Redelings über den Kauz Verbeek Der pöbelnde Egozentriker hat überreizt
11.07.2017, 10:58 Uhr
Schwieriger Charakter: Mit seiner Art kam Trainer Gertjan Verbeek nicht überall beim VfL Bochum gut an.
(Foto: imago/Bernd König)
Er hat die "Bild"-Reporter wüst beleidigt, die Fans verärgert und den Vorstand brüskiert. Lange stellt sich der VfL Bochum schützend vor seinen Coach Gertjan Verbeek - der aber verscherzt es sich konsequent und kollektiv.
In den Niederlanden gibt es das alte Sprichwort: "Het leven is geen zoete krentenbol." Das Leben ist kein Rosinenbrötchen. Die süßen Schrippen isst man bei unseren Nachbarn gerne zum geselligen Brunch mit einem Stück Käse drauf. Diese Mischung aus süß und herzhaft beschreibt ganz gut die Amtszeit des Gertjan Verbeek beim Fußball-Zweitligisten VfL Bochum. Seit heute ist sie vorbei!
Intern brodelte es indes schon länger. Egal, wohin man sein Ohr in den letzten Wochen und Monaten hielt, es kam aus der Herzkammer des Vereins kein einziges positives Wort mehr über Gertjan Verbeek. Das Innenverhältnis zu vielen Menschen des Klubs hing nur noch an einem dünnen seidenen Faden: Es war die vertragliche Bindung des Trainers mit dem Verein. Und dass diese weiterhin bestand, dafür war am Ende wohl nur noch die schützende Hand des Sportvorstands Christian Hochstätter verantwortlich.
Ein Vorfall im Trainingslager und nicht zuletzt die schwachen Ergebnisse auf dem grünen Rasen ließen nun aber auch dem Manager des VfL keine andere Wahl. Heute wird in Bochum das Mannschaftsfoto geschossen - ohne Gertjan Verbeek, dafür aber wahrscheinlich mit dem neuen Übungsleiter, Ismail Atalan, dem Ex-Trainer der Sportfreunde Lotte. So ist Fußball!
Zwischen Kult und Krawall
Als Gertjan Verbeek 2014 beim 1. FC Nürnberg entlassen wurde, hatte der Verein gerade eine seiner kuriosesten und turbulentesten Spielzeiten der Klubhistorie hinter sich. Als erste Mannschaft der Bundesligageschichte schaffte es der Club, eine komplette Hinrunde lang sieglos zu bleiben. Nur für kurze Zeit sorgte damals ein sympathischer Liga-Neuling aus den Niederlanden an der Seitenlinie für Hoffnung beim ehemaligen Bundesligameister. Gertjan Verbeek begeisterte die Fans durch seine erfrischende Spielweise: "Wenn man etwas erschaffen will, muss man offensiv denken, beim Defensivdenken wird man nicht kreativ."
Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".
Doch noch vor dem endgültigen Abstieg musste Verbeek bereits wieder seine Koffer packen und meinte: "Ich hoffe, dass ich 90 Jahre alt werde. Dann kann ich sagen, ich hätte 100 werden können. Aber ich habe in Nürnberg gearbeitet." Und nicht nur der Niederländer trauerte der kurzen Zeit beim Club hinterher. In einer Zeitungsanzeige meldeten sich wütende Club-Anhänger zu Wort: "Es ist an der Zeit, auf die Stimme der Fans zu hören. Wir fordern die Rückkehr von Gertjan Verbeek." Dazu kam es bekanntermaßen nicht – aber der Name Verbeek hatte sich in den Köpfen der Bundesliga-Macher nachhaltig eingebrannt.
Und so verpflichtete Christian Hochstätter den 54-Jährigen als Nachfolger von Peter Neururer. Was damals gleich bei der ersten Trainingseinheit auffiel: Gertjan Verbeek schien nicht auf den Mund gefallen zu sein. Als beim 5-gegen-5-Spiel die ersten Akteure es etwas ruhiger angehen ließen, schrie Verbeek über den Platz: "Nicht ausruhen. Das machen wir heute erst nach dem Training!" Und als ein Fan den Coach fragte, "Geben Sie nach einer 0:3-Niederlage auch frei?", antwortete dieser nach einem Moment der Irritation: "Wir verlieren nicht!"
Eskalation mit der "Bild"
Die offene und direkte Art des Niederländers kam in der Ruhrgebiets-Metropole an. Als Übungsleiter des AZ Alkmaar war Verbeek einmal gefragt worden, warum niederländische Vereine keine Europapokale mehr gewinnen würden. Er antwortete: "Wir haben kein Schwarzgeld!". Als der Übersetzer daraus machte, "Weil wir weniger Geld haben", wies ihn Verbeek wütend zurecht, er solle gefälligst genau übersetzen. Die spezielle Art des Niederländers war in Bochum also bekannt, als man ihn verpflichtete.
Und so war es schließlich kein Wunder, als im September 2015 ein lange schwelender Streit mit der Boulevardpresse eskalierte und am Ende zum Ausschluss einiger Medienvertreter der "Bild" bei den Pressekonferenzen des VfL Bochum führte. Der eigentliche Aufhänger ist bis heute exemplarisch für die vielen Missverständnisse, die das menschliche Binnenverhältnis zwischen Verbeek und einigen Offiziellen prägte.
"Verbeek spricht vom Meistertitel", hatte die Boulevardzeitung getitelt und sich dabei auf einen TV-Ausschnitt von Sport1 bezogen. Das Problem war ein sprachliches. Verbeek hatte gemeint, natürlich habe der VfL in jeder Saison als Verein die "Ambition" Meister zu werden, aber von diesem "Ziel" könne in dieser Spielzeit nicht die Rede sein. Im Niederländischen gibt es einen großen Unterschied zwischen dem Wort "Ambitie" (Ambition) und "doel" (Ziel). Doch solche Zwischentöne werden im wilden Blätterrauschen der Auflagenmacher gerne überhört. Mehr noch: Verbeek musste sich gefallen lassen, dass man ihn, den Ausländer, ermahnte, sich doch bitte korrekt und verständlich zu äußern.
"Warum schreibt ihr immer so eine Scheiße?"
Als er es schließlich in dieser mittlerweile legendären Pressekonferenz tat, fiel man ihm ins Wort. Denn das Ziel der Boulevard-Leute hatte Verbeek da längst durchschaut gehabt und es auch so gesagt: "Warum schreibt ihr immer so eine Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus?" Er fügte noch etwas an, für das er in den sozialen Medien gefeiert wurde, weil es durchaus gerechtfertigt ist und war - aber so nie von ihm als offiziellen Vertreter des Vereins hätte gesagt werden dürfen: "Ihr seid Arschlöcher!"
Als die Mannschaft "offensiv dachte" und auch so spielte, konnte sich Verbeek seine menschlichen Defizite erlauben. Doch als zuletzt die Entwicklung des Teams stagnierte und die Ergebnisse immer schlechter wurden, wurde auch die Luft für den Coach immer dünner. Mit Gertjan Verbeek verlässt ein typischer Vertreter der niederländischen Trainerzunft die deutsche Fußballbühne. Als streitbaren Typen und als ein echtes Original wird man ihn vermissen. Aber ob die Fans des VfL wie damals in Nürnberg per Zeitungsanzeige seine Rückkehr fordern werden, darf bezweifelt werden.
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Quelle: ntv.de