
Ein seltenes Bild: Beckenbauer im Jahr 1965 zusammen mit der Frau von Löwen-Stürmer Timo Konietzka.
(Foto: imago/Horstmüller)
Im Nachhinein scheint der Weg für die Weltkarriere des Franz Beckenbauer immer nur geradeaus verlaufen zu sein. Doch in jungen Jahren muss der spätere "Kaiser" erst einmal zwei unglaubliche Geschichten überstehen - die beinahe seine erfolgreiche Zukunft verhindert hätten.
"Ich spielte für den SC 1906 gegen die Löwen. Und es war eigentlich klar, dass ich zu Sechzig gehe." Christoph Bausenwein erzählt in seinem jüngst erschienenen Buch "Kaiserjahre" noch einmal die filmreife Geschichte nach von dem Tag, als sich das Schicksal des jungen Franz Beckenbauer auf eine fast schon unglaubliche Art und Weise wenden sollte. Denn für den damaligen Fan der Blauen und gebürtigen Münchener aus dem Stadtteil Giesing war im April 1958 eigentlich klar, wie sein weiterer Weg im Fußball verlaufen würde. Beckenbauer hat auch später immer wieder betont: "Die Sechziger und Giesing, das war eins, und Schwabing mit seinem neureichen FC Bayern weit weg."
Doch dann kam dieses sagenumwobene Spiel seines SC 1906 gegen den TSV 1860 München - und danach war nichts mehr, wie es vorher einmal gewesen ist. Denn plötzlich war sich der zwölfjährige Franz sicher, dass sein neuer Klub der FC Bayern München heißen würde. Doch was war geschehen?
Christoph Bausenwein erzählt in seinem äußerst lesenswerten und sehr bildstarken Buch, dass Franz Beckenbauer "im Lauf der Zeit unterschiedliche Versionen" lieferte: "Mal sprach er von einem Mittelläufer namens Bauernfeind, mal von einem kräftigen Spieler namens Jahnke, mal von einem gegnerischen Betreuer, dann wieder von einem Unbekannten. Mal berichtete er nur ganz knapp von einem 'Deppen', mal malte er die Sache aus: Da sei ihm ein großer Junge gegenübergestanden, der habe ihn als 'Depp' bezeichnet, dann habe er diesen mehrmals umspielt, ein Tor geschossen und gesagt: 'Na, da schaust, du Depp.' In einer anderen Erzählvariante schob er dem Gegner den Ball durch die Beine und erzielte danach ein Tor."
Es sollte eine unfassbar lange Zeit - genau 52 Jahre - dauern, bis sich im Jahr 2010 die Geschichte endlich klärte. Denn dann meldete sich der "Watschmann" und konnte berichten, was an diesem denkwürdigen Tag tatsächlich passiert war. Ein gewisser Gerhard König aus Füssen erzählte: "Der Franz hat mich ausgespielt, ich habe ein Tackling gemacht, daraufhin gab ein Wort das andere, und ich habe ihm die Watschn gegeben." Beckenbauer hörte sich die Geschichte nach so langer Zeit vergnügt schmunzelnd an und gab zu, dass er damals als junger Bub "schon ein bisschen frech" gewesen sei und dass es deshalb "gut möglich" ist, "dass es von mir ein paar entsprechende Worte gegeben hat".
Die andere, weniger bekannte, delikate Geschichte
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Interessant war an diesem Tag im Studio der BR-Sendung "Blickpunkt Sport" noch, dass Gerhard König erzählte, warum er all die Jahre geschwiegen habe: "Ich wollte es nicht publik machen, weil ich eine Gaststätte besaß und Angst davor hatte, dass mir Chaoten vielleicht die Bude kaputthauen." Für Nicht-Fußballfans sicherlich eine kaum zu verstehende Erklärung, doch für alle treuen Anhänger des runden Leders eine durchaus nachvollziehbare Begründung. Vor allem, wenn man Revue passieren lässt, wie wertvoll Beckenbauer später für den FC Bayern München werden würde. Nicht auszudenken, als Fan der Löwen, was potenziell für den eigenen Verein mit dem "Kaiser" möglich gewesen wäre. Aber auch Franz Beckenbauer selbst traf, wie wir heute wissen, mit den Roten durchaus die richtige Wahl.
Doch es gab noch eine andere, für die damalige Zeit äußerst delikate Geschichte, die in jungen Jahren den Start des Franz Beckenbauer in seine spätere, wundersame Weltkarriere noch hätte behindern können. Im Leben der vielen Lieben des "Kaisers" war die erste Frau an seiner Seite die einzige, die beinahe seine Laufbahn schon vor dem eigentlichen Beginn beendet hätte. Christoph Bausenwein schreibt über die Liaison mit Ingrid Grönke: "Sie war ein Jahr älter als er und damals eine Freundin von Sepp Maiers späterer Frau Agnes, und die gebar ihm am 20. Oktober 1963 ein uneheliches Kind. Was für ein Skandal! Eine nach den damaligen Moralvorstellungen kaum verzeihliche Schande. Und was für eine 'sittliche Gefährdung' der Mitspieler zumal!"
Doch Beckenbauer hatte Glück - und zwei entscheidende Fürsprecher. Denn eigentlich sollte er wegen seines "unmoralischen Lebenswandels" für ein Spiel der DFB-Jugendauswahl nicht zugelassen werden. Doch der Trainer der Jugend-Nationalelf, Dettmar Cramer, und ganz besonders der damalige Bundestrainer Sepp Herberger setzen sich für das große Nachwuchstalent ein. Der Bundestrainer wandte dabei sogar eine List an: "Bei der DFB-Sitzung, in der die Spieler für die Jugendauswahl nominiert werden sollten, entlockte Herberger den Anwesenden ihre Jugendsünden. Und vor diesem Hintergrund warb er dann um Verständnis für den Sünder Beckenbauer: 'Meine Herren, Sie waren doch auch mal jung ...'."
Doch eine Sache war den beiden Trainern des DFB wichtig, wie sich Beckenbauer später einmal erinnerte: "Ich durfte für Deutschland spielen - unter der Bedingung, dass ich beim Lehrgang das Zimmer mit Trainer Cramer teile. So passte er auf, dass ich nachts nicht auf Abwege geraten konnte." Und damit war vor dem Beginn einer unglaublichen Karriere erst einmal ein letzter großer Stein aus dem Weg geräumt. Denn Beckenbauer nutzte seine Chance, wie Christoph Bausenwein in seinem Buch "Kaiserjahre" schreibt: "Vor 5000 Zuschauern legte ein leicht und locker aufspielender Beckenbauer eine fantastische Leistung hin und erzielte beide Treffer zum 2:1-Sieg über die Eidgenossen." Noch nicht einmal anderthalb Jahre später debütierte der damals Zwanzigjährige nach nur sechs Bundesligaspielen in seinem ersten offiziellen A-Länderspiel am 26. September 1965 in Stockholm für die DFB-Elf gegen Schweden.
Quelle: ntv.de