
Ivica Banovic war einst unzufrieden mit Uwe Kemmling.
Wie die Geschichten und Zeiten sich ähneln! Im Frühjahr 2004 redete ganz Deutschland über die Schiedsrichter - und ihre krassen Fehlentscheidungen. Die falschen Pfiffe der Schiris beeinflussten damals maßgeblich den Abstiegskampf. Ein Klub dachte sogar über eine Klage gegen den DFB nach!
"Heute musst du dich vor dem Spiel nicht mehr nur mit dem Gegner, sondern auch mit dem Schiedsrichter befassen. Was ist das für einer, lässt er viel durchgehen, pfeift er kleinlich? Aber das kann es ja wohl nicht sein. Entweder es gibt Regeln oder es gibt keine. Es gibt in der Bundesliga einfach keine klare Linie!" Kaiserslauterns Trainer Kurt Jara war sauer.
Zwar stand sein Klub nach dem 26. Spieltag mit drei Punkten Vorsprung vor dem Relegationsplatz, doch die "Roten Teufel" hatten in der aktuellen Saison bereits sieben klare Fehlentscheidungen gegen sich erdulden müssen. Ein Rekordwert - der am Ende dazu führte, dass der 1. FC Kaiserlautern vor zwanzig Jahren bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt bangen musste. Eine Situation, die verständlicherweise unnötig an den Nerven zerrte.
"Es ist nicht gut!"
Trainer-Legende Hans Meyer hat einmal so treffend gesagt: "In schöner Regelmäßigkeit ist Fußball doch immer das Gleiche." Und so erinnern die Sätze vom Ende März des Jahres 2004 tatsächlich auf frappierende Art und Weise an die Sätze in der Bundesliga in den letzten Wochen. Der Unmut über die Schiedsrichterentscheidungen wird bei einigen Klubs immer lauter - und wenn selbst ein eher besonnener Vertreter seiner Zunft, Christian Streich, nach der Partie am letzten Wochenende gegen den Tabellenführer Bayer Leverkusen sich über den Schiedsrichter auf eine Weise echauffiert ("Alle kleine Sachen waren gegen uns! Es ist nicht gut"), dass man sich nur wundern kann, dann ahnt man, wie heiß der Kessel mittlerweile in der Liga kocht.
Damals, vor zwanzig Jahren, hatten 30 krasse Fehlentscheidungen der Schiedsrichter dazu geführt, dass Ergebnisse direkt beeinflusst worden waren. Und davon waren damals besonders zwei Vereine betroffen, die im Abstiegskampf steckten: Hannover 96 und Hertha BSC. In der aktuellen Tabelle nach dem 26. Spieltag belegten die beiden Klubs die Ränge 16 und 17, in einer um die Fehler bereinigten Liste wären Hannover und die Hertha auf den Plätzen 12 und 14 gelandet. Verständlich, dass besonders diese beiden Vereine im Frühjahr 2004 Alarm schlugen und die "furchtbaren Zustände" rund um die Unparteiischen zum Thema machten. Doch davon wollte der DFB damals naturgemäß nichts wissen.
"Kann dieses Gejammer nicht mehr hören"
Der mittlerweile verstorbene Schiedsrichter-Sprecher Manfred Amerell meinte kühl und distanziert auf die Frage, ob die Schiris die Liga verpfeifen würden: "Klares Nein! Das ist wie eine Langspielplatte. Ich kann dieses Gejammer nicht mehr hören. Wir lassen uns davon nicht verrückt machen!" Und auch der DFB-Oberschiedsrichter Hellmut Krug wies jede Kritik an seinen Männern mit der Pfeife zurück - und stellte zusätzlich eine geradezu groteske These auf: "Oftmals rüttelt eine angebliche Fehlentscheidung die betroffene Mannschaft doch erst richtig wach!" Ziemlich harter Tobak, der schlussendlich auch mit dazu beitrug, dass Hannover 96, als einer der hauptleidtragenden Klubs, damals sogar über eine Klage gegen den Deutschen Fußball-Bund nachdachte.
- Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
Jüngst ist das Buch "Ein Tor würde dem Spiel guttun. Das ultimative Buch der Fußball-Wahrheiten" frisch in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage erschienen!
Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
Rekordhalter bei den Fehlentscheidungen war in der betreffenden Spielzeit 2003/04 Schiedsrichter Uwe Kemmling. Unglaubliche zehn Fehler - dazu zählten alle Tor-relevanten Situationen und Platzverweise - hatte sich der Mann aus Burgwedel in nur elf Partien geleistet. Alle 99 Minuten ein Fehler von großer Tragweite. Eine irre Quote! Und Kemmling war in der Bundesliga wahrlich kein Unbekannter.
Nationale Berühmtheit hatte der gelernte Verwaltungsangestellte sechs Jahre zuvor bei der Partie des FC Schalke 04 gegen den 1. FC Köln erlangt, als er beim Stand von 0:0 ein eindeutiges Handspiel des Schalkers Oliver Held im eigenen Strafraum nicht als solches gewertet hatte. Zwar befragte er damals den Spieler, doch dieser leugnete, den Ball mit der Hand gespielt zu haben. Der 1. FC Köln verlor das Spiel mit 0:1 und stieg am Ende der Saison in die Zweite Liga ab.
"Kannst du nicht verkraften!"
Am Wochenende in Freiburg, nach der knappen 2:3-Niederlage des SC gegen Bayer Leverkusen, kritisierte Christian Streich ungewöhnlich deutlich die Leistung von Schiedsrichter Harm Osmers. Zwar fand er es selbst "ein bisschen übertrieben", davon zu sprechen, dass der Schiri Leverkusens 12. Mann gewesen wäre, meinte aber dennoch: "Es ist ungerecht, weil du sowieso schon total an der Kante bist. Du arbeitest wie verrückt, wir spielen alle drei Tage und dass dann so eine Mannschaft, die sowieso so eine individuelle Qualität besitzt, die ganzen 50:50-Entscheidungen für sich kriegt, ist falsch, das geht nicht. Das kannst du nicht verkraften!"
Der Gegenwind auf die harten Worte kam für den Freiburger Trainer nicht nur vonseiten des DFB und der Schiedsrichter. Auch Fans und Medien kritisierten Streich dafür und rieten ihm, sich zuallererst "an die eigene Nase zu fassen". Ein Muster, das auch damals vor zwanzig Jahren, schon als bewährte Abwehrreaktion diente.
So meinte Schiri Herbert Fandel im Frühjahr 2004 zur aufkommenden Kritik vonseiten der Klubs: "Es ist immer der einfachste Weg, die Schuld beim Schiedsrichter zu suchen, anstatt eigene Fehler zu suchen. Diesen Weg aber gehen die Trainer in jüngster Zeit leider immer öfter." Interessant war damals allerdings noch ein weiterer Satz des Pianisten und Schulleiters aus Bitburg.
Denn lange bevor Schiedsrichter in der Bundesliga professionell entlohnt wurden und viele Jahre vor der Einführung des VAR meinte Fandel: "Den Roboter-Schiedsrichter wird es nie geben, also wird es immer Fehler geben." Mittlerweile wissen wir: Selbst die technischen Hilfsmittel haben den Fußball insgesamt nicht weniger fehleranfällig, geschweige denn fehlerfrei und damit gerechter gemacht.
Im Sommer 2004 schafften es am Ende sowohl Hannover 96, als auch die Hertha aus Berlin doch noch - trotz der gravierenden Fehlentscheidungen gegen sich - sich zu retten. Beide Klubs blieben in der Bundesliga. Genauso übrigens wie der SC Freiburg. Denn die Breisgauer unter Trainer Volker Finke hatten damals Glück mit den Schiedsrichter-Fehlentscheidungen.
"Über die Saison gleicht sich alles aus"
Nach dem 26. Spieltag hatten die Unparteiischen viermal für den SC Freiburg und kein einziges Mal gegen die Mannschaft aus dem Süden der Republik entschieden. Dementsprechend gut reden hatte damals der Kapitän der Breisgauer, Torhüter Richard Golz, als er eine weitverbreitete Hoffnung aller benachteiligten Mannschaften artikulierte: "Ich glaube daran, dass sich alles über die Saison ausgleicht."
Dass da was dran sein könnte, hoffen nun wohl auch die Fans und Offiziellen des VfL Bochum. Denn die erinnerten sich bei den Worten Streichs sofort an ihre eigenen Spiele gegen den SC Freiburg in dieser Saison. Das eine liegt sogar erst wenige Tage zurück. Und auch wenn es der Trainer der Breisgauer in dieser Partie wohl anders sah, waren sich Beobachter vor Ort sicher, dass wenigstens berechtigte Zweifel an der Schiedsrichter-Leistung bestanden ("In zwei strittigen Entscheidungen bleibt die Pfeife von Marco Fritz stumm"). Aber wer weiß: Noch sind ja acht Begegnungen zu spielen - und möglicherweise hat auch der VfL Bochum in einer dieser Partien mal das Glück auf seiner Seite?! Quasi als ausgleichende Gerechtigkeit. Ganz so, wie es die versöhnlichen Worte von Richard Golz damals anklingen ließen.
Quelle: ntv.de