Liebespaar gegen Alica Schmidt Wie der Streit um die Mixed-Staffel eskaliert ist
06.08.2024, 18:10 Uhr
Schon vor der ersten Übergabe war das Rennen der 4x400-Meter-Mixed-Staffel vorbei.
(Foto: picture alliance/dpa)
Auf der Laufbahn schreibt die deutsche 4x400-Meter-Mixed-Staffel kaum Schlagzeilen bei den Olympischen Spielen - dafür daneben umso mehr. Aus der Kritik an der Nominierung wird plötzlich eine größere Geschichte. Und am Ende stehen so ziemlich alle Protagonisten beschädigt da.
Wenn alles so bleibt, dann tritt Jean Paul Bredau bei den Olympischen Spielen am Freitag erneut an. Diesmal dann für die deutsche 4x400-Meter-Staffel der Herren, aber wieder auf der lilafarbenen Tartanbahn im Pariser Stade de France. Die, kleiner Funfact am Rande, nach Rio 2016 zum zweiten Mal in der olympischen Geschichte der Neuzeit nicht rostrotfarben ist. Doch mit solchen Randaspekten wird sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) derzeit wohl kaum aufhalten.
Denn den DLV treibt eine viel größere Sorge um, die inzwischen den Einsatz der Staatsanwaltschaft nötig macht. So sehr ist die Thematik rund um die 4x400-Meter-Mixed-Staffel eskaliert. Mittlerweile geht es um weit mehr als das sportliche Ergebnis, denn das ist schnell zusammengefasst: Das deutsche Team um Bredau, Alica Schmidt, Manuel Sanders und Eileen Demes verpasste mit dem siebten Platz im Vorlauf das Finale. Mehrere Sekunden fehlten zum Weiterkommen.
Nur, wie es zum Scheitern kommen konnte, ist etwas komplizierter. Denn kurz vor dem Wettkampf warf eine nicht nominierte Athletin die Frage auf, ob da überhaupt die besten vier Leute in Paris für die Staffel laufen. Zumindest eröffnete Luna Bulmahn in einer Instagram-Story die Debatte. "Ja, ich bin die zweitschnellste 400-Meter-Athletin auf dem Papier. Nein, ich wurde nicht für die Mixed-Staffel nominiert", schrieb sie. Es ist ungewöhnlich, dass sich jemand so deutlich äußert.
"An der Form hat es nicht gelegen"
Ihr Freund, Startläufer Bredau, unterstützte sie dann nach dem Rennen. Seine 400 Meter absolvierte er überraschend langsam, in nur 46,58 Sekunden. Dabei ist seine Saisonbestleistung rund 1,5 Sekunden schneller. War er absichtlich langsamer? Oder hatte ihn das Nominierungsdrama so sehr aufgewühlt, dass er tatsächlich nicht an seine Bestleistung herankam? Nach dem Rennen lieferte er in der ARD eine Erklärung, die zu beiden Versionen passt. "An der Form wird es heute nicht gelegen haben", sagte er, "sondern eher daran, was vor der Staffel passiert ist."
Es seien Entscheidungen gefallen, in die nicht alle eingewilligt hätten. "Vom DLV wird ganz klar gesagt: Die schnellsten vier sollen laufen. Es wurde anders entschieden", erklärte Bredau. Beide, weder er noch Bulmahn, nannten dabei irgendeinen Namen. Wer jedoch gemeint sein könnte, darauf gibt der Blick auf die Zahlen einen Hinweis: Alica Schmidt. Denn die war vor der Nominierung mit 52,18 Sekunden auf 400 Metern fast eine halbe Sekunde langsamer als Bulmahn.
Nun, und das schwingt gewissermaßen mit, ist Schmidt nicht irgendeine Sprinterin: Sie arbeitet als Model und Influencerin, allein auf Instagram folgen ihr 5,3 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Das sind mehr als Fahnenträger und NBA-Star Dennis Schröder (4,3 Millionen) oder Tennis-Star Alexander Zverev (2,1 Millionen). Aber sie ist nicht deshalb dabei, sondern aus sportlichen Gründen. Schmidt verhalf zwei 400-Meter-DLV-Staffeln (Frauen und Mixed) auf den Bahamas zur Paris-Qualifikation. Sie gilt als äußerst konstante und gute Staffelläuferin.
Ungewissheit auf allen Seiten
Es bleibt jedoch die Frage, wie dieser Konflikt nun öffentlich eskalieren konnte? So sehr, dass das Paar Bredau und Bulmahn mit Hassnachrichten überschüttet wird? Man distanziere sich "entschieden von jeglicher Form von Hate-Speech im Zusammenhang mit der Besetzung der Mixed-Staffel gegen die betroffenen Athletinnen und Athleten", teilte der DLV mit. "Diffamierungen, Anfeindungen oder Persönlichkeitsverletzungen werden wir über unsere Kooperation mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt verfolgen", betonte der Verband.
Die Lage ist kompliziert. Bei einer Staffel zählt nicht nur die schnellste Zeit für eine Nominierung. Sondern es gibt auch weiche Faktoren - etwa das Teamgefüge. DLV-Sportvorstand Jörg Bügner bezeichnete sie als Mannschaftssport. "Die Athleten und Trainer bilden diese Mannschaft. Der Erfolg hängt vom guten Teamwork und gegenseitigem Vertrauen aller ab", sagte Bügner. Nach Angaben des deutschen Verbandes wurde die Entscheidung über die Aufstellung im Trainerteam einstimmig getroffen. Dazu zählt auch der gemeinsame Heimtrainer von Schmidt, Bulmahn und Bredau, der zugleich Bundestrainer für die 400 Meter der Frauen ist. Die Entscheidung sei gegenüber den Athletinnen und Athleten begründet worden.
Doch, ob die Kommunikation wirklich so klar war, daran gibt es Zweifel. Die Sprinterinnen und Sprinter trafen sich eine Woche, bevor ihre Wettbewerbe in Paris losgingen, zum sogenannten Olympia Farewell in Berlin. Im Mommsen-Stadion trat so mancher in der Hoffnung an, mit einer hervorragenden Leistung etwa noch einen fixen Startplatz in den Staffeln für Paris zu lösen. Nur, so ist von Beteiligten zu hören, war nicht so richtig klar, welche Rolle dieser Wettbewerb nun für die finale Besetzung der Staffeln eigentlich spielen sollte. Bulmahn lief dort ihre Saisonbestleistung, war die zweitschnellste Frau über 400 Meter. Schmidt trat nicht an, was darauf hindeutet, dass sie ohnehin gesetzt war - schließlich war sie wie auch Bredau nur als Zuschauer vor Ort.
Und so bleibt am Ende nur dieser kommunikative Scherbenhaufen, bei dem niemand so richtig gut wegkommt. Bulmahn wurde für ihre Misstöne aus dem olympischen Aufgebot gestrichen. Die Mixed-Staffel um Schmidt und Co. wurde durch den verpatzten Startlauf um eine Medaillenchance gebracht. Und Bredau selbst? Der hat sich bei seinem Team und den Trainern entschuldigt. Deshalb darf er am Freitag wieder in einer Staffel antreten. Auf der lilafarbenen Bahn, diesmal aber für die Männer.
Quelle: ntv.de, ses