Fußball-WM 2018

Rumble in Rio mit Götze als Erlöser Ode an die Löw’schen Weltmeister

Götze, Schürrle und Boateng - drei von dreiundzwanzig Gewinnern.

Götze, Schürrle und Boateng - drei von dreiundzwanzig Gewinnern.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Es ist vollbracht: Die deutsche Nationalelf ist Fußball-Weltmeister. In einem packenden Endspiel gegen Argentinien sorgt Mario Götze dafür, dass die Löw’schen Eleven nicht länger mit dem Ruf leben müssen, zu unreif für den Titel zu sein. Der Bundestrainer spricht gar von einem "tiefen Glücksgefühl".

Deutschland - Argentinien 1:0 (0:0) n.V.

Tor: 1:0 Götze (113.)

Deutschland: Neuer - Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes - Schweinsteiger, Kramer (31. Schürrle) - Müller, Kroos, Özil (120. Mertesacker) - Klose (88. Götze)

Argentinien: Romero -  Zabaleta, Demichelis, Garay, Rojo - Biglia, Mascherano - Pérez (86. Gago), Messi, Lavezzi (46. Aguero) - Higuain (78. Palacio)

Referee: Rizzoli (Italien) Zus.: 74.738 (ausverkauft)

"Wann sieht man ein solches Endspiel, so ausgeglichen, so packend?" Herbert Zimmermann hat das gesagt, als er 1954 im Radio über das Finale von Bern berichtete. Damals gewann die deutsche Mannschaft mit 3:2 gegen Ungarn und wurde zum ersten Mal Weltmeister. Würde Zimmermann noch leben und hätte er gestern im Estadio do Maracanã in Rio de Janeiro gesessen, er hätte völlig zu Recht diese rhetorische Frage wieder gestellt: "Wann sieht man ein solches Endspiel, so ausgeglichen, so packend?"

Nur dass die DFB-Elf dieses Mal gegen Argentinien spielte und mit 1:0 gewann, weil Mario Götze in der Verlängerung das Tor des Abends erzielte und seine Mannschaft so gerade eben vor dem Elfmeterschießen rettete. Deutschland ist Fußball-Weltmeister - zum vierten Mal nach 1990, 1974 und eben 1954. Damit schließt sich der Kreis. Im Gegensatz zu damals ist dieser Titelgewinn keine "Riesen-Sensation" und auch kein "echtes" Fußballwunder. Aber es ist ein fantastischer Erfolg einer Mannschaft, die sich bei diesem Turnier in Brasilien von Spiel zu Spiel gesteigert hat und nicht nur diesen Titel mehr wollte als alle anderen, sondern auch gut genug war, sich ihn zu erspielen.

Für jemanden, der dieses Team geformt hat und sich nun nach Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer Weltmeistertrainer nennen darf, wirkte Joachim Löw direkt nach dem Triumph erstaunlich sachlich. Und stieg direkt mit der Analyse ein: "Unsere große Stärke war, dass wir uns in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert haben." Aber es war nicht so, dass er sich nicht gefreut hat. Es dauerte halt ein bisschen, bis er diesen Satz sagte, den wir einfach mal so stehen lassen: "Dieses tiefe Glücksgefühl wird bis in alle Ewigkeit bleiben." Die deutschen Weltmeister in der Einzelkritik, oder besser: im Einzellob. Wir fangen jetzt hier nicht an mit "muss sich noch steigern" oder "macht nicht sein bestes Länderspiel". Es ist vorbei, dies war das 64. Spiel der WM. Und sie haben es gewonnen.

Manuel Neuer: Der nette Herr Neuer hat sich bei dieser WM zum Stürmerschreck erster Güte entwickelt. Ein Torhüter von Weltformat war der 28 Jahre alte Münchner auch vor dem Turnier, aber mittlerweile scheint er die Stürmer des Gegners durch seine bloße Präsenz davon abzuhalten, allzu fest und präzise zu schießen. Fragen Sie mal Gonzalo Higuain. Nur eine Szene war grenzwertig. Als der ehemalige Schalker in der 56. Minute aus seinem Tor stürmte und den Ball am Strafraumeck faustete, traf er den Argentinier Gonzalo Higuain mit dem Knie im Gesicht. Vielen der 74.738 Zuschauer im ausverkauften Maracanã stockte der Atem, und nicht wenige dürften an das Halbfinale der WM 1982 gedacht haben, als Toni Schumacher den Franzosen Patrick Battiston bei einer ähnlichen Kung-Fu-Einlage schwer verletzte. Aber gestern ist es noch einmal gutgegangen und Neuer hat gleich artig um Entschuldigung gebeten. Nach seinem 52. Länderspiel durfte er nicht nur den Weltpokal in Empfang nehmen, der Weltverband Fifa zeichnete ihn auch als besten Torhüter der WM aus. Wen auch sonst? Wie alle sprach er davon, wie unglaublich alles sei. Er sagte aber auch: "Wir hatten einen unglaublichen Zusammenhalt und das schon seit der Vorbereitung, als wir ein paar Rückschläge hatten und Spieler wie Benders oder Marco Reus verloren haben, die aber auch Weltmeister sind. Ganz Deutschland ist Weltmeister." Prima.

Philipp Lahm: Als hätte es dieses Beweises überhaupt noch bedurft, bewies der 30 Jahre alte Münchner in seinem 113. Länderspiel, dass er auch als rechter Verteidiger viel dafür tun kann, dass das Spiel der DFB-Elf nach vorne ordentlich angekurbelt wird. Dabei kam ihm zugute, dass die Argentinier meist über die Seite des Kollegen Höwedes angriffen, so dass sich Lahm weitgehend so frei fühlen durfte, im Verbund mit Thomas Müller zu wirbeln. Durfte, weil er der Kapitän ist, als erster den goldenen Pokal in den Nachthimmel stemmen. "Es war ein Traum." Na gut, ganz bis zum Himmel hat’s nicht gereicht. Sagte hinterher: "Unglaublich." Er sagte aber auch, was so unglaublich war: "Was wir heute geleistet haben über 120 Minuten, wie wir geackert haben. Das zeichnet eine Mannschaft aus. Ob wir die besten Einzelspieler haben - vollkommen egal! Wir haben uns von irgendwelchem Störfeuer nicht irritieren lassen, sind unseren Weg gegangen. Und am Ende stehst du da als Weltmeister." Da hat er recht.

Jérôme Boateng: Thomas Müller hatte es ja schon nach dem Sieg über die USA im letzten Gruppenspiel messerscharf erkannt: "Na gut, man of the match, ne. Da muss man schon ein Tor schießen." Nun hat Boateng gestern kein Tor erzielt. Gründe genug, warum er diese Auszeichnung als bester Spieler des Endspiels durchaus verdient hätte, lieferte er genug, vor allem in den Duellen mit Lionel Messi, der hinterher zum besten Spieler der WM bestimmt wurde und die Trophäe in Empfang nahm wie ein Sträfling, der in Ketten in die Einzelzelle geführt wurde. Der 25 Jahre alte Münchner Boateng aber zeigte in seinem 46. Länderspiel, warum er stets betont, dass er wie im FC Bayern auch in der Nationalmannschaft am allerliebsten in der Innenverteidigung spielen mag. Gewann unglaubliche 83,3 Prozent seiner Zweikämpfe. Eine überragend souveräne Leistung als Fels in der Abwehrbrandung oder Turm in der Schlacht beim Rumble von Rio - suchen Sie sich was aus. "Jeder ist an die Grenze gegangen. Wir haben alle eine Schippe draufgelegt. Ich habe immer an den Sieg geglaubt. Wir feiern jetzt, bis es nicht mehr geht. Heute darf jeder auf meinen Schultern tanzen."

Mats Hummels: Hatte am Anfang Probleme mit einem gewissen Lionel Messi, weil der viermalige Weltfußballer einfach unheimlich schnell rennen kann und dabei den Ball nicht vergisst. Aber es ist ja nichts passiert, auch weil der 25 Jahre alte Dortmunder Innenverteidiger in seinem 36. Länderspiel immer besser in Tritt kam und nun mit Fug und Recht von sich behaupten darf, ein exzellentes Turnier gespielt zu haben. Nach 120 Minuten war auch er schlichtweg platt, was der Grund dafür sein dürfte, dass er etwas von seiner Eloquenz einbüßte, wie er zumindest behauptete: "Ich bin einer, der sich erst einmal sammeln muss, auch heute ist das so. Das ist vor allem der körperlichen Erschöpfung geschuldet. Ich bin noch irgendwo in einer anderen Welt gefangen. Aber ich glaube, ich komme heute noch zum Feiern." Klang ja erstens gar nicht so schlecht, und zweitens legte er noch nach: "Klar, man kann nur Weltmeister werden, wenn man als Mannschaft agiert. Heute war es ein sehr ausgeglichenes Spiel, am Ende hat das Quäntchen Glück zu unseren Gunsten entschieden."

Benedikt Höwedes: Vor dem Turnier galt der 26 Jahre alte Schalker als Streichkandidat im Löw’schen Kader, nun ist er Weltmeister. Und neben Käpt’n Lahm und Torhüter Neuer der einzige Spieler, der bei allen sieben Spielen die ganze Zeit als linker Verteidiger auf dem Platz stand. Schwamm drüber, dass dieser Messi öfter mal über seine Seite durchbrach und ihm der Kollege Hummels des Öfteren helfen musste. So wie Höwedes des Öfteren Hummels half. Gemeinsam hat’s jedenfalls irgendwie funktioniert. Am Ende ist Höwedes nach seinem 28. und wichtigsten Länderspiel nun Weltmeister. Und hat sich das redlich verdient, weil er stets am Limit spielte und seine Defensivaufgaben prima erledigte. Und das als einer, der normalerweise im Verein in der Innenverteidigung spielt. Beinahe hätte er sogar ein Tor erzielt, als er kurz vor der Pause nach einer wie immer von Toni Kroos getretenen Ecke den Ball mit seinem Kopf ohne Rücksicht auf Verluste an den Pfosten des von Sergio Romero gehüteten Tores der Argentinier rammte.

Bastian Schweinsteiger: Als alles vorbei war, stand der 29 Jahre alte Münchner auf dem Rasen des Maracanã, schwer gezeichnet, mit einer Platzwunde im Gesicht - und hatte Tränen in den Augen. Wenn einer sinnbildlich für den unbedingten Willen dieser deutschen Mannschaft steht, dann ist es Schweinsteiger. Gegen aggressive Argentinier war er in seinem 108. Länderspiel der Chef im Mittelfeld, der nach dem Ausfall von Sami Khedira kurz vor dem Anpfiff erkannt hatte, dass es an diesem Abend ganz besonders wichtig war, Verantwortung zu übernehmen. Er hielt durch, schonte sich nicht und ließ sich nicht unterkriegen, obwohl er mehrmals böse gefoult wurde. Das war schlichtweg weltmeisterlich. "Wir genießen den Moment, unglaublich. Danke an ganz Deutschland für die Unterstützung. Wir haben das gespürt hier, wie ihr hinter uns standet. Heute wird überall gefeiert, wir geben Vollgas hier. Unglaubliche Leistung, aber wie die Jungs von der Bank mitgegangen sind, ich habe sowas noch nie erlebt. Das gibt so viel Power, nur deswegen haben wir den Pokal gewonnen."

Toni Kroos: Vor allem im grandiosen Halbfinale hatte der 24 Jahre alte Münchner gezeigt, dass er so genau, stetig und sicher den Ball zum Mitspieler passen kann wie kaum ein Zweiter. Gestern im Maracanã bei seinem 51. Länderspiel war er zudem wieder der Mann für die Standards. Wenn's einen Freistoß oder eine Ecke zu schießen gibt, ist er zur Stelle. Musste nach Kramers frühem Ausfall weiter hinten agieren und rieb sich an der Seite Schweinsteigers aufopferungsvoll in der Defensive auf, was zur Folge hatte, dass ihm ein wenig die Muße fürs Künstlerische fehlte. Spektakulär seine Szene nach 20 Minuten, als er in einem Anfall geistiger Umnachtung mit einer katastrophalen Kopfballrückgabe dem Argentinier Higuain die Chance zur Führung servierte.

Christoph Kramer: So schnell kann das gehen. Da fällt Khedira kurzfristig aus, und schon steht der 23 Jahre alte Mönchengladbacher, der in der vorletzten Saison noch für den VfL Bochum in der zweiten Liga spielte, mit der Erfahrung von sage und schreibe drei Länderspielen in einem WM-Finale in der Startelf. Leider war das Vergnügen nur von kurzer Dauer, und ob es ein reines Vergnügen war, sei mal dahingestellt. Jedenfalls war nach einer halben Stunde schon wieder Schluss, Kramer musste nach einem Schlag ins Gesicht mit dem Verdacht auf eine Gehirnerschütterung ausgewechselt werden. "An viel kann ich mich nicht erinnern, aber das ist auch egal jetzt. Ich muss einen Gruß an meine Oma senden, die hatte Geburtstag, und ich habe sie nicht erreicht."

Für ihn kam der gleichaltrige André Schürrle in die Partie und zu seinem 37. Länderspiel, was eine kleine Kettenreaktion auslöste. Schürrle übernahm den Platz auf dem linken Flügel, dafür wechselte wiederum Mesut Özil auf die seine Lieblingsposition in der Mitte, und Toni Kroos rückte eins nach hinten zum Kollegen Schweinsteiger auf die Doppelsechs. Hat bestens geklappt, zumal es Schürrle war, der sich sieben Minuten vor dem Ende der Verlängerung durchsetzte und Mario Götze den Ball zum titelbringenden Treffer servierte.

Thomas Müller: Und wer machte nach dem Schlusspfiff als erster Faxen vor den Kameras am Spielfeldrand? Der Müller Thomas. Der 24 Jahre alte Münchner beackerte in seinem 56. Länderspiel die rechte Außenbahn wie eh und je, war stets in Bewegung und stets gefährlich. Auch er musste wie der Kollege Schweinsteiger viele harte Fouls einstecken, ließ sich aber ob dieser harten Gangart in weltmeisterlicher Manier ebenso wenig einschüchtern.

Mesut Özil: Es war nicht die Explosion, die sich alle vom 25 Jahre alten Mittelfeldspieler des FC Arsenal erhofft hatten, nicht zuletzt er selbst. Sein 62. Länderspiel aber war sein bestes bei dieser WM, auch kämpferisch überzeugte der fußballerische Feingeist, zumal er ab der 32. Minute auf seiner Lieblingsposition in der Kreativzentrale spielen durfte. Ihn löste nach satten zwei Stunden der 29 Jahre alte Innenverteidiger Per Mertesacker ab und kam so zu seinem 104. Länderspiel. Der Bundestrainer erklärte hinterher die Einwechslung damit, dass er noch einmal die Defensive habe stärken wollen, angesichts der Tatsache, dass die Argentinier sich in der Schlussphase darauf verlegten, lange Bälle in den deutschen Strafraum zu schlagen. Löw räumte aber auch nur allzu gerne ein, "dass ich niemanden lieber eingewechselt hätte als ihn". Ihn, der als Abwehrchef in diese WM gestartet war und ab dem Viertelfinale zwar nur noch auf der Bank saß, aber trotzdem alles fürs Team gegeben hat. Weltmeisterlich!

Miroslav Klose: Auch der Methusalem des deutschen Fußballs war nach dem Triumph von Rio sichtlich angefasst, Tränen der Rührung übermannten ihn. Der 36 Jahre alte Angreifer von Lazio Rom hat mit 137. Länderspiel seine großartige Karriere gekrönt, abgesehen davon, dass er nun auch seit dem 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte der Weltmeisterschaften ist. Nun gibt es nicht wenige, die davon ausgehen, dass Klose demnächst nicht mehr für die Nationalelf spielt, weil dies doch ein schöner Abschluss sei. Der Stürmer will sich das noch in Ruhe überlegen, wie er sagte. "Ich schlafe ein paar Nächte drüber und dann treffe ich die richtige Entscheidung." Das kann man sich als Weltmeister auch mal erlauben. "Es ist einfach überragend, das ist das Sahnehäubchen, das ist Weltklasse. Es war immer ein Traum, da oben zu stehen und von da oben mal runterzuschauen. Jeder einzelne, der hier mitgearbeitet hat, hat das verdient. Es ist unheimlich wichtig, dass man zusammenhält. Wir wussten, dass wir die bessere Qualität haben, wenn wir die Ruhe bewahren." Der Bundestrainer kommentierte die Frage nach dem Karriereende seines Spielers übrigens recht launig: "Klose ist alles zuzutrauen. Sogar, dass er vier Jahre weitermacht."

Dass er Klose nach 88 Minuten auswechselte und den 14 Jahre jüngeren Mario Götze auf den Rasen schickte, war dann, wie jetzt alle wissen, eine geradezu weltmeisterliche Idee. Das Münchner Wunderkind erzielte in seinem 35. Länderspiel das Tor seines Lebens, auch wenn natürlich niemand weiß, was da noch kommt. Aber das hat er richtig gut gemacht. Das letzte Wort aber gebührt Lukas Podolski, der zwar wieder einmal gar nicht mitgespielt hat, aber genauso glücklich war wie alle anderen. "Ich habe auf dem Platz gesagt, vor zehn Jahren sind wir mit dem Auto von der U21 zur Nationalmannschaft gefahren und jetzt stehen wir hier und haben das Ding. Einfach Weltklasse. Danke an die ganzen Leute, die Fans, wir sind ein super Team. Grüße nach Kölle, feiert, nehmt Kölle auseinander."

Quelle: ntv.de

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