Redelings Nachspielzeit

Sepp Maiers ewiger Rivale Die kuriose Story von einem (fast) geheimen Buch

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Nigbur und Maier - zwei so unterschiedliche Typen und Torhüter.

(Foto: imago/WEREK)

An Norbert Nigbur scheiden sich die Geister. Er hält sich für die unangefochtene Nummer Eins im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft - anders als die Bundestrainer. Dann sind da auch noch seine Querelen mit Schalke. Alles nachzulesen in seinem Buch - wenn es das denn noch irgendwo geben würde. Heute wird Nigbur 75.

"Fußball und ich sind nicht zu trennen. Man hat es versucht. Wie Sie wissen, vergeblich." Es sind die ersten Zeilen eines der kuriosesten Fußballbücher, die je erschienen sind. Denn nur kurz nachdem Norbert Nigbur im September 1976 diese Sätze im Vorwort seines Buchs "Wie ich wurde, was ich bin" geschrieben hatte, wurde das frisch ausgelieferte Werk auch bereits wieder aus dem Handel entfernt. Gerüchte besagen, dass Norbert Nigbur sogar eigenhändig Buchhandlungen angefahren haben soll, um alle Exemplare wieder einzusammeln. Doch egal, ob diese ganz spezielle Anekdote stimmt oder nicht: Es ist tatsächlich so, dass heute maximal noch eine Handvoll der Bücher von damals existieren.

Norbert Nigbur war im Sommer 1976 nach zehn zumeist erfolgreichen (DFB-Pokalsieger und Vizemeister 1972), aber auch überaus turbulenten (Bundesligaskandal und Prozess rund um den sogenannten "FC Meineid") Jahren nach Berlin zur Hertha gewechselt. Seine Hoffnungen, doch noch einmal zur Nummer eins im Kasten der deutschen Nationalmannschaft zu werden, hatten sich mittlerweile allerdings fast komplett zerschlagen - auch wenn eine "japanische Weisheit" zum Start seines Buchs ein Fünkchen Resthoffnung noch erkennen ließ: "Die Geduld nicht verlieren, auch wenn es unmöglich scheint. Das ist Geduld."

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Dennoch hielt Nigbur es für besser, sein gerade ausgeliefertes Buch wieder einzusammeln - denn mitten in der Blüte seiner Karriere hatte er ziemlich dick aufgetragen und fürchtete nun um den Fortgang seiner Laufbahn. Seine Schilderungen über sich in der dritten Person ("Ich werde über mich wie über einen Fremden berichten") hatten in der Tat an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen. Aus der Zeit vor der WM 1974 zitierte er zum Beispiel aus der "Westfälischen Rundschau" ausgerechnet diese Stelle: "Fürs Tor hat der Bundestrainer nun freilich die Qual der Wahl: Norbert Nigbur ist dem Münchener Maier nicht nur ebenbürtig, er ist besser - weil sicherer, ruhiger, zuverlässiger." Es ist noch eine der harmloseren Stellen in einem Buch, das zwischen seltsamer Selbstbeweihräucherung und emotionaler Schilderung seines Werdegangs zu einem "der Großen im Fußballtor" schwankt. Elf Jahre bevor Nationaltorhüter Toni Schumacher mit seinem Werk "Anpfiff" seine Karriere in eine Schieflage brachte, zog der ewig streitbare Nigbur gerade noch rechtzeitig an der Reißleine.

Nur wer Schnupftabak nimmt, ist ein Weltklasse-Torwart?

Und so konnte Norbert Nigbur Jahre später locker-flockig über sein immer noch intaktes Verhältnis zu seinem ehemals so hart attackierten Nationalmannschaftskollegen berichten: "Ich verstehe mich mit dem Sepp prima. Wir haben immer zusammen in einem Zimmer geschlafen, wenn wir bei der Nationalelf waren. Ich habe von ihm viel gelernt. Von ihm habe ich auch die Liebe zum Schnupftabak übernommen. Er sagte mal zu mir: Wenn du ein Weltklasse-Torwart werden willst, musst du regelmäßig schnupfen. Ich tue das bis heute!"

Apropos Toni Schumacher: Manchmal spielt das Leben schon verrückt - denn Norbert Nigbur war indirekt an der großen Karriere des Kölners beteiligt. Denn nach seinem Abstecher nach Berlin hatte Nigbur bereits einen fix und fertig ausgehandelten Vertrag beim 1. FC Köln unterschrieben. Doch dann saß er gemütlich am Mittagstisch, als ihn eine schwere Verletzung heimsuchte. Was damals genau geschehen ist, kann der Torhüter bis heute nicht sagen. Was er aber weiß: Verzweifelt versuchte er an diesem Tag aufzustehen, doch das Knie war plötzlich unbeweglich. Nigbur hatte sich beim gemütlichen Essen zur Mittagsstunde den Meniskus eingeklemmt und musste anschließend operiert werden.

Zum Autor
  • Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
  • Sein aktuelles Buch "60 Jahre Bundesliga. Das Jubiläumsalbum" ist ein moderner Klassiker aus dem Verlag "Die Werkstatt"

  • Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.

Warum das für Toni Schumacher so wichtig war? Den erfolgshungrigen, vor Energie und Selbstvertrauen strotzenden, Keeper der achtziger Jahre gab es damals noch nicht. Fast fahrlässig war Schumacher bis dahin all die Jahre mit seinem Talent umgegangen. Doch das Schicksal meinte es gut mit dem kölschen "Tünn". Als sich Nigbur beim Mittagessen verletzte, spielte Schumacher plötzlich groß auf. Und sein Trainer, der legendäre Hennes Weisweiler, der den Nachwuchskeeper bereits intern abgeschrieben hatte, besann sich überraschend eines Besseren und klopfte dem Kölner Torhüter anerkennend auf die Schulter: "Jung', du bleibst, du bist jetzt mein Mann!" Wenn Schumacher sich heute an diese Zeit zurückerinnert, wird ihm immer noch bewusst: "Bis dahin war ich eine Wurst!" Nigburs Unglück sei Dank, bekam Schumacher damals eine zweite Chance.

"Der Junge ist kein Kerl"

Zur Hertha war Norbert Nigbur zur Spielzeit 1976/77 gewechselt, weil er überhaupt nicht mit dem Schalker Trainer Max Merkel klargekommen war. Es war damals von Anfang an ein Hass-Verhältnis (Nigbur: "Mit dem Typ kommst du nicht klar") zwischen den beiden, das von bösen Sticheleien lebte. Trainer Max Merkel: "Ich hatte gedacht, dass wir nach dem Kauf von Mutibaric (Anm.d.Red.: Dragan, ehemaliger jugoslawischer Torhüter) zwei erstklassige Keeper hätten, in Wirklichkeit haben wir jetzt gar keinen Klassetorwart." Schon bald blieb Nigbur an den Spieltagen zu Hause.

Auch Präsident Günter Siebert gab den langjährigen Erfolgskeeper mit harten Worten damals auf: "Er hat die innere Ruhe nicht mehr. Er ist zu unstet. Außerdem ist er uneinsichtig. Der Junge ist kein Kerl. Ihm fehlt die innere Einstellung. Er denkt nicht an die Mannschaft, sondern nur an sich selbst. Anstatt einmal zuzugeben, dass er Schuld hat, dass er schlecht war, sucht er nach Ausflüchten. Einmal ist der schuld, dann der!" Nigbur regierte auf Sieberts Erklärungsversuche wie zur Bestätigung: "Es gibt im Grunde kein Problem Nigbur. Natürlich habe ich Fehler gemacht, aber machen die nicht auch andere?" Als die Lage allmählich eskalierte, fragte Max Merkel nach einem Spiel in der Pressekonferenz: "Was wäre wohl, wenn Nigburs Gehalt einmal an der großen Anzeigetafel im Stadion leuchten würde, und die Leute würden das dann mit den gezeigten Leistungen vergleichen."

In seinem Buch schrieb Nigbur schließlich über seinen Ex-Trainer Max Merkel: "Der Mann war von einer Unsachlichkeit, wie ich sie nicht für möglich gehalten hätte." Überraschend für viele kehrte Nigbur dann aber nach seiner Zeit bei der Hertha im Jahr 1979 zurück in die alte Heimat. Doch das ging auch nicht lange gut. Zur Saison 1980/81 war Wolfgang Grupp, der Besitzer des Schalker Trikotsponsors "Trigema", entsetzt ob der Leistung des königsblauen Torwarts: "Der dürfte bei mir nicht einmal den Hof fegen. Der hat die Mannschaft um den Sieg gebracht. Einen solch arroganten Kerl sollte Schalke rausschmeißen." Und tatsächlich blieb Nigbur in der Spätphase seiner Karriere eher der streitbare Typ, der nur noch selten auf dem grünen Rasen überzeugen konnte - wie eine Story aus dem Sommer 1983 zeigt.

Damals wurde Norbert Nigbur vor dem Arbeitsamt Gelsenkirchen abgelichtet, wie er gerade in seinen hellen Mercedes 230 E stieg. Die Haare wehten lockig-leicht auf dem Kopf, die getönte Sonnenbrille bedeckte das halbe Gesicht und das hautenge rote Shirt - über dem im Brustbereich eine Goldkette prangte - war akkurat in die schwarze Lederhose gesteckt. Trotz des herrlichen Sonnenscheins wirkte Nigbur nicht glücklich. Auf die Frage eines Reporters, was er denn in der vielen freien Zeit so anstelle, antwortete er mürrisch-humorvoll: "Ich blättere in meinen Angeboten."

Beim Fünftligisten ein Zuschauermagnet

In der übrigen Zeit spielte er Tennis ("Das ist für einen Torwart wegen der Reflexe und wegen des Ballgefühls besser als alles andere") oder trainierte mit den Jungs des Amateurligisten Horst Emscher. Als der ehemalige Nationaltorwart schließlich irgendwann erkannte, dass da wohl doch keine allzu verlockenden Angebote mehr ins Haus flattern würden, heuerte er endgültig beim heutigen VfB Hüls, einem Fünftligisten, an.

Nigbur, der König der Provinz, lockte zu seinem ersten Spiel gegen den FC Rhade gleich eine hohe vierstellige Zuschauerzahl ins Stadion. Doch als im Spätherbst der Rasen einmal unbespielbar war und eine Partie auf Asche ausgetragen werden sollte, weigerte sich Nigbur mitzumachen. Er verwies auf seinen Vertrag, wo stand, dass er nicht auf Asche trainiere und spiele. Und so blieb er bei laufendem Motor, eingeschalter Heizung und Scheibenwischer im Auto sitzen und schaute dem schlammigen Treiben seiner Kollegen aus dem Trockenen zu.

Nigbur träumte in diesen Minuten wohl von früher. Von den guten alten Zeiten und von der "Truppe von 72" rund um den Kapitän Stan Libuda: "Die schossen vorne ständig zwei mehr, wenn ich hinten einen reinließ. Ohne viel Aufhebens. Nur so ...". Und dann dachte er am Ende immer an ein anderes, verpasstes Leben: "Als junger Kerl wollte ich eigentlich Trabrennfahrer werden! Mein Opa hatte einen Bauernhof, ich bin mit Pferden und Stroh aufgewachsen. Leider ist es mit der Ausbildung zum Trabrennfahrer dann nichts geworden, die Stelle war schon besetzt."

Zweifelhafte und echte Gratulationen

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Nigbur besaß damals ein Mehrfamilienhaus in Gelsenkirchen. Die halbe Schalker Mannschaft hatte zu Zeiten des Bundesliga-Skandals in dieser Wohngegend gebaut. Irgendwann musste genau das auch ein Scherzkeks mitbekommen haben, denn er pinselte ein großes Schild und rammte es vor der Siedlung in den Boden: "Hier baut Arminia Bielefeld". Das war genau die Sorte Scherz, über die der damals arbeitslose Norbert Nigbur nicht wirklich lachen konnte.

Bochums legendärer Stürmer Hans Walitza hat einmal nach einem Spiel kurz vor dem Ende der sagenhaften Schalker Saison 1971/72 über den Keeper der Königsblauen, Norbert Nigbur, gesagt: "Er hat heute die doppelte Siegprämie verdient!" Anschließend ließ es sich der Bochumer Mannschaftskapitän Walitza nicht nehmen, dem Retter des Schalker Auswärtssieges "spontan zu seiner Superleistung zu gratulieren". In diesem Sinne, lieber Norbert Nigbur, alles Gute und Glück auf zum heutigen 75. Geburtstag!

Quelle: ntv.de

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