Redelings Nachspielzeit

"Ein Spieler so dumm wie Brot" Das legendäre Interview mit Erfolgstrainer Peter Neururer

imago0001139148h.jpg

Peter Neururer ist ganz oben angekommen.

Saison 2003/04: Das Interview von Manuel Neuer hat in den letzten Tagen für viel Aufregung gesorgt. Genau das hat Peter Neururer schon vor zwanzig Jahren geschafft - aber auf eine ganz andere Art und Weise. Sein Gespräch als Erfolgstrainer des VfL Bochum ist legendär. Damals wartete der Kulttrainer auch noch auf einen Anruf des AC Milan!

Es gibt diese journalistischen Sternstunden, wenn alles zusammenpasst. Henning Sußebach und Stefan Willeke von der Wochenzeitung "Die Zeit" erlebten diesen einzigartigen Moment vor knapp zwanzig Jahren in der für den VfL Bochum phänomenalen Saison 2003/04 zusammen mit einem prächtig aufgelegten Trainer Peter Neururer. Am Ende der Spielzeit erreichte der VfL zum zweiten Mal in seiner Geschichte den UEFA-Cup - und die Stimmung war, wie man sich denken kann, ausgelassen gut. Und vorneweg marschierte ein Trainer in absoluter Paradeverfassung. Peter Neururer auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Nicht umsonst war das legendäre Gespräch mit der Überschrift "Zu Höherem berufen" versehen.

60 Jahre Bundesliga_Kranz.png

Interviewer: "Jetzt sind Sie oben. Ist es schön, wieder ein gefragter Mann zu sein?" Neururer: "Wieso wieder? Ich war seit 1986 immer gefragt." Interviewer.: "Na ja, Sie waren während Ihrer Trainerkarriere insgesamt drei Jahre lang arbeitslos." Neururer: "Aber auch, als ich zu Hause gesessen habe, war ich gefragt. Nur habe ich da aus Überheblichkeit zu lange meine Situation verkannt. Als der erste, zweite, dritte in arger Not befindliche Erstligist anrief, war das nicht mein Ding. Da war Peter Neururer zu Höherem berufen! Als dann nur noch Zweitligisten anriefen, war ich erst recht zu Höherem berufen. Irgendwann rief leider keiner mehr an. Da bin ich in ein verdammtes Loch gefallen." Interviewer: "Und was war in diesem Loch?" Neururer: "Stille. Das Telefon klingelt nicht mehr. Es klingelt einfach nicht mehr. Ich dachte: ›Was ist hier los? Jetzt muss was passieren!‹ Wenn es dann doch mal klingelt, hofft man natürlich, dass Berlusconi vom AC Mailand dran ist, aber es ist nur die eigene Mutter."

"Hat gehupt, wenn er gegen einen Baum gefahren ist"

Das Interview, das Peter Neururer damals gab, ist einer dieser seltenen Augenblicke, in denen man noch fühlen darf, dass auch der aktuelle Fußball noch seine ganz persönlichen, menschlichen Momente hat. So antwortete der damalige Erfolgstrainer des VfL Bochum auf die Frage, ob der Intellektuellste in der Mannschaft stets Kapitän sein solle, mit diesen völlig unverfälschten und herrlich ehrlichen Sätzen: "Um Gottes willen! Ich habe mal einen Spieler gehabt, einen Kapitän, der war so was von dumm, der war dumm wie … dumm wie … (Einwurf des Interviewpartners: "Brot?") Ach, der hatte einen IQ, der so einzuordnen war wie die Temperaturen, die wir im Moment draußen haben, der war fast schon debil. Aber ein ü-ber-ra-gen-der Fußballer! Dem musste ich nichts erklären, der hat alles immer richtig gemacht. Intuitiv. Seine Fußballintelligenz war sensationell. Aber vom normalen Intellekt: katastrophal. Der hat gehupt, wenn er gegen einen Baum gefahren ist."

Gehupt haben sie am Ende der Saison auch bei seinem Verein, dem VfL Bochum. Geradezu sensationell konnte sich der Neururer Klub für den UEFA-Cup qualifizieren. Weil Dortmund im letzten Saisonspiel in Kaiserslautern nicht über ein Unentschieden hinauskam, der VfL zeitgleich jedoch Hannover 96 im heimischen Ruhrstadion schlug, reichte es für den fünften Tabellenplatz. Bochums Trumpf waren vor allem die ausländischen Spieler Vahid Hashemian, Raymond Kalla und Sunday Oliseh. Um den Teamgeist zu stärken, hatte Trainer Neururer ihnen verboten, sich in ihren Heimatsprachen zu unterhalten. Beim VfL sollte Deutsch gesprochen werden, so der Wunsch des Übungsleiters. Und die Anweisung von Coach Peter Neururer nahmen sich die Spieler zu Herzen. Als Oliseh doch einmal eine andere Sprache wählte, stutzte ihn Kalla mit einem verzagten Lächeln um die Mundwinkel zurecht: "Ey, Sunday, sprich Deutsch, du Arschloch!"

ANZEIGE
60 Jahre Bundesliga: Das Jubiläumsalbum
1
25,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Bis zu seiner Suspendierung (er verpasste Hashemian in der Halbzeitpause eines Spiels eine Kopfnuss) war Oliseh Bochums wichtigster Spieler und ein enger Vertrauter von Neururer. Vor der Saison sagte der Nigerianer bei einer Kabinenansprache zu seinen Mitspielern: "Männer, lasst uns einfach spielen und nicht den Maradona probieren!" Und freute sich anschließend sehr über die Reaktion von Coach Neururer: "Der Trainer hat gesagt: ›Genau!‹ Das werde ich nie vergessen."

Ailton fordert: "Champagne, Wasser, bier, brasilian"

Die Meisterfrage war in dieser Spielzeit 2003/04 bereits am 29. Spieltag quasi entschieden. Obwohl Bremen zu Hause nur 0:0 gegen Hannover spielte, gelang es den Bayern nicht, näher an Werder heranzukommen. Im Gegenteil. Mit 2:0 verlor man beim BVB und hatte fünf Partien vor Schluss bereits acht Punkte Rückstand auf den Tabellenführer von der Weser. Dort spielte der Franzose Johan Micoud eine herausragende Saison und war der gefeierte Star bei Werder. Sein Teamkollege Ivica Banovic beschrieb ihn so: "Micoud will immer gewinnen. Wenn es dann nicht so läuft, wird er ein anderer Mensch. Aber das muss er wohl sein, um so genial zu sein." In Bremen erinnerten sie sich in den Zeiten des Erfolgs an ihren alten Trainer Otto Rehhagel. Manager Klaus Allofs: "Der hat immer zu den Spielern gesagt: 'Jungs, wenn ihr Tabellenführer seid, gibt's nur eins: rauf aufs Sofa, Bier auf, Fernseher an, ARD-Videotext Tafel 253, die Tabelle angucken und den ganzen Abend anlassen - und dann nur noch genießen.'"

Mehr zum Thema

Dank einer Serie von 23 Spielen ohne Niederlage in Folge setzte sich Bremen nach der Winterpause von der Konkurrenz ab und war nicht mehr einzuholen. Die Meisterschaft sicherte sich das Team am 32. Spieltag durch ein souveränes 3:1 beim direkten Konkurrenten und Verfolger Bayern München. Im Entmüdungsbecken zog Torjäger Ailton vor laufenden Kameras blank und präsentierte sich der Fernsehnation in seiner vollen Pracht. Draußen auf der Tartanbahn des Olympiastadions hatte Ailton schon zuvor überschwänglich von seinen Plänen für den Rest des Tages erzählt: "Champagne, Wasser, Bier brasilian. Musse heute alles. Alle."

Man rätselt übrigens bis heute, wen genau Peter Neururer in seinem legendären Interview damals gemeint haben könnte. Auch bei dieser Passage kann man nur vermuten, wen der Trainer da im Kopf hatte. Interviewer: "Gibt es Spieler, die zu klug für den Fußball sind?" Neururer: "Einen hatte ich mal. Ein ganz wunderbarer Typ! Aber er hat sich über seine eigene Situation, über die Situation seines Gegenspielers, über die Sozialstrukturen in seiner Mannschaft so viele Gedanken gemacht, er hat mitten im Spiel alles so bilateral und multilateral behandelt - da war immer der Ball weg."

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen