Fußball-WM 2018

WM-Zeitreise - 19. Juni 1938 Elf Menschen das Leben gerettet!

Italiens Alfredo Foni (l.) versucht sich im Finale an einem Fallrückzieher.

Italiens Alfredo Foni (l.) versucht sich im Finale an einem Fallrückzieher.

(Foto: imago/ZUMA Press/Keystone)

Italien hat einen festen Plan: in Frankreich den Titel von 1934 zu verteidigen. Dieses Mal am Besten ohne die Hilfe der Schiedsrichter. Als dann jedoch ein Telegramm des gefürchteten Führers Mussolini eintrifft, beginnt das große Zittern.

Das Finale von Paris am 19. Juni 1938 hatte einen fast vierjährigen Vorlauf. Denn der Titelgewinn der Italiener bei der Weltmeisterschaft in Frankreich war die süße Genugtuung gegenüber all den kritischen Stimmen, die den Sieg der Italiener bei der Heim-WM 1934 einzig und allein mit unlauteren Mitteln erklärten. Vier Jahre lang hatte Trainer Vittorio Pozzo an einer Mannschaft gefeilt, die auf den Punkt vorbereitet war. Nach einem eher glücklichen Auftaktsieg gegen Norwegen steigerte sich die Squadra Azzurra von Spiel zu Spiel und musste dennoch im Finale zittern. Doch das lag weniger am Gegner Ungarn als an einem Telegramm aus der Heimat, vom italienischen Führer Benito Mussolini. Die Botschaft seiner Nachricht war eindeutig: "Siegen oder sterben".

Und Anpfiff zum großen Henkelpott- und Überlebenskampf!

Und Anpfiff zum großen Henkelpott- und Überlebenskampf!

(Foto: imago/ZUMA Press/Keystone)

Vier Jahre zuvor hatte der gefürchtete Ministerpräsident des Königreiches Italien bei der WM vor der eigenen Haustür noch höchstselbst dafür gesorgt, dass der geforderte Titelgewinn nie in ernsthafte Gefahr geraten konnte. Besonders das Viertelfinale gegen Spanien geriet aufgrund der äußerst zweifelhaften Schiedsrichterleistungen zu einer Farce. Von Anfang an traten die Italiener auf alles, was sich bewegte. Mit Erfolg. Als es auch nach der Verlängerung keinen Sieger gab, mussten die Spanier am nächsten Tag beim Entscheidungsspiel auf sage und schreibe sieben verletzte Spieler verzichten. Doch auch an diesem Tag humpelten bereits nach wenigen Minuten erneut sechs angeschlagene Spanier über den Rasen. Einer der Kicker von der Iberischen Halbinsel war zu diesem Zeitpunkt bereits komplett ausgefallen. Der Schweizer Schiri René Mercet hatte jede Menge Mühe, rechtzeitig seine Augen vom Geschehen abzuwenden. Auch beim 1:0 durch Giuseppe Meazza sah Mercet trotz bester Sicht nicht, wie der Italiener den spanischen Torhüter mit beiden Händen zu Boden drückte. Der Treffer war im höchsten Maße irregulär. Die zwei regulär erzielten Tore der Spanier an diesem Tage pfiff der Schweizer Referee hingegen zurück. Die einzige kleine Genugtuung für das frustrierte spanische Team: Schiedsrichter Mercet durfte nie wieder eine internationale Partie leiten.

Meazza trifft trotz Hosenpanne

ANZEIGE
WM-Album: Unvergessliche Sprüche, Fotos, Anekdoten
12,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Offen erzählte man sich damals, dass den Schiedsrichtern der italienischen Spiele mit dem Tode gedroht und obendrein auch noch Geld geboten wurde. Da war es natürlich nicht verwunderlich, wofür sich die eigentlich Unparteiischen entschieden. Und das zahlte sich aus. Als es im Halbfinale gegen Österreich plötzlich eng wurde im italienischen Strafraum, stieg Schiri Ivan Eklind aus Schweden höchstpersönlich in die Lüfte und köpft eine Flanke aus der Gefahrenzone. Das kam bei den Italienern selbstverständlich sehr gut an. Und da Eklind seinen Job im Sinne Mussolinis so fantastisch erledigt hatte, wurde er gleich für das anstehende Finale gebucht. Vor der Partie nahm sich der italienische Führer vor den Augen des Stadionpublikums ausgiebig Zeit für ein entspanntes Schwätzchen mit dem Schweden. Und Eklind enttäuschte die Italiener wieder nicht. Seiner äußerst kreativen Regelauslegung verdankt die Squadra Azzurra zu großen Teilen den Gewinn des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft 1934 gegen die Tschechoslowakei.

Mit diesem Makel reiste Italien vier Jahre später nach Frankreich - und hatte den festen Willen, es der Fußballwelt zu zeigen. Und das gelang. Zwischendrin gab es sogar noch die Gelegenheit, eine der kuriosesten Szenen der WM-Geschichte zu bestaunen. In der Halbfinalpartie gegen Brasilien trat Guiseppe Meazza bei einer 1:0-Führung zum Elfmeter an. Er lief einige Schritte, so wie er es viele Male zuvor bereits getan hatte, locker an, nahm Maß und stoppte abrupt ab: Meazzas Gummibund war gerissen. Nun rutschte seine Hose. Als die Mitspieler auf dem Platz begriffen, was passiert war, brach allenthalben Gelächter aus. Nur Meazza lächelte nicht. Der Italiener zog seine Buxe ein Stück nach oben, hielt sie sicher fest, lief erneut an und verwandelte. Und nun lachte auch Meazza.

Nach dem nie gefährdeten 4:2-Sieg der Italiener an diesem 19. Juni 1938 über Ungarn feierte die Squadra Azzurra erleichtert den Titelgewinn. Und auch der unterlegene Finalgegner konnte der Niederlage etwas Positives abgewinnen. Torwart Antal Szabó sagte zu den Journalisten: "Wir haben vor dem Spiel erfahren, dass die italienischen Spieler ein Telegramm aus Rom erhalten haben. 'Siegen oder sterben' soll dort drin gestanden haben. Also haben wir soeben elf Spielern das Leben gerettet."

Jeden Tag eine Story zur Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften. Alle Texte finden sie hier: "WM-Zeitreise". Das aktuelle Buch unseres Kolumnisten Ben Redelings: "WM-Album: Unvergessliche Sprüche, Fotos, Anekdoten" bei Amazon bestellen. Live ist Redelings deutschlandweit mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen