Putin lobt Tschertschessow Der stoische Anpeitscher
08.07.2018, 15:41 Uhr
Warum jubelt ihr nicht?!
(Foto: dpa)
Er steht in der Coaching Zone, animiert wie wild das WM-Publikum: Russlands Trainer Tschertschessow sind viele Methoden recht, die sein Team nach vorne peitschen. Seine Mentalität, Befehlston und Medienarbeit sind ungewöhnlich - aber erfolgreich.
Er schaut immer etwas mürrisch rein, wenn er im dunklen Anzug am Spielfeldrand steht und seine russischen Jungs heftig gestikulierend coacht: Stanislaw Tschertschessow ist nicht gerade Everybodys Darling, sondern eher eine Art Drill Instructor. So hat er seine Sbornaja wieder auf Erfolgskurs gebracht - und ein kleines Sommermärchen an der Wolga geschaffen. Seine WM-Mission hätte auch nicht größer sein können: Die Ehre als WM-Gastgeber wiedererlangen und das Volk und den Präsidenten Wladimir Putin mit Siegen und Erfolgen glücklich machen. Dieser hat ihm nach dem dramatischen Viertelfinal-Aus gegen Kroatien angerufen und ihm zu einem "großartigen Spiel" gratuliert.
Seine Spieler sollen gehorchen und arbeiten - reden ist nebensächlich. Das merkt man auch daran, dass Tschertschessow mit Mario Fernandes einen Star ins Nationalteam geholt hat, der kein Wort Russisch spricht. Doch laut des Trainers ist das alles gar kein Problem, auch ohne die Russisch-Kenntnisse wisse Fernandes worum es geht. Ja, Tschertschessow mag es gerne unkonventionell.
Der 54-Jährige selbst war in seiner aktiven Zeit Torhüter und spielte in Österreich (unter Joachim Löw beim FC Tirol) und in Deutschland bei Dynamo Dresden. Er spricht deshalb fließend Deutsch. Vielleicht hat Tschertschessow daher seine preußische Disziplin, die er gerne auch seinen Spielern einimpft. 50 Mal stand er im Tor des Nationalteams: Für die Sowjetunion, die GUS sowie die Russische Förderation. Der Trainer hat also nicht nur drei verschiedene Nationalteams erlebt, sondern auch viele Umbrüche. Vielleicht ist auch das ein Charakteristikum für die ganz eigenen Methoden und Eigenschaften des 54-jährigen Russen, der im Kaukasus geboren wurde. Am Spielfeldrand hat er fast immer den gleichen stoischen Gesichtsausdruck.
Eigenarten hat Tschertschessow auch im Umgang mit Journalisten. So antwortete er beispielsweise auf die Frage eines italienischen Journalisten, ob er zu WM-Beginn das Vertrauen der Bevölkerung vermisst habe: "Es gab kein einziges Team bei dieser WM, das die volle Unterstützung seiner Nation hatte. Wo kommen Sie her? Italien? Da lagen Sie absolut richtig, ihrem Team nicht zu vertrauen." Doch vielleicht ist gerade diese krawallige Art sein persönlicher Erfolgsfaktor. Die Spieler gehorchen ihm jedenfalls ehrfürchtig.
Auf Knopfdruck WM-Euphorie
Da fegt Tschertschessows Team Saudi-Arabien gleich zu Beginn des Heim-Turniers mit 5:0 aus dem Stadion und schon kann der ruppige Trainer gleich ein wenig WM-Euphorie entfachen, an die vorher so recht wohl niemand geglaubt hat. "Sowjetski Sport" schreibt euphorisch: "Unsere Sbornaja hat uns unsere Liebe zurückgegeben." Mit dem Erfolg kommt die Feier-Stimmung, die das Team unverhofft in die besten Acht des Turniers trägt. Früher verspottet, wird die russische Mannschaft und der Trainer nun gelobhudelt und gefeiert. Der stellvertretende Vizeministerpräsident Witali Mutko sagte: "Tschertschessow hat eine Mannschaft geformt. Es gibt ein Team, das Team hat eine Idee, und es arbeitet auf das Ergebnis hin."
Das Ende der großen WM-Reise ist das Viertelfinale in Sotschi. Doch Tschertschessow lässt nichts unversucht und will das heimische Publikum in den entscheidenden Minuten der Verlängerung hinter sich wissen. Er guckte böse und wedelt mit dem Armen in Richtung der russischen Fans. Und es gelingt. Russland gleicht Last-Minute aus, Elfmeter-Thriller. Smolov und Fernandes flattern die Nerven. Es reicht nicht, um den Traum der Heim-WM weiter zu leben. Der Trainer reagiert am Ende ungewöhnlich wie immer: "Wir fühlen uns ein bisschen wie Wehrpflichtige, die früh abgezogen wurden".
Doch der Drill Instructor hat geschafft, was kaum einer der Sbornaja zugetraut hat: Sich zurückzukämpfen aus den Niederungen der vergangenen Jahre. Nach dem EM-Vorrundenaus 2016 hat der Mann mit dem Schnauzer der Nation wieder Stolz eingehaucht. Das Ende seiner Reise? Möglich. "Wir können nicht vorhersagen, ob ich bleibe oder nicht. Wir müssen alles genau analysieren", sagte Tschertschessow nach dem Knockout. Bitter für Russland. Sie würden ihren stoischen Anpeitscher, den die "Sowetski Sport" als Mann adelte, der "wie ein Hooligan ist, den jeder nicht besonders mag, und der sich plötzlich in ein Mädchen aus einem benachbarten Hof verliebt und sich zum Besseren wendet", ganz sicher vermissen.
Quelle: ntv.de