
Machte in seinen 75 Jahren Dramatisches durch: Erwin Kostedde.
(Foto: imago images/WEREK)
Er war der erste schwarze Nationalspieler Deutschlands und ein irrer Typ mit unglaublichen Geschichten. Heute feiert Erwin Kostedde seinen 75. Geburtstag. Anlass genug, um auf ein bewegendes Leben mit vielen Höhepunkten und zahlreichen Nackenschlägen zurückzublicken.
"Ich will nicht mehr Fußball spielen. Am liebsten würde ich nur noch an der Theke stehen und saufen."
Es ist dieser eine Satz, der von Erwin Kostedde hängen geblieben ist - weit über seine fußballerischen Glanztaten und schlagzeilenträchtigen Geschichten abseits des grünen Rasens hinaus. Und wenn man nun das aktuell im Verlag Die Werkstatt erschienene Buch von Alexander Heflik "Erwin Kostedde: Deutschlands erster schwarzer Nationalspieler" liest, versucht man immer wieder, diesen Spruch des damals 21-Jährigen aus dem Kopf zu kriegen. Doch angesichts der bewegenden Lebensgeschichte Kosteddes will das einfach nicht gelingen. Dieser Satz beschreibt auf eine eigenartige Weise so präzise das fragile Wesen des früheren Bundesligastürmers, wie es viele Hundert andere Wörter nicht vermögen würden.
Im bereits 2018 erschienenen Buch "55 Jahre Bundesliga - das Jubiläumsalbum" gibt es diese eine Stelle, dieses eine Fragment aus der Saison 1967/68, das viele Leser stets so schwerlich mit den späteren Erfolgen des Mannes aus Münster in Einklang bringen konnten. Damals verdonnerte der MSV Duisburg seinen Spieler Erwin Kostedde zu einer hohen Geldstrafe und zu einer Sperre. Wie reagierte der Profi in dieser schwierigen Situation? Trotzig - auf eine seltsame, fast befremdlich wirkende Art und Weise. Er sagte damals einen weiteren denkwürdigen Satz: "Ich werde Bierzapfer oder Schweißer. Dann bin ich wenigstens glücklich!"
Doch was war eigentlich passiert? Kostedde hatte nach etlichen Unstimmigkeiten und Querelen seine Wohnung zum 1. April 1968 gekündigt und die gesamte Wohnungseinrichtung verkauft, obwohl diese dem MSV gehörte. Der Verein und die Fans wandten sich von ihm ab. Doch nicht alle. Dr. Büning, damals leitender Arzt am Unfallkrankenhaus in Duisburg, zeigte trotz der Eskapaden Verständnis für den jungen Kostedde: "Erwin ist ein schwerer Fall. Aber Trainer Lorant und auch einige andere Vorstandsmitglieder haben lediglich den Spieler Kostedde, nicht aber den Menschen Kostedde gesehen. Mit Lorants Einstellung, Kostedde ist Profi, er muss wissen, was er tut, kann man einen 21-Jährigen nicht behandeln. Erwin floh deshalb immer wieder, weil er sich nirgends zu Hause fühlt."
"Was noch schlimmer ist als rassistische Beleidigung?"
Und tatsächlich sagt der nun 75-jährige Kostedde in Hefliks Buch rückblickend: "Ich habe mich immer abgesondert. Kleinigkeiten haben mich fertig gemacht." Mit dem zeitlichen Abstand sieht der ehemalige Nationalspieler seine Fehler ein: "Ich wollte immer gerade sein, das ging dann auch ein paar Tage. Das andere war, dass ich immer ein schräger Typ war. Man konnte sich einfach nicht auf mich verlassen." Doch sein fußballerisches Talent war einfach zu groß. Auch wenn er häufig Fehler machte, Menschen enttäuschte und vor allem sich selbst ein ums andere Mal im Wege stand - Erwin Kostedde schaffte es auf die große Fußballbühne. Er schoss so viele Tore, dass selbst die Nationalmannschaft nicht um ihn herumkam. Und das war in seinem Fall noch aus einem Grund etwas Besonderes: Denn Kostedde wurde der erste Schwarze im DFB-Trikot.
Doch immer wieder riss ihn das Leben aus der Bahn. Mit Geld konnte Kostedde nicht umgehen, Alkohol trank er viel zu viel und im sportlichen Bereich traf er so manche fatale Fehlentscheidung. Kostedde weiß selbst am besten, dass er fast alle Chancen in seiner Karriere liegen ließ - und dennoch aufgrund seiner herausragenden Klasse eine erstaunliche Laufbahn absolvierte. Wäre da nicht seine Unfähigkeit gewesen, das viele verdiente Geld sinnvoll zu investieren, er hätte im fußballerischen Ruhestand ein gutes Leben mit seiner Frau und seinem Kind haben können. Doch es kam anders. Ganz anders. Dramatisch anders.
Das einmal erarbeitete Geld war im Sommer 1990 schon lange weg. Doch das, was dann am 23. August über die Familie Kostedde hereinbrach, übertraf alles - und endete bei Erwin mit verzweifelten Versuchen, sich das Leben zu nehmen. Von einer Sekunde auf die andere war nichts mehr, wie es einmal war. Erwin Kostedde weiß, dass ihm das alles, was dann geschah, bis heute "nachhängt": "Alles Geld dieser Welt kann diesen Albtraum nicht auslöschen. Wissen Sie, was noch schlimmer für mich ist als rassistische Beleidigung? Wenn mich jemand 'Knacki Kostedde' nennt. Der Prozess war mein Todesurteil."
"Es geht mir schlecht"
Als die Polizei die Familie an diesem August-Nachmittag anhielt, scherzte Kostedde noch. Er fragte die Beamten, ob er vielleicht eine Oma überfallen habe. Doch das Lachen verging ihm schnell. Man warf ihm den Überfall auf eine "Spielothek" in Coesfeld vor. Ein Kioskbesitzer war sich sicher, Erwin Kostedde erkannt zu haben. Doch der ehemalige Bundesligastar stammelte nur immer wieder: "Ich war das nicht!" Später sollte ein Gericht die Unschuld von Kostedde bestätigen. Doch zu diesem Zeitpunkt wäre es beinahe schon zu spät gewesen. Die Wochen und Monate in der Untersuchungshaft hatten ihn zermürbt: "Ich konnte einfach nicht mehr!" Kostedde versuchte sich das Leben zu nehmen - und scheiterte. Gott sei Dank.
- Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
Sein aktuelles Buch "60 Jahre Bundesliga. Das Jubiläumsalbum" ist ein moderner Klassiker aus dem Verlag "Die Werkstatt"
Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
So dramatisch und packend die Schilderungen Kosteddes Leben im Buch sind, so abrupt stoppen sie. Vor 26 Jahren. "Es ist das Jahr 1995. Hier endet seine Geschichte im Fußball, die Zeit bleibt stehen. In allen Bereichen." Doch in Wahrheit ging das Leben des Erwin Kostedde natürlich weiter. 2016 bat der ehemalige Nationalspieler den Journalisten und Autoren Alexander Heflik nach vielen gemeinsamen Gesprächen schließlich: "Sie müssen das Buch jetzt über mich schreiben." Es dauerte noch einmal fünf Jahre, bis es fertiggestellt war. Und jedes Mal, wenn sie sich trafen, beantwortete Kostedde die Frage, wie es ihm denn heute gehe, mit derselben Antwort: "Schlecht. Es geht mir schlecht!"
Heute feiert Kostedde seinen 75. Geburtstag. Man kann ihm an diesem Tag nur wünschen, dass ihm das Leben noch einmal zeigt, dass es nicht so schlecht ist - wie es leider viel zu häufig zu ihm war. Alles Gute, Erwin Kostedde!
Quelle: ntv.de