n-tv-Reporter Holter über Campo Bahia "Von Protesten kriegt man hier nichts mit"
10.06.2014, 17:46 Uhr
In Campo Bahia bereitet sich die DFB-Elf fernab von Trubel und Protesten in Rio und Sao Paulo auf die WM vor. n-tv-Reporter Nico Holter ist vor Ort und schildert die Stimmung - und erklärt, warum die sagenumwobene Fähre eine "abenteuerliche Geschichte" ist.
n-tv.de: Was wir aus Campo Bahia mitbekommen, sind blödelnde Stars - wie ist die Stimmung wirklich?
Nico Holter: Die Stimmung ist sehr gut - gerade wenn wir bedenken, dass wir mit einem Schwarzen Freitag gestartet sind. Der Ausfall von Marco Reus hat die Mannschaft stark getroffen, im Flugzeug nach Brasilien hat man das gemerkt, die Mienen waren eher miesepetrig. Aber das ist vorbei, spätestens seit der Ankunft und dem tollen Empfang durch die Einheimischen, die brasilianischen Fans, die der deutschen Mannschaft ihr Herz schenken. Als die Ureinwohner gestern auf dem Trainingsplatz waren, ich denke, da ist endgültig der Funke übergesprungen auf die Mannschaft.
Das Campo Bahia wurde vorher als Luxus-Resort bezeichnet, wie siehst du das?
Also, um unsere Jungs müssen wir uns keine Sorgen machen. Im Campo Bahia, der wohl luxuriösesten Wohngemeinschaft Brasiliens, wird es an nichts fehlen. Es ist eine neu gebaute Anlage von einem Münchner Immobilien-Unternehmer, der das marketingtechnisch wunderbar platziert hat. Die Bungalows sind mit erstklassigen Entertainment-Systemen ausgestatttet, alle Fitnessmöglichkeiten sind vor Ort verfügbar.
Wie weit leben die Journalisten vom Campo entfernt?

Wird Deutschland Fußball-Weltmeister?
Ich habe sehr viel Glück, ich bin auf der Hotelanlage unmittelbar neben dem Campo Bahia untergebracht. Ich muss nicht lästige Fahrten mit der Fähre absolvieren. Das ist für viele anderen Journalisten sehr viel schwieriger. Das muss man sich vorstellen: Diese Fähre besteht aus Stahlflößen, die von einem Schiff gezogen werden. Das ist eine sehr abenteuerliche Geschichte. Da passen auch nicht so viele Autos drauf. Es gibt zwei Stück: eine größere, die 25 Autos tragen kann, und eine kleinere für 12 Autos. Da setzen aber mehrere hundert Journalisten pro Tag über - nicht nur deutsche, auch portugiesische, brasilianische, aus Ghana und den USA. Da kommt es zu langen Wartezeiten, bis zu anderthalb Stunden, um diese dreißig Meter zu bewältigen. Das geht vielen gegen den Strich, die sprechen schon von einer kompletten Fehlplanung. Die Mannschaft kriegt davon natürlich gar nichts mit.
Ansonsten gibt es kaum Möglichkeiten, klassisches Stadtleben zu erleben, dafür ist diese Region zu dünn besiedelt. Abends wenn es dunkel wird - übrigens auch schon sehr früh, 18 Uhr - liegt der Hund begraben. Ich werde auf jeden Fall die Pataxó-Indianer besuchen, die leben hier in einem Reservat. Um das Gelände herum leben Brasilianer in sehr einfachen, ärmlichen Verhältnissen. Aber es macht nicht den Eindruck, als würde es ihnen an etwas fehlen. In Südafrika war das anders, nahe des deutschen Quartiers gab es ein großes Townships. Dort haben die Leute in Blechhütten gelebt, es gab keinen Strom ... Das ist hier anders. Die Grundversorgung ist gegeben, Wasser, Elektrizität, Telefon. Aber man merkt, die Menschen haben einen komplett anderen Lebensstandard als in Europa.
Spürt man um das Camp herum schon WM-Stimmung?
Die WM-Euphorie ist spätestens mit der Ankunft hier gekommen. Im Fernsehen läuft nonstop Fußball rund um die Uhr. Immer wieder kommt eine neue Nation an - gerade erst die Argentinier, das sorgt für ein riesengroßes Echo. In jeder Bar wird über Fußball gesprochen. Wir werden angesprochen, ob wir zur deutschen Mannschaft gehören, und dann fast umarmt. Wir haben ein paar Kommunikationsprobleme, die Leute sprechen Portugiesisch, und wir nur Deutsch und Englisch. Aber das typische brasilianische Zeichen ist: Daumen hoch. Es ist schon toll, wie positiv, wie glücklich die Menschen diesem Event entgegenfiebern.
Nichts zu spüren von den Protesten?
Ich bin nicht in Rio und nicht in Sao Paulo. Von diesen Problemen kriegt man hier tatsächlich wenig mit. Alles was politisch an Spannungen im Land herrscht, ist hier ausgeblendet. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum die Nationalmannschaft sich hier zurückgezogen hat.
Das hat aber auch zu einiger Kritik geführt, weil es aussieht, als würde sich das Team abschotten. Ist das nun positiv oder negativ?
In erster Linie ist die Mannschaft hier, um sportlich zu überzeugen, und dadurch ein guter Botschafter zu sein für Deutschland. Die Probleme in Brasilien sind - das hat auch Oliver Bierhoff gesagt - bekannt und nachvollziehbar. Aber jetzt ist man hier, um das auszublenden, und das muss man auch, und das ist richtig. Auch in Deutschland wollen die Menschen ein tolles WM-Turnier erleben , die wichtigste Nachricht in Deutschland ist. wie wird die Mannschaft performen. Wenn man sich zu viel mit den Problemen beschäftigt, würde das ablenken.
Quelle: ntv.de, Mit Nico Holter sprach Christian Bartlau