Weltmeister glänzt mit Schwächen "Deutsche Ingenieurskunst" versetzt Konkurrenz in Staunen
30.07.2024, 15:05 Uhr
Moritz Wagner liefert von der Bank immer wieder beeindruckende Leistungen ab.
(Foto: REUTERS)
Der Start der deutschen Basketball-Weltmeister ins olympische Turnier in Lille gegen Japan ist, vielleicht auch wegen der langen Eröffnungsfeier in Paris am Abend zuvor, etwas holprig. Dennoch zeigt die Mannschaft gute Ansätze, aber auch noch Schwächen.
"Sie sind sehr gut. Es ist schwer, sie zu stoppen. Diese deutsche Ingenieurskunst, man! Sie sind sehr methodisch. Wir wissen genau, was sie laufen, und können es trotzdem nicht stoppen." Japans Nationaltrainer Tom Hovasse war nach der Auftaktpartie seiner Mannschaft gegen den amtierenden Basketball-Weltmeister tüchtig bedient und konnte nur mit den Schultern zucken.
Dank eines am Ende sehr souveränen 97:77-Erfolgs startete das DBB-Team erfolgreich in die Mission "erste olympische Medaille für Basketball-Deutschland". Und wenngleich der Klassenunterschied gegenüber der Nummer 26 der Weltrangliste erst nach und nach ins Auge sprang, etablierte das Team von Bundestrainer Gordon Herbert mit zunehmender Spieldauer eine Dominanz, die schließlich zum zweiten Blowout-Sieg innerhalb von acht Tagen führte. Bereits am 19. Juli in Berlin hatten die Deutschen während der Vorbereitung Japan mit 21 Punkten Unterschied abgefertigt (104:83).
"Wir hatten ein paar gute Wochen Vorbereitungszeit", sagt NBA-Profi Daniel Theis. "Wir wussten, dass es ein schweres Spiel wird. Japan hat nie aufgegeben, auch als sie mit 15 hinten lagen. Wir wussten, dass wir uns nicht entspannen und Energie sparen können, weil sie 40 Minuten durchspielen." Es war der neunte Turniersieg in Folge für die Herbert-Truppe, und der bereits 16. aus den vergangenen 18 Partien bei einem internationalen Wettbewerb. Auch beim sensationellen WM-Triumph im vergangenen Jahr war Japan der Auftaktgegner gewesen. Ein gutes Omen also auf dem Weg zu einem weiteren Podiumsplatz?
Langsam eingegroovt, im Angriff sofort routiniert
Deutschland ging dank Fahnenträger Dennis Schröder bereits im allerersten Angriff in Führung und behauptete diese dann über die vollen 40 Minuten. Das lag natürlich an der Qualität des Gegners, spricht jedoch vor allem für die mentale Stärke und Konzentration der deutschen Mannschaft, die sich keine Blöße gab. Japan fand zwar nach ein paar anfänglichen Fahrkarten immer mehr seinen Wurfrhythmus und traf fünf Dreier im Auftaktviertel - auch weil bei den Deutschen noch die Abstimmung und Intensität in der Verteidigung fehlte. Ein gutes Pferd springt aber bekanntlich nur so hoch, wie es muss.
"Es ist so cool, bei Olympischen Spielen zu spielen", resümierte Moritz Wagner nach seinem ersten Einsatz. "Man versteht, was es den Menschen bedeutet. Es ist einfach eines der Highlights der Karriere, eine Ehre dabei zu sein. Heute war es nicht immer leicht, das erste Spiel eines Turniers ist immer schwer. Ich bin glücklich, dass wir gewonnen haben, und auch heute haben wieder etwas mitgenommen."
Eingespieltheit und individuelle Qualität der DBB-Auswahl kamen im Angriff direkt und dann immer mehr zum Vorschein. Eine gesunde Mischung aus Isolationen, Spot-Ups, Transition-Gelegenheiten und Pick and Rolls hielt den Offensiv-Motor am Laufen. Solange Schröder (13 Punkte, 12 Assists) oder der unaufhaltsame Franz Wagner (22 Punkte) die Attacken initiierten, passierten gute Dinge. Das Duo griff 16 Mal aus der Isolation oder als Ballführer im Blocken und Abrollen an, und kam auf unfassbare 1,25 Punkte pro Spielzug - also 20 insgesamt.
Groß, tief, präzise: Klassenunterschied deutlich
Je länger das Spiel dauerte, desto mehr setzte sich die Vielseitigkeit, Tiefe und Präzision des Weltmeisters durch. Japan gingen zunehmend die Antworten aus - obwohl Deutschland in der Defensive noch lange nicht die Qualität an den Tag legte, die dieses Team abrufen kann und während der Vorbereitung eindrucksvoll demonstriert hatte. "Ihre Bank ist tief. Daniel Theis geht raus, und Mo Wagner kommt rein. Das ist schwer als Gegner. Und Franz, du kannst ihn weder in der NBA, noch hier stoppen", bat Hovasse nach dem Spiel um Verständnis.
Dass der DBB dank der Wagner-Brüder Franz und Moritz, danke Daniel Theis, sowie den beiden Johannes' (Voigtmann und Thiemann) einen der besten Frontcourts der Welt stellt, ist hinlänglich bekannt. Die Deutschen dominierten sowohl die Punkte in der Zone (46:20) als auch die Bankpunkte (38:7) deutlich.
Daniel Theis erzielte 18 Punkte und 7 Rebounds, bei perfekten 7/7 aus dem Feld und 2/2 von der Freiwurflinie. Das letzte Mal, dass ein Spieler mindestens 18 Punkte bei perfekten Quoten zustande brachte, war 2008 (NBA-Star Dwyane Wade). Kevin Durant vom Team USA schrammte am Sonntag nur knapp an einem perfekten Abend vorbei, als er seinen neunten und letzten Wurf daneben setzte (23 Punkte, 8/9 FG). Moritz Wagner steuerte in gewohnter Dynamo-Manier 15 Punkte und 5 Rebounds in 18 Backup-Minuten bei.
Auch ohne viel Produktion aus dem Rückraum tranchierten die Deutschen ihre Gegner für bärenstarke 1,20 Punkte pro Play. Es war Deutschlands zweithöchstes Scoring-Game in der Geschichte der Olympischen Spiele. In Tokio vor drei Jahren erzielte das DBB-Team 99 Punkte gegen Nigeria. Einer der Hauptgründe war die nahezu fehlerfreie Ausführung im Angriff. Dirigiert von einem brutal effizienten Spielmacher Schröder (12 Vorlagen bei nur einem Turnover) erlaubte sich Herberts Team nur fünf Ballverluste bei 24 Assists. Zum Vergleich: keine der anderen elf Nationen kam am ersten Spieltag auf weniger als zwölf Turnovers.
Im Stile eines Spitzenteams - mit Luft nach oben
Es war aber noch nicht alles Gold, was letztes Jahr geglänzt hat. Vor allem in der Abwehr ist viel Luft nach oben. Dass die Qualität an beiden Enden absolute Weltklasse ist, wissen aber alle. Das bringt natürlich extra Motivation - gerade für die Gegner. "Nach der Weltmeisterschaft fühlt es sich so an, als hätten wir eine Zielscheibe auf dem Rücken", sagt Theis. "Jeder will den Weltmeister schlagen. Aber ich denke eine unserer großen Stärken ist, dass wir niemals einen Gegner unterschätzen. Wir nehmen niemanden auf die leichte Schulter."
Schon am Abend geht es in Lille weiter. Das zweite Gruppenspiel bestreitet die DBB-Auswahl gegen Brasilien (21 Uhr). Im abschließenden Spiel der Gruppe B könnte es dann am Freitag (ebenfalls 21 Uhr) gegen Gastgeber Frankreich um den Gruppensieg gehen. Die Franzosen hatten bei ihrem 78:66-Auftaktsieg gegen Brasilien ebenfalls zunächst Probleme in der Defensive. Die Südamerikaner starteten mit einem Offensivregen und führten nach dem ersten Viertel 23:15, ehe die Franzosen, angeführt von Wunderkind Victor Wembanyama, langsam aber sicher die Kontrolle übernahmen und am Ende einen ungefährdeten Sieg einfuhren.
"Das hier ist das größte Turnier der Welt. So viele gute Spieler, so unglaublich viel Talent hier", erklärt Kapitän Schröder, der gleichzeitig betont: "Aber wir wissen genau, was wir können. Also nehmen wir ein Spiel nach dem nächsten, bleiben als Team eng zusammen, genießen es und versuchen, den Sieg zu holen. Wir denken von Spiel zu Spiel. Ich bin so dankbar für diese Teamkollegen."
Das bestbesetzte Turnier aller Zeiten
Dieses olympische Feld ist hochrangiger besetzt als jedes bisher dagewesene. Die Top-Teams sind ganz eng beisammen und präsentierten sich am ersten Spieltag bereits in sehr guter Verfassung. Kanada besiegte Griechenland, Australien gewann gegen Spanien, Deutschland und Frankreich setzten sich souverän durch. Vorneweg marschieren die hochfavorisierten US-Amerikaner, die gegen ebenfalls sehr hoch eingeschätzte Serben brutal dominierten. Die acht Viertelfinalisten ziehen mit abgeschlossener Vorrunde in Lille zum Ende dieser Woche nach Paris um, wo sie den Sieger ausspielen werden.
"Es ist ein neuer Sommer, eine neue Herausforderung für uns", sagt Franz Wagner. "Natürlich träumen wir von einer Medaille. Das ist auch realistisch, aber momentan noch kein Thema. Bis dahin haben wir nämlich noch eine Menge zu tun. Und damit fangen wir gegen Brasilien an."
Quelle: ntv.de