duisburg, der bei einem Sieg für jeden Spieler eine Sonderprämie in Höhe von 2.000 Mark aus Mönchengladbach erhält!"

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Blankes Entsetzen bei den Münchnern, euphorische Zuschauer auf den Rängen und motivierte MSV-Profis auf dem Platz. Als das 2:0 für den MSV fiel, musste Torwart Sepp Maier den Rasen verlassen. Fans hatten das Feld gestürmt - unter ihnen wohl auch einige Mönchengladbach-Anhänger - und den Bayern-Keeper offensichtlich verletzt. Maier: "Man hat mich umgerannt und geschlagen!" MSV-Betreuer Jasbert sah allerdings etwas anderes: "Beckenbauer winkte ihm etwas zu, und er ließ sich fallen." Die Meisterschaft war aber so oder so verloren, da Gladbach zeitgleich mit 4:1 in Frankfurt gewann.

"Hätte Werder doch runde Pfosten gekauft"

Und dann war da noch diese eine Geschichte, die man sich bis heute immer wieder erzählt. Am 27. Spieltag fiel auf dem Bökelberg ein Tor. An sich nichts Ungewöhnliches, doch diesmal war es das hölzerne Tor der Borussia. Als beim Spiel Mönchengladbach gegen Werder Bremen Borussia-Stürmer Herbert Laumen wenige Minuten vor Schluss beim Stand von 1:1 ins Tornetz stürzte, brach ein Pfosten. Wegen "schuldhaften Herbeiführens eines Spielabbruchs" (so das DFB-Urteil) wurde die Partie mit 2:0 für Bremen gewertet.

Konsterniert schrieben die Gladbacher Profis einen öffentlichen Brief und fragten sich: "Sind wir eigentlich Lizenzspieler oder Bauarbeiter? Wo steht denn geschrieben, dass wir Spieler verpflichtet sind, den Platzaufbau vorzunehmen, für den städtische Angestellte verantwortlich sind? Was haben wir Spieler denn für eine Schuld daran, wenn irgendwo im städtischen Sportgelände ein Stück Holz kaputtgeht und nicht mehr zu reparieren ist?"

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Pikantes Detail am Rande: Der Verursacher Laumen wechselte schließlich nach der Saison zu Werder - und hatte im nächsten Jahr wieder Pech mit den Pfosten. Denn am zweiten Spieltag der Saison hätte er seine Mannschaft gegen starke Kaiserslauterer daheim beinahe noch zum Sieg geschossen. 2:2 stand es, als Laumen ausholte und den Ball mit Vollkaracho unter die Lattenunterkante donnerte.

Doch Werder hatte vor der Spielzeit an der falschen Stelle gespart, und so sprang der Ball aus dem Tor wieder heraus. Nach Spielschluss saß Laumen mit einer Flasche Limonade in der Hand im Weserstadion und stammelte immer wieder verzweifelt vor sich hin: "Hätte Werder doch runde Pfosten gekauft. Dann wäre der Ball drin gewesen." Kuriose Bundesliga - was für Geschichten!

Quelle: ntv.de

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