
Michael Rummenigge hört Schallplatten.
In Zeiten, in denen Fußballprofis noch nicht jedes Wort zusammen mit PR-Profis ausheckten, passierten Dinge, die die Offiziellen in arge Bedrängnis brachten - vor allem dann, wenn sie erst später von dem Schlamassel erfuhren. Wie in dieser unrühmlichen Geschichte des Jungprofis Michael Rummenigge.
Der kleine Bruder des großen Nationalspielers Karl-Heinz Rummenigge durfte bereits mit 19 Jahren am letzten Spieltag der Saison 1982/83 das erste Mal im Bayerndress auflaufen. Und das tat er so überraschend gut, dass er im darauffolgenden Jahr sogar schon elfmal sein schönstes Tor-Lächeln den Zuschauern im Fernsehen zeigen konnte. Der schnelle Erfolg machte aus dem Sohn eines einfachen Arbeiters aus Lippstadt einen aufstrebenden Jungstar, der sich der Öffentlichkeit abseits des grünen Rasens gerne im gepflegten Zweireiher mit Blümchenkrawatte präsentierte - oder in weiße Tennissocken gekleidet auf seinem schwarzen Auto sitzend. Kurzum: Alles lief rund - bis zu diesem einen Tag im Frühjahr 1984.
Damals drehte ein Team des WDR eine Reportage zum Thema "Der Bruder des Stars". Michael Rummenigge hatte man vorher gesagt, er solle einfach so sein wie immer. Und um ein umfassendes Bild von seinem Leben als Nachwuchshoffnung des FC Bayern zu bekommen, begleitete das Filmteam Rummenigge nicht nur privat, sondern auch zu seinen öffentlichen Terminen. Und bei einem dieser Auftritte für einen Sponsor passierte es dann schließlich.
Der Marsch der Arbeitslosen
Um das Ende vorwegzunehmen: Noch am Abend der TV-Erstausstrahlung an einem trüben Novembertag machte sich eine Gruppierung namens "Teamwork Arbeitslose '84" in einem Protestzug vom Münchner Pfarrheim Heiligkreuz auf den Weg vor die Grünwalder Villa Rummenigges. In der Folge spielten sich groteske Szenen ab. Ein Sprecher des Demonstrationszugs nannte den smarten Star der Dokumentation den "Jungen mit den Eierschalen hinter den Ohren". Die Assoziation mit dem damals sehr populären tollpatschigen, kleinen schwarzen Zeichentrick-Küken aus Japan, das eine halbe Eischale auf dem Kopf trug, lag da nahe: "Calimero, mit Sombrero, Küken aus Palermo, du bist unser großer Hero."
Doch nach Singen war der erzürnten Menge nicht zumute. Die Arbeitslosen schmissen ihre Eintrittskarten weg und drohten mit weiteren Konsequenzen. Der FC Bayern war in Aufruhr und musste sich doch erst einmal auf die Schnelle eine VHS-Kassette des Films aus Köln kommen lassen. Keiner der Männer aus der Führungsriege hatte die Dokumentation live angeschaut. Was sie dann jedoch gemeinsam vor dem Fernsehgerät zu sehen bekamen, ist auch knapp 40 Jahre später noch genauso legendär wie spektakulär.
Anlässlich einer Telefonaktion eines Sponsors auf der Hannover-Messe redete Michael Rummenigge in einem gemütlich hergerichteten Wohnzimmerambiente mit einem Schlosser am anderen Ende der Leitung. Der Mann war offensichtlich sauer - doch leider verstand man ihn nur sehr, sehr undeutlich. Die Worte des jungen Fußballprofis im gewohnten Outfit des Wall-Street-Bankers klingelten dagegen umso kräftiger in den Ohren der Zuschauer. Mit weit aufgerissenen Augen schaute Rummenigge in die Kamera: "Wir haben freie Marktwirtschaft und leben nicht in der DDR. Jeder muss selber wissen, was er mit seinem Marktwert anstellt. Man nimmt das, was man kriegen kann!"
"Dieser dumme Spruch"
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Die Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung wurde lauter. Und auch Rummenigge war außer sich. Das hatte er sich von seinem Ausflug in die Welt der Wirtschaft und des Geldes so nicht erwartet. Empört blickte er auf den teilnahmslos dreinschauenden Reporter neben sich. Mit nur noch einem halben Ohr hörte der Bayernspieler dem erregten Schlosser zu. Dann war der Ofen für ihn endgültig aus: "Hören Sie mal, Sie sind Schlosser, von Ihnen gibt es 50.000. Da kann ich doch nichts dafür, dass ich Bundesligaspieler bin. Sie bringen die Spitzenleistung einfach nicht!". Rummenigge strich sich schnell eine blonde Strähne aus dem Gesicht: "Was können wir denn dafür? Das sind Laberer, die sich profilieren wollen", sagte der Nachwuchskicker und schob den Kernsatz seiner Ausführungen noch einmal zur Verdeutlichung hinterher: "Der bringt die Spitzenleistung halt nicht!"
In München läuteten nach der Sichtung des Materials bei Uli Hoeneß alle Alarmglocken. Man war entsetzt. Ob nur gespielt für die Öffentlichkeit oder wirklich empört - lässt sich heute nicht mehr sagen, aber der Manager des FC Bayern ließ verlauten: "Würde Michael nicht Einsicht zeigen, müssten wir uns Gedanken machen, ob wir ihn bei uns behalten können." Doch natürlich zeigte sich Rummenigge reumütig. Wie konnte es auch anders sein, wenn die eigene Familie doch ein ähnliches Schicksal hatte durchmachen müssen - wie man der rührseligen Pressemitteilung des FC Bayern München damals entnehmen konnte: "Heinrich Rummenigge, pensionierter Werkzeugmacher aus Lippstadt, Vater zweier Fußballprofis, war Arbeitsloser für ein halbes Jahr."
Als Rummenigge schließlich fünf Spielzeiten später nur siebzig Kilometer von seinem Geburtsort entfernt, in Dortmund, der damaligen Stadt der schwarz-gelben Massenarbeitslosigkeit, kickte, holte ihn das verhängnisvolle Gespräch mit dem Schlosser schnell wieder ein. Erstaunlich weitsichtig beklagte er damals schon sein eigenes Schicksal: "Mein Gott, dieser dumme Spruch verfolgt mich bis an mein Lebensende." Wie wahr!
Quelle: ntv.de