
Willi Lemke, Werder-Legende.
(Foto: imago images/Sportfoto Rudel)
Saison 1983/84: Sportlich ist die Spielzeit höchstspannend, was ein Blick auf die Abschlusstabelle verrät. Doch auch abseits des grünen Rasens geht es hoch her. Ein Spielerberater sorgt für Furore - und manch kuriose wie frivole Geschichte.
Holger Klemme revolutionierte die Bundesliga auf eine Art und Weise, die nicht jedem gefallen konnte - denn die Geschäftspraktiken des "Erfinders des modernen Spieleragenten", wie die "Welt" ihn nannte, waren nicht nur ungewöhnlich, sondern auch stets schonungslos. Werder-Manager Willi Lemke konnte ein Lied davon singen, welch spezielle Vorgehensweise Klemme bei seinen Feldzügen - natürlich stets einzig und allein im Interesse der Profis - wählte.
Seinen Job als Spielerberater betrachtete der Mann aus Bad Godesberg so: "Ich knie mich voll rein für die Jungs - und die natürlich für mich." Dass Klemme durchaus medientauglich und eloquent war, bewies er schon früh in seiner Karriere, als er auf die Frage, was er denn erotisch fände, spektakulär und offenherzig antwortete: "Zwei Dinge: ein erfolgreich durchgezogenes Geschäft, das exakt nach meinem Plan ablief und bei dem beide Teile zufrieden sind, ohne dass ein Tropfen Blut floss. Zweitens: schlanke Frauen mit großem Busen."
Und dann hatte Holger Klemme in der WDR-Sendung "Ich stelle mich!" seinen großen Auftritt. Live im TV gab er einen seiner unglaublichen wie raffinierten Tricks bei Verhandlungen mit Klubvertretern preis: "Da laufen dann in der ersten halben Stunde fünf Runden Pils, mit der Absicht, mich müde zu machen. Aber nicht mit mir. Ich schalte dann immer ein paar Gläschen Fernet Branca dazwischen. Die darin enthaltenen Pflanzenstoffe bauen Alkohol wieder ab."
Klemme macht die Profis hellhörig
Holger Klemme genoss an diesem Tag seinen Auftritt in der Talkshow, bei der auch noch Willi Lemke und Michael Meier sowie Jimmy Hartwig zu Gast waren. Als Klemme schließlich in der Sendung für seine Geschäftspraktiken gerügt wurde, reagierte der umstrittene Spielerberater geschickt mit einem Konter - und plauderte eine brisante Geschichte über Willi Lemke aus. 1983 soll der langjährige Manager des Bundesligisten zwei völlig verzweifelte, weil bargeldlose Nationalspieler aus einem Rotlicht-Etablissement in Graz ausgelöst haben - allerdings nicht ganz uneigennützig.
Denn der pfiffige Lemke soll für diese Gefälligkeit in höchster Not eine harte Gegenforderung gestellt haben: die sofortige Vertragsverlängerung der beiden begehrten Spieler, fixiert auf einem Bierdeckel des Etablissements. Der Bremer Offizielle bestritt die Story später zwar, gestand allerdings gleichzeitig auch ein: "Mein Auftritt war ein Reinfall."
Im Gegensatz zu der Darbietung des Spielerberaters. Holger Klemme hatte Werbung für einen Berufszweig gemacht, der damals noch in den Kinderschuhen steckte. Doch spätestens nach dieser TV-Sendung waren die Herren Bundesliga-Profis hellhörig geworden. So einen wie Klemme konnten sie alle gut gebrauchen. Die Manager der Klubs hatten hingegen mit Klemme so ihre Probleme. Michael Meier, der damals neben dem Spielerberater in der Talkshow gesessen hatte, weigerte sich später, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Eine Spielzeit wie ein Sechser im Lotto
Einen Holger Klemme hätte in dieser Spielzeit 1983/84 wohl auch Wolfgang Kleff gut gebrauchen können - denn der ehemalige Nationalkeeper war sauer. Die Fortuna wollte seinen Vertrag nicht verlängern. Im letzten Saisonspiel ließ sich der Düsseldorfer Torwart deshalb in der 74. Minute unter dem Vorwand einer Verletzung auswechseln - drehte anschließend aber fröhlich trabend eine Runde durchs Düsseldorfer Rheinstadion. Unterwegs entkleidete Kleff sich Stück für Stück. Trikot, Stutzen, Schuhe und seine Handschuhe hatte er bereits ins Publikum geworfen, als Kleff vor der Haupttribüne beschwingt winkend ankam.
Langsam stoppte der Torhüter, drehte sich zum Spielfeld, streckte seine Beine durch, beugte den Oberkörper nach unten und zog in einem Rutsch seine Hose herunter. Kleffs nackter Hintern strahlte leicht von links nach rechts wackelnd dem erzürnten Fortuna-Präsidenten Bruno Recht mitten ins Gesicht. Des Torwarts trockener Kommentar im Anschluss: "Für die Fans gebe ich mein letztes Hemd, für manch anderen nur meinen Arsch!" Was für eine Show von dem Mann, den sie alle nur "Otto" riefen.
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Und überhaupt: Solch eine Spielzeit wie diese ist fast so selten wie ein Sechser im Lotto. Am Ende betrug die Differenz zwischen dem Meister VfB Stuttgart und den Bremern auf Platz fünf gerade einmal drei Punkte - dementsprechend spannend war das Saisonfinale, bis zum 33. Spieltag. Da gelang dem VfB vorzeitig sein Meisterstück. Stuttgart siegte bei Werder mit 2:1 und gewann, weil zeitgleich der Hamburger SV zu Hause gegen Eintracht Frankfurt mit 0:2 verlor, den Titel. Der VfB wies das deutlich bessere Torverhältnis als der HSV auf.
Trotz der engen Situation an der Tabellenspitze trauerte Fußball-Deutschland um ein echtes Endspiel, denn am letzten Spieltag trafen der VfB und der HSV im Neckarstadion aufeinander. Die Hamburger siegten gegen feiertrunkene Stuttgarter mit 1:0 und festigten ihren zweiten Platz. Am Ende hatten sowohl der Meister wie der HSV und der Dritte Borussia Mönchengladbach 48:20 Punkte auf ihrem Konto. Die Bayern wurden Vierter und hatten mit 47 nur einen Zähler weniger.
"Mama mia, ich mag doch keine Spaghetti"
In Stuttgart herrschte nach dem Titelgewinn Ausnahmezustand. Es wurde gefeiert, was das Zeug hielt. Oberbürgermeister Manfred Rommel war Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder sehr dankbar: "Unter deiner Präsidentschaft stieg der VfB aus dem tiefen Tal zu lichten Höhen!" Man fiel sich in die Arme, prostete sich zu und wurde ausgelassen. Nur einer hielt wie immer die Stellung: Willi Schöttle, der Stadionordner des VfB, bewachte zum Leidwesen der Journalisten die Katakomben ganz genau. Längst hatten sie ihm seinen Spitznamen verpasst: der "Bullenbeißer vom Betonbunker".
Am Ende verlor die Bundesliga einen ihrer ganz großen Stars. Karl-Heinz Rummenigge ging zu Inter Mailand. Lange Zeit hatte man vor allem in München noch gehofft, dass es sich der Bayern-Stürmer trotz des Millionen-Angebots noch einmal anders überlegen würde. Und als dann urplötzlich die "Abendzeitung" verkündete, Rummenigges fünfjähriger Sohn André habe gemeint: "Mama mia, ich mag doch keine Spaghetti", jubilierte man bereits. Umsonst. Eine sehr hohe, zweistellige Millionensumme wurde an den FC Bayern überwiesen. Ein Rekordtransfer für viele Jahre. Doch Rummenigge ging mit einem weinenden Auge aus München weg: "Das ist wie mit der ersten Liebe - die vergisst man auch sein ganzes Leben nicht!"
Zum Schluss noch eine dieser kuriosen Geschichten aus fast 60 Jahren Bundesliga. Auf der Geschäftsstelle der Gladbacher ging in dieser Saison eine seltsame Postsendung ein: die alte Heeresdienstvorschrift 12, "Anleitung zum Umgang mit Pferden und zur Reiterausbildung" aus dem Jahr 1937! Sehr eigenartig. Oder auch nicht. Denn adressiert war der Brief an das Borussen-Vereinsmagazin: "Fohlenecho"!
Quelle: ntv.de