Schockerlebnis für Bastian Schweinsteiger Der Chefdirigent ist zurück
15.06.2012, 08:45 Uhr
Bastian Schweinsteiger hat seine Form wieder.
(Foto: dapd)
Gegen Portugal muss Löw seinen Schweinsteiger noch so starkreden, wie er gegen Holland tatsächlich agiert. Nicht nur wegen seiner beiden Torvorlagen. Als Gomez die Führung erzielt, kann sich der Mittelfeldstratege nicht freuen. "Ich war geschockt", sagt Schweinsteiger. Organisiert und inspiriert - so gut, wie er den Taktstock schwingt, spielt auch die deutsche Nationalmannschaft.
Offiziell ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am 4. Juni per Sonderflug aus Frankfurt a. M. zur EM gereist. Es gibt sogar Fotos, die Joachim Löw und Co. in Danzig beim Verlassen des Flugzeugs zeigen, gewandet in adrette blaue Sakkos. Auch Bastian Schweinsteiger war dabei. Nur angekommen bei der EM ist Deutschlands Mittelfeldchef damals nicht. Am 13. Juni um 21.09 Uhr hat Schweinsteiger sein Versäumnis nachgeholt – in Charkow, mit Verspätung, einem Ausrufezeichen und einem Schockerlebnis. Und schuld war Mario Gomez.
"Ich konnte mich mich erst gar nicht so freuen über das Tor, weil ich so geschockt war über die Aktion von Mario. Weil ich es noch nie gesehen hab, dass er den Ball so mitgenommen hat. Und dann hat er ihn auch noch reingemacht", beschrieb der deutsche Mittelfeldchef, wie er das 1:0 von Mario Gomez beim 2:1-Sieg über die Niederlande erlebt hatte. Eingebrockt hatte sich Schweinsteiger den Schock selbst. Wie auch bei Gomez' zweitem Tor 14 Minuten später war er der Vorlagengeber und zweimal spielte er einen Pass, wie er nicht jedem Fußballer glückt.
Das war, neben dem Gomez-Doppelpack, der erneut stabilen Defensive und den optimalen Voraussetzungen für den Viertelfinaleinzug bereits die vierte gute Nachricht an diesem hitzigen Fußballabend im Metalist-Stadion. Die Form, die Schweinsteiger beim Auftakt gegen Portugal noch gesucht hatte – gegen die Niederländer hat er sie wiedergefunden. Diesmal hat er sich nicht gequält, sondern gespielt. "Bastian Schweinsteiger wird mit jedem Spiel besser und hat immer mehr Präsenz. Er ist körperlich stark und gewinnt viele Zweikämpfe", bewertete sein Löw den Auftritt seines Mittelfeldchefs.
Ankerpunkt im Mittelfeld
Schon gegen Portugal hatte der Bundestrainer Schweinsteiger stark gesehen, ihn damit aber vor allem starkgeredet. Diesmal deckten sich Einschätzung und Leistung. Schweinsteiger übernahm im Mittelfeld die prägende Rolle als defensiver Organisator und offensiver Inspirator. Er stopfte Löcher in der deutschen Defensive und sah Räume in der niederländischen Abwehr – seine Pässe kamen maßgenau in die Schnittstellen. In einer starken deutschen Mannschaft, die sich zwischenzeitlich am eigenen Offensivspiel berauschte, war Schweinsteiger vor allem in der ersten Halbzeit der Ankerpunkt im Mittelfeld. Endlich wieder.
Es ist kein Zufall, dass der spielerische Aufschwung des DFB-Teams gegen die Niederlande im Vergleich zum EM-Auftakt mit einem Formanstieg bei Schweinsteiger einherging. Der 27-Jährige ist seit der WM 2010 der "emotionale Leader" des DFB-Teams. Vor der EM erlebte er aber ein Seuchenjahr. Nach glänzendem Saisonstart bremste den Münchner im November 2011 ein Schlüsselbeinbruch, danach kam er nicht mehr in Tritt, weil er seitdem nicht mehr beschwerdefrei trainieren konnte, wie er in Danzig offen einräumte.
Gegen die Niederlande nahm Löws Dirigent den Taktstock wieder in die Hand – und lobte anschließend die gesamte Mannschaft. "Für mich ist erstmal wichtig, dass wir defensiv gut stehen. Dass wir den Gegner immer wieder attackieren in unserer Hälfte und wie eine Wand dastehen." Ein Sonderlob verteilte er an die Offensivkräfte, die trotz ihrer "Narrenfreiheit" Richtung gegnerisches Tor die erste Verteidigungsreihe bilden: "Das geht ein bisschen unter: die Arbeit, die die Offensiven auch in der Defensive machen, ist enorm wichtig für die Mannschaft. Dass der Gegner nicht einfach durchkommt."
Umschalten als Schlüssel
Vor der EM hatte Co-Trainer Hansi Flick das Umschalten von Angriff auf Abwehr als den Punkt bezeichnet, den das deutsche Team noch verbessern müsse. Gegen die Niederlande zeigte sich, dass die deutsche Mannschaft dabei Fortschritte macht. Und noch ein Punkt stach in Charkow heraus: Obwohl das Spiel phasenweise an die 3:0-Offensivgala gegen Oranje in Hamburg erinnerte, gefiel sich das DFB-Team nicht in Schönspielerei: Gegen die Niederländer gewann Deutschland 64,9 Prozent seiner Zweikämpfe. Das ist, stellten die Statistikexperten von Opta heraus, ein Rekord bei Europameisterschaften.
Durch die WM 2010 ist die deutsche Mannschaft zusammen gereift und gewachsen. Die Turniersituation in Polen und der Ukraine ist für das Gros des Teams nicht mehr neu. Das mache ihn auch zuversichtlich für die nächsten Spiele, sagte Schweinsteiger: "Man merkt, dass man ein bisschen erfahrener ist in gewissen Situationen. Auch gestern bei dem Wetter ist es auch mal gut, sich mit dem Ball auszuruhen und den Gegner mal laufen zu lassen. Einfache Pässe zu spielen, kluge Pässe zu spielen und dann effektiv vor dem gegnerischen Tor aufzutauchen. Und das haben wir getan." Auch, weil Bastian Schweinsteiger endlich angekommen ist bei dieser EM.
Quelle: ntv.de