Der Rentner wird endlich belohnt Das Glück und Pech, ein Österreicher zu sein
07.02.2022, 20:54 Uhr
Der perfekte Sprung.
(Foto: imago images/GEPA pictures)
Während die deutschen Skispringer bei den Olympischen Spielen einen quälenden Schanzen-Krampf erleben, findet der Österreicher Manuel Fettner in Zhangjiakou sein Glück. Die Silbermedaille auf der kleinen Anlage ist die Belohnung für eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit.
Die Sache mit dem Bier aus der Heimat dürfte schwierig bis unmöglich werden. Denn einfach so aus der Ferne in die olympische Blase in der Großregion Peking zu schlüpfen, das geht nicht. Auch nicht für einen ehemaligen, so erfolgreichen Skispringer wie Martin Koch. Der hatte am Sonntagnachmittag als TV-Experte beim Sender ORF euphorisch ausgerufen, persönlich nach China fliegen zu wollen, sollte ÖSV-"Rentner" Manuel Fettner tatsächlich noch die Medaillensensation auf der Normalschanze bei den Olympischen Spielen gelingen. Und sein Kumpel, mit dem er viele Wettkämpfe bestritten hatte, lieferte. Fettner sprang nach Rang fünf in Durchgang eins zu Silber im Finale - und wünschte sich danach, als er von Kochs Reiseplänen erfuhr, ein Bier als Mitbringsel. Wohl kaum einen Coup hatte die österreichische Administration weniger auf dem Zettel als diesen.
Und so hatte das Sportfest in der Wintersportregion Peking sein erstes großes Märchen (das zweite schrieb der Kanadier Max Parott am Tag danach im Slopestyle). Seit 23 Jahren ist Fettner bereits ein bekanntes Gesicht der internationalen Skisprungszene. Manchmal ein lachendes, oft ein enttäuschtes, noch öfter ein verzweifeltes. Aber nie zuvor ein triumphierendes. Zumindest nicht als Einzelkämpfer, der man in dieser so wagemutigen Disziplin ja meistens ist. Einen Sieg im Weltcup hat er nie gefeiert (dreimal war er Dritter), eine Einzelmedaille bei einem großen Wettbewerb nie gewonnen. Anders in der Mannschaft, da durfte er sich unter anderem sogar einmal WM-Gold umhängen lassen. 2013 in Val di Fiemme war das, als er den Erfolg spektakulär auf einem Ski rettete und gerade so den Sturz vermieden hatte (die Bindung am anderen Ski hatte sich gelöst).
Der Fahrstuhltyp des Skispringens
Dass er 13 Jahre für seinen ersten großen Titel und neun weitere Jahre für den größten Erfolg seiner Karriere brauchte, sagt eigentlich alles über die Laufbahn dieses Skisprung-Phänomens. Wäre Fettner ein Fußballverein, so würde man ihn wohl als Fahrstuhlmannschaft bezeichnen. Zu gut für die zweite Liga, den Continental-Cup (26 Einzelsiege), aber nicht stark genug, um sich konstant in der Weltelite zu behaupten. Und nun halt der Coup, den er überraschend zurückhaltend nach außen trug. Er sei "einfach nur überglücklich" und wollte nur "genießen." Die hymnischen Töne zu dieser stillen Party wurden aber dennoch angestimmt. Von seinen Teamkollegen.
"Unglaublich, ich freue mich für ihn fast mehr, als wenn ich selber eine Medaille gewonnen hätte", wird Stefan Kraft beim österreichischen Portal "laola1.at" zitiert. "Der alte Hund ist unglaublich. Der zweite Sprung war von einem anderen Stern. Wenn du eine Medaille holen willst, muss einfach alles passen." Das tat es tatsächlich. Fettner, der in seiner Karriere oft genug nur einen herausragenden Sprung in den Schnee setzte, blieb stabil und konzentriert. Die größte Chance auf die Krönung seiner Karriere lähmte ihn nicht, sie machte ihn endlich frei. Der Sprung, perfekt. Die Bedingungen in der Windlotterie gut.
Das verdiente Glück des ewigen Hartnäckigen, des Immer-dran-Gebliebenen. Wie nah Glück und Pech beieinanderliegen, das erfuhr Fettner übrigens direkt am Tag nach seinem Triumph. Im Mixed-Teamwettbewerb wurde der Sprung von Teamkollegin Daniela Iraschko-Stolz nicht gewertet. Wegen eines nicht regelkonformen Anzugs. Die Chance auf eine mögliche Medaille damit dahin. Die Österreicherin war eine von fünf Athletinnen, die disqualifiziert wurde. Auch die Deutsche Katharina Althaus hatte es auf fatale Weise getroffen.
Vor drei Jahren hatte er fast aufgegeben, wie er nach seinem Triumph nun in einer Medienrunde bekannte. "Das war eine schwere Zeit, es kam auch noch eine Krankheit dazu. Ich habe eine Auszeit genommen, mein Studium beendet. Er habe intensiv überlegt, ob er überhaupt weitermachen solle, habe sich dann dafür entschieden. Die Liebe zum Sport und zu der Herausforderung sich den stetigen Veränderungen der Disziplin wieder und wieder zu stellen waren ausschlaggebend. "Sicher noch mehr als der Glaube an mich selbst, dass das möglich ist", sagte Fettner. Und er habe das bisher nie bereut, auch "unabhängig von der Medaille".
"Er springt wie vom anderen Stern"
Durch die zähen Untiefen des Continental-Cups kämpfte sich der 36-Jährige wieder in den A-Kader. Aber erst vor wenigen Wochen buchte er sich seinen Platz im Olympia-Team. Befreit vom ewigen Druck, sich beweisen zu müssen, lieferte Fettner den Wettkampf seines Lebens. "Vor den Spielen hat ihn keiner so richtig auf der Rechnung gehabt, aber seit er da ist, springt er wie von einem anderen Stern", schwärmte auch Daniel Huber, ebenfalls ein Teamkollege. "Er hat einen so langen Weg hinter sich, ich freue mich unendlich für ihn."
Und diesen schritt der 36-Jährige nach seinem Coup mental noch einmal ab. "Es war ein sehr cooler Weg, auch mit diesen Downs. Wenn es mir nicht so viel Spaß gemacht hätte, hätte ich schon längst den Hut drauf gehaut (Anmerk. d. Red.: Originalzitat). Es geht nicht immer nur um Podestplätze oder Medaillen, sondern in erster Linie hat mir der Sport getaugt und ich habe auch gemerkt, dass ich noch leistungsfähig bin." Und so wurde er zum zweitältesten Skisprung-Medaillengewinner der Spiele. Älter war nur das Phänomen Noriaki Kasai, der indes nie Olympiasieger wurde und für Peking nicht nominiert wurde.
Und plötzlich ist er da ...
Diese märchenhafte Geschichte von Manuel Fettner ist auch die vom Glück und Pech, ein Österreicher zu sein. Wohl in kaum einem anderen Land (vielleicht noch in Norwegen) war und ist die Dichte an Topspringern und massiv nachdrängenden Talenten so gewaltig, wie in der Alpenrepublik. Was sind da in den vergangenen zwei Jahrzehnten alles für Legenden über den Bakken gesprungen. Andreas Goldberger, Andreas Widhölzl, Thomas Morgenstern und der phänomenale Gregor Schlierenzauer sind da nur die größten Namen. Da waren auch noch Stefan Horngacher (aktueller Bundestrainer der deutschen Skispringer), Martin Höllwarth, Andreas Kofler, Wolfgang Loitzl und Michael Hayböck. Sie alle waren erfolgreicher, prominenter, größere Helden in der Heimat. Fettner war bestenfalls ihr "Wingman". Und wenn sich dann doch mal andeutete, dass er auch in eine Hauptrolle drängte, wie im Winter 2010/11 oder 2016/17, dann verpasste er stets den Durchbruch.
Aber Fettner kämpfte und kämpfte. Weiter und weiter. Und in diesem olympischen Winter, wo die Österreicher gerade mal nicht die Überflieger haben, wo ihr Star Stefan Kraft nach seiner Topform sucht und die anderen Springer nach Konstanz, da war Fettner plötzlich da. Angedeutet hatte sich das nicht. Seine Leistungen waren solide bis gut, aber nicht mehr. All das zählt nicht. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, an der richtigen Schanze - nur das zählt. Und die kleinen Anlagen, die taugen ihm besonders. Da ist ein anderer Typ Skispringer gefragt, als auf den monströsen Superschanzen zwischen Willingen und Planica. Mehr der Absprungstarke, weniger der Flieger (natürlich funktioniert auch beides, wie Olympiasieger Ryōyū Kobayashi beweist). Fettner ist so einer, so ein Typ mit starkem Absprung. "Prinzipiell hupfe ich immer ganz gern auf 90-Meter-Schanzen." Bitter aus seiner Sicht: Im Weltcup gibt es die Kleinschanzen nicht mehr. "Sonst wäre ich vielleicht schon öfter weiter vorne gewesen." Aber hadern will er nicht. Er will viel lieber ein Bier.
Quelle: ntv.de