Tiefer Fall und langer Aufstieg Daniel Dennis, Antiheld ringt sich nach Rio

Daniel Dennis legte ab 2010 eine lange Pause ein.

Daniel Dennis legte ab 2010 eine lange Pause ein.

(Foto: USA Today Sports)

2010 verliert er einen großen Kampf tragisch, dann auch den Glauben an seinen Sport. Nach einer langen Auszeit in der amerikanischen Wildnis ist Daniel Dennis zurück, mit 29 ringt er erstmals bei Olympia. Vor Niederlagen scheut er sich nicht mehr.

Nach sechseinhalb Minuten könnte alles vorbei sein. Zweimal drei Minuten, dazwischen 30 Sekunden Pause, länger dauert ein Ringkampf nicht. Bei einem Schulterwurf auf die blaue Matte in der Carioca Arena 2 könnte das Aus auch schon nach Sekunden kommen. Es würde der Geschichte von Daniel Dennis die Chance auf ein Hollywood-Happy-End nehmen, und wenn es nur eine über das Gewinnen wäre, müsste man das bedauern. Aber die Geschichte von Daniel Dennis, der mit 29 Jahren eines der unwahrscheinlichsten Olympia-Debüts dieser Spiele feiert, ist mehr: Auch eine über das Gewinnen, sonst wäre er ja nicht in Rio de Janeiro. Aber mehr noch eine übers Ringen, mit Gegnern, dem eigenen Körper, sich selbst. Und eine über Niederlagen.

"Diesen Kampf zu verlieren, hat mein Leben verändert", das hat Daniel Dennis dem US-Sportmagazin "Bleacherreport" in Rio de Janeiro gesagt für ein spannendes Porträt. Im März 2010 wusste er das noch nicht. Da war der Kampf nur der Anfang vom Ende, die "Hölle" für den damals 24-Jährigen: "Es fühlte sich an, als wäre meine Welt eingestürzt." Im Finale um die NCAA-Meisterschaft (National Collegiate Athletic Association) im Ringen führte Dennis gegen Jayson Ness aus Minnesota mit 4:2. Er hatte seinen Gegner im Griff, sogar die Zeit, nur 13 Sekunden noch bis zum Titel. Nicht viel Zeit im Ringen und doch genug, damit für Dennis noch alles schiefgehen konnte.

Mit einer letzten Attacke brachte Ness ihn tatsächlich noch aus der Balance, zwei Punkte für ihn, Ausgleich. Doch statt das hinzunehmen, geriet Dennis in Panik. Er landete auf dem Rücken, zwei weitere Punkte für Ness. Auf einem YouTube-Video ist zu sehen, wie er sich auf der Matte windet, während die letzten drei Sekunden runterticken. Wie sich Daniel Dennis nach Kampfende den Kopfschutz herunterreißt, das Gesicht nur Schmerz, wie er sich schreiend auf den Boden beugt, dann Ness kurz gratuliert und von der Matte stürmt. Es ist der Anfang einer Flucht.

"Just living life"

Zu diesem Zeitpunkt ist in Dennis etwas zerbrochen, man kann es im Video ahnen. Im Frühjahr 2013 brach auch sein Körper. Nach einer Nackenverletzung, durch die er zeitweise jedes Gefühl in seinem linken Arm verlor, konnte er nicht mehr. Nicht mehr ringen, nicht mehr weitermachen wie bisher, er wollte auch nicht. Für 500 Dollar kaufte er einen gebrauchten Pickup, lud seinen Kram ein, fuhr einfach los, ein paar hundert Dollar in der Tasche. Raus aus Iowa City, Richtung Westen, ohne Radio, nur mit seinen Gedanken, wie er dem "Bleacherreport" sagte: "Wenn es ruhig ist, kann ich denken. Und ich hatte eine Menge, über das ich nachdenken musste."

Es gibt immer wieder Sportler, die einfach aufhören. Dem Spanier Javi Poves kam der Profifußball irgendwann als "große Täuschung" vor, also kündigte er seinen Vertrag beim Erstligisten Sporting Gijon. Bei Daniel Dennis war es anders. Rund sechs Meter beträgt der Durchmesser einer Ringermatte. Das kann eine Welt sein, aber es bleibt eine kleine. Und die Erkenntnis, dass sie eine Scheibe ist, ist auch nicht unbedingt hilfreich. Vor allem: Man kann hinausfallen aus dieser Welt.

Als er aus Iowa herausfuhr, war er sicher, dass er nie mehr für Wettkämpfe zum Ringen zurückkehren würde. Er fuhr nach Indian Creek in Utah. Tagsüber kletterte er, das schaffte sein Körper noch. Nachts saß er mit Fremden oder Freunden mit Bier und Gitarre am Lagerfeuer, "just living life". Manche Sätze brauchen keine Übersetzung. Fünf Monate schlief er in seinem Pickup, dann kaufte er einen Wohnwagen. Nachts hatte er keinen Strom und kein Internet, er arbeitete als Tankwart, auf dem Bau, auch mal als Ringertrainer. Aber selbst rang er nicht. In amerikanischen Medien klingt dieser Teil der Geschichte bisweilen, als hätte Dennis fernab jeder Zivilisation gelebt. So war es nicht, aber es ist trotzdem nicht ganz falsch.

Seine Freunde, ehemalige Teamkollegen in Iowa, Trainer - sie alle bombardierten ihn fast nonstop mit Bitten zurückzukommen und sich auf Olympia vorzubereiten, wenn er denn gerade Telefonempfang hatte. Dieses Wissen, dass jemand da war, an ihn glaubte, das tat ihm gut. Dennis blieb dennoch weg, er glaubte selbst noch nicht. Er brauchte Zeit, seine Wunden brauchten Zeit. Zwei Jahre ging das so und wenn Dennis in Rio sein Achtelfinale gegen den Bulgaren Wladimir Dubow in der Klasse bis 57 Kilogramm bestreitet, wird ihm sein selbstgewähltes Exil auf der Matte helfen.

Einklang lässt Flamme wieder lodern

Davon ist Terry Brands überzeugt. Er arbeitet an der Iowa University als Assistenztrainer mit Dennis, er betreut ihn auch bei Olympia. Der Daniel Dennis, der in Brasilien nach zwei Jahren fernab von der Welt doch noch sein Olympia-Debüt erleben wird, ist "der beste, den er jemals gesehen hat". Er habe "einen wirklich guten Job dabei gemacht, Körper und Geist zusammenzubringen", sagte Brands der Zeitung "Des Moines Register". Im April 2015 war Dennis nach Iowa City zurückgekehrt, um wieder zu ringen. Nach wenigen Wochen war das Feuer wieder da, Olympia wurde zum logischen Ziel.

In den Trials setzte sich Dennis im April 2016 souverän gegen Tony Ramos durch, den NCAA-Champion von 2014 - nur ein Jahr, nachdem er seine Begeisterung fürs Ringen wiedergefunden hatte und die Überzeugung in sein Ringen. Schon vor den Ausscheidungskämpfen sagte Dennis, der ruhig, fast zurückgenommen spricht: Wenn er seine Fähigkeiten abrufe, werde er gewinnen - auch in Rio.

Doch selbst wenn heute (15.15 Uhr MESZ) schon nach sechseinhalb Minuten alles vorbei wäre, oder sogar früher: Daniel Dennis und sein Umweg nach Rio, diese Geschichte bleibt. Sie hat mit einer Niederlage angefangen. Aber eine Niederlage kann ihr nichts mehr anhaben.

Quelle: ntv.de

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