Mesut Özil über Real Madrid und die DFB-Elf "Ich muss mehr Torgefahr entwickeln"
16.06.2012, 00:24 Uhr
Mesut Özil ist einer der kreativen Köpfe im deutschen Team.
(Foto: dapd)
Mesut Özil ist im Ruhrpott geboren und spielt bei Real Madrid. Sein Vereinstrainer José Mourinho hält ihn für den besten "Zehner" der Welt. Bei der EM spielt er bislang unter seinen Möglichkeiten, wie er im Interview mit n-tv.de und der "Mittelbayerischen Zeitung" einräumt. Er träumt von der Auszeichnung zum Weltfußballer und sagt: "Ich habe alle Freiheiten".
n-tv.de: Herr Özil, bei der WM 2010 waren Sie noch relativ neu in der Mannschaft. Können Sie mal beschreiben, wie sich seither Ihre Rolle und und Ihr Selbstbewusstsein verändert haben?
Mesut Özil: Selbstbewusstsein hatte ich schon immer. Natürlich freue ich mich, dass ich dabei bin. Das ist ja meine erste EM. Das Wichtigste ist, dass wir erfolgreich sind. Mit den beiden Siegen gegen sehr starke Mannschaften zu Beginn waren wir das. Und jetzt steht die Aufgabe gegen Dänemark an. Das wird nicht leicht, aber wenn wir unser Potenzial abrufen, werden wir die drei Punkte auf jeden Fall holen.
Was erwarten Sie von den Dänen?
Ich glaube, jeder Gegner will gegen Deutschland gewinnen. Das ist bei Real Madrid genauso. Und auch dort erwartet jeder, dass wir Titel holen. Die Dänen stehen sehr kompakt, können aber auch vorne die Tore machen. Wir sind noch nicht durch, aber wir haben es selbst in der Hand. Wir müssen Schritt für Schritt denken.
In den ersten beiden Spielen stellten sich Ihnen oft zwei bis drei Gegenspieler in den Weg. Merken Sie, dass sich die gegnerischen Mannschaften jetzt mehr auf Sie fokussieren?
Das ist ja auch in spanischen Liga so. Natürlich bin ich durch die WM und durch den Wechsel zu Real Madrid international bekannter geworden. Aber groß verändert haben sich meine Rolle oder meine Spielweise dadurch nicht. Die gegnerischen Mannschaften wollen mich ausschalten. Ich spiele meinen Fußball auf dem Platz, und die Mannschaft unterstützt mich dabei toll.

Özil ist gebürtiger Gelsenkirchener und startete seine Profikarriere bei Schalke 04.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ist Ihre Rolle jetzt defensiver angelegt?
Ich glaube, heutzutage geht das gar nicht anders. Jeder muss nach hinten mitarbeiten. Ich arbeite bei Real Madrid defensiv mit, ich habe das auch schon in Bremen so gemacht.
Bastian Schweinsteiger hat jedoch geäußert, Sie würden im Offensivspiel quasi Narrenfreiheit genießen.
Natürlich hab' ich als Spielmacher alle Freiheiten auf dem Platz, wenn wir den Ball haben. Ich kann mich nach links bewegen, nach rechts bewegen, in die Spitze gehen. Das hat er wohl damit gemeint.
In den zwei Jahren in Madrid haben Sie sich körperlich und mental weiterentwickelt. Wie viel spanischer Fußball steckt in Ihnen drin?
Ich mache ab und zu Krafttraining, habe bei Real drei bis vier Kilo zugelegt. Aber ich dosiere das, um keine Geschwindigkeit zu verlieren. Insgesamt wird in Spanien ein bisschen anders als in der Bundesliga gespielt. Die Mannschaften wollen auch fußballerisch glänzen. Das kommt mir entgegen. Dass das meine Spielweise ist, konnte man schon in Bremen und bei der WM sehen.
Und wie hat sich die Rolle außerhalb des Platzes verändert? Das Medieninteresse ist groß, Sie sind ein begehrter Werbepartner.
Natürlich ehrt mich ein solches Interesse. Aber mein wichtigstes und erstes Ziel bleibt, mich auf den Fußball zu konzentrieren, auch hier bei der EM. Das muss auch den Partnern klar sein. Werbespots zu drehen, gehört zu meinem Beruf dazu, und wenn ich die Zeit dafür habe, mache ich das gerne.
Sie haben jetzt Roland Eitel, den Berater von Joachim Löw und Jürgen Klinsmann, engagiert. Wollen Sie damit die Defizite in Ihrer Außendarstellung beheben?
Ich bin Fußballspieler und will auch als solcher wahrgenommen werden. Meine Privatsphäre will ich für mich behalten. Dass mal Fotos aus meinem Urlaub veröffentlicht werde, gehört halt zum Geschäft, damit muss man klarkommen.
Ihr Real-Teamkollege Cristiano Ronaldo hat mehrfach geäußert, Sie seien ein besonders witziger Zeitgenosse. Für die Öffentlichkeit sind Sie eher der nachdenkliche und in sich gekehrte Typ. Woher rührt diese Diskrepanz?
In der Mannschaft mache ich gerne Späße oder ärgere meine Mitspieler auch mal. Ich hab' meinen spanischen und portugiesischen Kollegen bei Real schon mal angekündigt, dass wir sie bei der EM schlagen werden. Das läuft meist ganz spontan ab.
Wieder einmal steht bei dieser EM die deutsche Abwehr im Zentrum der Diskussionen. Ärgert das die Offensivabteilung manchmal?
Fußball ist ja kein Einzelsport. Wir stehen als Mannschaft insgesamt sehr kompakt, das fängt ganz vorne bei Mario an.
Sie haben zwei starke Auftaktspiele gegen Portugal und Holland abgeliefert, haben aber in Sachen Leistung noch Luft nach oben, oder?
Die Portugiesen standen sehr defensiv, und gegen Holland war mit dem Pfostenschuss auch ein bisschen Pech dabei. Natürlich weiß ich, dass ich viel besser spielen kann. Generell muss ich auch noch mehr Torgefahr entwickeln, nicht nur in der Nationalmannschaft. Aber das wird alles noch kommen. Wichtig ist, dass wir hier als Mannschaft funktionieren. Aber natürlich freut es mich, wenn ich meinen Anteil zum Erfolg beisteuern kann. Ich gebe immer 100 Prozent auf dem Platz, manchmal gelingt es besser, manchmal weniger gut. Ich bin halt auch nur ein Mensch.
Ihr Vereinstrainer Jose Mourinho hat Sie als den derzeit besten Zehner der Welt bezeichnet.
Natürlich bin ich glücklich darüber. Er ist mein Vereinstrainer, er weiß, was ich kann. Wenn er so etwas sagt, ehrt mich das.
Einem Mourinho widerspricht man nicht, oder?
(Özil lacht) Lieber nicht, nee.
Was unterscheidet Mourinho von Bundestrainer Joachim Löw?
Ich will beide nicht vergleichen. Sie sind beide hervorragende Trainer, zählen zu den besten der Welt. Ich bin ganz einfach froh, dass ich mich unter ihrer Anleitung weiterentwickeln kann.
Ist Madrid für Sie schon zur zweiten Heimat geworden?
Auf jeden Fall. Eine tolle Stadt, das Wetter ist sehr schön. Aber das Wichtigste ist, dass ich für den größten Klub der Welt spiele. Ich bin Stammspieler bei Real, der Trainer gibt mir das Vertrauen. Es macht mich stolz, mit Spielern wie Ronaldo, Kaká oder Sergio Ramos in einer Mannschaft zu stehen. Wir sind schließlich spanischer Meister geworden.
Und Sie können sich vorstellen, langfristig dortzubleiben?

Für rund 15 Millionen Euro wechselte er im August 2010 zu Real Madrid.
(Foto: picture alliance / dpa)
Warum denn nicht? Ich habe einen Vertrag bis 2016 abgeschlossen. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber ich fühle mich auf jeden Fall dort sehr wohl.
Sie haben eben Sergio Ramos erwähnt, der ein guter Freund von Ihnen ist. Schreiben Sie sich während der EM SMS?
Nicht nur mit ihm, sondern auch mit Karim Benzema (Frankreich/d. Red.) oder Ronaldo. Ich hab Sergio Ramos nach dem 4:0 der Spanier gegen die Iren geschrieben: Glückwunsch, super Spiel abgeliefert!
Und dann haben Sie geschrieben: Wir sehen uns im Finale?
(lacht) Nee, das schreib' ich lieber mal noch nicht.
Sami Khedira ist ja nicht nur in der DFB-Elf, sondern auch bei Real Ihr Teamkollege. Wie schätzen Sie ihn ein?
Er hat sich super entwickelt, ist auch in der Nationalmannschaft ein gestandener Spieler. Für mich gehört er zu den besten Sechsern auf der Welt. Mir macht es sehr viel Spaß, mit ihm zu spielen, weil er mittlerweile ein sehr guter Freund von mir ist. Wir machen auch privat sehr viel gemeinsam. Er ist in Madrid viel robuster und noch konstanter geworden.
Würden Sie sich freuen, wenn Philipp Lahm noch dazustoßen würde? Mourinho soll reges Interesse am Bayern-Kapitän signalisiert haben.
(lacht und zögert mit der Antwort) Philipp hat über viele Jahre bewiesen, dass er ein Weltklassespieler ist. Er wäre für sehr viel Klubs wertvoll, natürlich auch für uns. Mal schauen, was die Zukunft bringt.
Sprechen Sie mit ihm während der EM über dieses Thema?
Nein, absolut nicht. Wir konzentrieren uns ganz auf das Turnier.
Und bei dieser EM ist erneut Spanien das Maß der Dinge, oder?
Das wissen ja alle, nicht nur die Experten.
Gibt es andere Teams, die Sie bei der EM schon beeindruckt haben?
Die Russen. Ich glaube, sie sind gut dabei. Vor allem im ersten Spiel gegen Tschechien hat man gesehen, dass sie sehr, sehr konterstark sind, schnell nach vorne umschalten und viele Chancen herausspielen.
Herr Özil, sollte Deutschland Europameister werden, sind Sie vermutlich ein heißer Kandidat für den Titel des Weltfußballers 2012. Spukt das bei Ihnen im Hinterkopf herum?
Jeder Spieler träumt mal von dieser Auszeichnung. Aber ehrlich: Darüber mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich will, dass wir als Mannschaft erfolgreich sind. Wir sind hier angetreten, um den Titel zu holen.
Ein berühmter Literaturprofessor hat im Magazin "11Freunde" eine Eloge auf Ihr elegantes Spiel geschrieben. Ihr Vater soll ganz begeistert gewesen sein. Sie auch?
Natürlich hab' ich was davon gehört, aber gelesen hab' ich den Text leider noch nicht, weil wir sehr viel unterwegs sind. Natürlich bin ich wie mein Vater stolz darauf.
Stimmt es, dass Ihr Vater beim ersten EM-Spiel nicht dabei sein konnte, weil er seinen Pass vergessen hatte?
Ja, genau. Aber andere Mitglieder meiner Familie und auch ein paar Freunde waren hier, sind aber jetzt wieder abgereist, weil sie zu Hause arbeiten müssen.
Lionel Messi hat mal gesagt, er sei durch die Playstation ein noch besserer Fußballspieler geworden. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, da hat er nicht Unrecht. Man muss viel mitdenken, Schritt halten, sehen, was der Gegner macht.
Dann schlagen Sie also die meisten Spieler hier im Quartier?
(lacht) Dazu will ich wirklich nichts sagen. Ich verlier' auch ab und zu.
Mit Mesut Özil sprach Heinz Gläser
Quelle: ntv.de