Tatsächlich Olympiasiegerin Neid und die DFB-Frauen vergolden ihre Ära

Ja, das ist echt echtes Gold! Alexandra Popp and Lena Goeßling (r.) prüfen die Medaillen.

Ja, das ist echt echtes Gold! Alexandra Popp and Lena Goeßling (r.) prüfen die Medaillen.

(Foto: dpa)

"Gott, lieber Gott, bitte nicht": Kurz vor Schluss des Olympia-Finales muss Silvia Neid noch einmal zittern. Dann ist das "Wahnsinnsspiel" vorbei und Deutschland holt Gold. Ihren unvergesslichen Abschied stört nur der DFB-Boss.

Da standen die deutschen Fußballerinnen auf dem Rasen des Maracana, seit ein paar Minuten erstmals Olympiasiegerinnen, und Silvia Neid winkte und rief. Alle aus dem deutschen Team sollten mit auf dieses spontane Siegerfoto. An diesem Triumph, dieser Gold-Medaille, diesem perfektem Abschied für die Bundestrainerin Silvia Neid hatten ja nicht nur ihre Spielerinnen und sie gearbeitet, "sondern da gehört ein ganzer Rattenschwanz dazu". Und der musste jetzt mit aufs Bild.

Die DFB-Frauen mit dem "Rattenschwanz", der dazugehört.

Die DFB-Frauen mit dem "Rattenschwanz", der dazugehört.

(Foto: imago/Moritz Müller)

Man könnte einen ganzen Sack voller "tatsächlichs" über diesen 2:1-Sieg der DFB-Frauen im Olympia-Finale über Schweden schütten, und dann auch noch ein paar "ausgerechnets". Silvia Neid geht also tatsächlich als Olympia-Siegerin. Nach 34 Jahren, in denen sie "irgendwie total verbunden und verbändelt mit der Frauen-Nationalmannschaft" war, nach insgesamt 441 Partien als Spielerin, Assistenztrainerin, seit 2005 dann als Bundestrainerin, in denen sie alles gewonnen hatte, außer Olympia-Gold. Nach all dem hat sie im Maracana tatsächlich ihre Karriere mit dem letzten noch fehlenden Titel vergoldet und nebenbei auch den Begriff Lame Duck. Als die galt sie ja nach ihrem angekündigten Rücktritt vor einem Jahr, nachdem die WM 2015 missraten war. Wenn seitdem über Neid geschrieben wurde, wurde sie abgeschrieben. Das hat sich erst in Rio geändert.

Jetzt geht sie als erfolgreichste Lame Duck seit Jupp Heynckes und wenn die Herren der deutschen Fußballschöpfung im Traumfinale gegen Brasilien nachziehen, kann Deutschland tatsächlich binnen 24 Stunden zwei olympische Goldmedaillen im brasilianischen Fußball-Heiligtum Maracana gewinnen. Ein "ausgerechnet" ist nach dem WM-Triumph 2014 an dieser Stelle überflüssig und auch wenn Joachim Löw und seine Weltmeister die ersten deutschen Sieger im Maracana waren: Wenn Löw, diese Silvia Neid des Männerfußballs, sich irgendwann von seinem DFB-Team verabschiedet, wird er sich einen solchen Abschied wünschen.

"Ich freue mich sehr, sehr, sehr"

Denn Neid und ihre DFB-Frauen besiegten im Finale nicht irgendwen, sondern die Schweden mit Trainerin Pia Sundhage. Ausgerechnet Sundhage! Nach ihren Olympiasiegen 2008 und 2012 mit den USA hielt sie das Gold-Abonnement im olympischen Frauenfußball. Wobei, eine offizielle Goldmedaille hat Sundhage nie mitnehmen dürfen von ihren Triumphen. Auch Neid stand abseits, als ihre Olympiasiegerinnen um 19.58 Uhr Ortszeit aufs Siegerpodest hüpften, links neben ihnen die bedröppelten Schwedinnen. Siegerehrungen nur für Sportler, das ist in anderen Disziplinen Usus. Bei Olympia greift diese Regel auch für Mannschaftssportarten wie Fußball, wo die Trainerinnen sonst mittendrin sind in den Jubeltrauben. Noch so ein ausgerechnet - oder, Silvia Neid?

"Nein, man weiß das ja, dass die Athleten die Medaillen kriegen und nicht das Team hinter dem Team. Damit kann ich ganz gut leben", sagte die Olympiasieger-Trainerin entspannt. "Ich freue mich trotzdem sehr, sehr, sehr über diese Goldmedaille." Das sei der bisher größte Erfolg für den deutschen Frauenfußball, da stimmte sie mit DFB-Präsident Reinhard Grindel überein. Dieses Gold, fand Grindel dann allerdings noch, könne ein Schub für den Frauenfußball in Deutschland sein. "Ein Schub?" Als Silvia Neid das hörte, die Weltmeisterin, Europameisterin und jetzt auch Olympiasiegerin, runzelte sie tatsächlich die Stirn: "Wie viele Schübe brauchen wir denn noch?"

Wie sehr, sehr, sehr Silvia Neid dieses Gold zum Abschluss gewollt hat, war vor dem Spiel überall zu lesen gewesen. Während des Spiels war es im Maracana zu besichtigen. Während Pia Sundhage ihr drittes Olympia-Finale in Folge weitgehend von der Bank verfolgte, stand Neid in ihrem ersten fast permanent. Mal an der rechten Ecke ihrer Coachingzone, mal an der linken, mal mittendrin, gestikulierend, die Arme hinterm Rücken verschränkt. Laufleistung und Engagement beeindruckten in ihrem letzten Spiel an der Seitenlinie.

Triumph nach holprigem Start

Schon nach zehn Minuten rief sie sich Mittelfeldspielerin Tabea Kemme heran, um nachzujustieren. Aber dann bekam sie "nach und nach das Gefühl: Hier kann heute nichts mehr anbrennen, weil meine Spielerinnen am Anfang zwar ein bisschen gebraucht haben, bis sie im Spiel waren, aber dann zu 1000 Prozent da waren". Das Spiel, fand Neid, "war der Wahnsinn, weil Schweden es ja ganz gut gemacht hat".

Tatsächlich war es besser als gedacht, ein großes Turnier hatten beide Mannschaften nicht gespielt. Schweden gewann nur das erste Spiel im Olympia-Turnier, im zweiten setzte es ein 1:5 gegen Brasilien, ins Viertelfinale zitterte man sich genauso durch wie Deutschland. Konsequenz: Gegen die USA und Brasilien mauerte man sich in die jeweils nächste K.o.-Runde, Portugals Europameister ließen grüßen. Deutschland entdeckte nach holpriger Vorrunde immerhin ab dem Viertelfinale die Turnierfrauschaft in sich. Im Endspiel zeigten dann beide Teams ihre beste Leistung, auch wenn beide besser spielen können.

Als die Schwedin Linda Sembrandt in der 62. Minute einen Pfosten-Freistoß von Dzsenifer Marozsan zum 2:0 für Deutschland ins eigene Tor gelenkt hatte, sah nach unterhaltsamer und ausgeglichener erster Halbzeit plötzlich alles nach einem entspannten Abschiedssieg für Silvia Neid aus. Das 1:0 hatte Marozsan in der 48. Minute selbst erzielt. Schwedischer Stockfehler, deutscher Schlenzer, drin, beschrieb sie die Szene: "Ich hab nicht viel nachgedacht beim ersten Tor, ich habe ihn einfach perfekt getroffen." Bei der verkorksten WM 2015 hatte sie verletzt gefehlt, nun war sie froh, der Mannschaft "anderthalb Tore" geschenkt zu haben. Noch so ein ausgerechnet.

Dass es trotzdem noch ein Zitterspiel wurde, lag am prompten Anschlusstor der Schwedinnen durch Lina Blackstenius in der 67. Minute. Vorbereitet hatte es Olivia Schough, die kurz vor Schluss zur schwedischen Marozsan hätte werden können. Doch vor dem DFB-Tor wunderbar freigespielt traf sie erst den Ball nicht und dann ein deutsches Abwehrbein, statt zum 2:2. Und dann, sagte Neid, war da "von Schweden noch so ein Eckball, wo ich gedacht habe: Oh Gott, lieber Gott, bitte nicht". Sie wurde erhört und kurz darauf waren sie und ihr Team Fußball-Olympiasiegerin. Tatsächlich.

Quelle: ntv.de

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