Für und Wider der neuen Schwäche Bedroht der Euro die Wirtschaft?
17.05.2010, 15:54 UhrDer Kurs des Euro bewegt sich in beunruhigendem Tempo nach unten: Zum US-Dollar rutscht die europäische Gemeinschaftswährung auf den tiefsten Stand seit vier Jahren. Was bedeutet das für Deutschland?

Faszinierender Belichtungseffekt: Diese dramatisch ausgeleuchtete Münze rollt einer ungewissen Zukunft entgegen.
(Foto: dpa)
Angesichts der Schuldenkrise in Europa ist der Kurs des Euro mit 1,2237 Dollar auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen. Die Experten streiten über die Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Faustregel lautet: Der schwache Euro hilft dem Export, macht aber viele Importe teurer. Was heißt das im Detail? Was rollt auf die Verbraucher zu? Nutzt der schwache Euro unter dem Strich der deutschen Wirtschaft? Eine Übersicht.
Pro-Argument 1: Exportjubel
Den deutschen Exporteuren bringt der schwache Euro eine Sonderkonjunktur. Wie das geht, zeigt dieses Rechenbeispiel: Verkauft ein deutscher Maschinenbauer eine Anlage für 100.000 Dollar in den USA, erhielt er dafür zu Jahresbeginn umgerechnet rund 70.000 Euro. Weil der Dollar seither kräftig an Wert gewonnen hat, steigt der Gegenwert auf nun mehr als 81.000 Dollar.
Der schwache Euro verschafft den deutschen Exporteuren also einen Wettbewerbsvorteil. Er erlaubt es, die wegen der hohen Arbeitskosten teuren Exportschlager wie Maschinen und Fahrzeuge auch ohne Umsatz- und Gewinneinbußen günstiger anzubieten. Das kurbelt die Nachfrage an.
Pro-Argument 2: Dollar-Bindung
Die deutschen Exporteure erlösen zwar nur etwa 20 Prozent ihres Umsatzes im Dollar-Raum. Allerdings sind dort mit den USA nicht nur der zweitgrößte deutsche Kunde anzutreffen, sondern auch die besonders schnell wachsenden Schwellenländer von Brasilien bis Indien. Die haben nämlich die Kurse ihrer Währungen an die Dollar-Entwicklung gekoppelt.
Wie wichtig diese Staaten inzwischen sind, zeigt das Beispiel China: Die deutschen Ausfuhren in die Volksrepublik stiegen selbst im Krisenjahr 2009 noch um sieben Prozent, während sie insgesamt im selben Zeitraum um 17,9 Prozent einbrachen.
China ist inzwischen achtgrößter Abnehmer deutscher Waren, Tendenz steigend.
Pro-Argument 3: Konkurrenz-Effekt
Auch im Euro-Raum bringt die schwache Einheitswährung Vorteile, weil dadurch die Exporte der Dollar-Länder nach Europa verteuert werden. "Das erhöht den Kostendruck für die chinesischen Exporteure und beeinträchtigt auch Chinas Ausfuhren in die europäischen Länder", klagt zum Beispiel der Sprecher des Handelsministeriums in Peking. Deutsche Unternehmen können sich also Hoffnungen auf zusätzliche Aufträge aus den europäischen Nachbarländern machen, die bis vor kurzem noch an die Chinesen gegangen wären. Der Euro-Raum ist mit einem Anteil von mehr als 40 Prozent der mit Abstand wichtigste Markt für deutsche Waren.
Pro Argument 4: Binnenkonsumkurbel
Floriert der Export, geht es auch der deutschen Wirtschaft insgesamt gut. Er macht 41 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus - in der Euro-Zone dagegen nur 36,3 Prozent. In Deutschland arbeitet jeder fünfte Erwerbstätige direkt für den Export.
So weit die Worte der eher optimistischen Beobachter. Ihren Argumenten stellen skeptische Ökonomen mögliche Entwicklungen entgegen, die über die positive Wirkung der Euro-Schwäche auf den Export hinausgehen - mit zum Teil extremen Folgen.
Die wichtigsten Negativ-Effekte des schwachen Euro im Überblick:
Contra-Argument 1: Vorteilsgrenzen
Vom weichen Euro haben die meisten Exporteure nichts. 80 Prozent der Ausfuhren werden ohnehin in Euro abgerechnet und sind vom Auf und Ab am Devisenmarkt nicht betroffen. Und Firmen, die stark in den Dollar-Raum exportieren, haben sich häufig gegen schwankende Wechselkurse per Hedging geschützt. Sie profitieren deshalb aber erst später von dem schwachen Euro.
Der deutsch-französische Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS etwa hat sich für den Rest des Jahres mit einem Kurs von 1,37 Dollar abgesichert. Die Euro-Talfahrt bringt EADS frühestens 2012 etwas, da sich der Konzern in der Regel für zwei Jahre im Voraus absichert. Ähnlich dürfte es vielen anderen Firmen ergehen.
Contra-Argument 2: Inflationsimport
Der schwache Euro schadet mehr als er nutzt, weil Deutschland sich damit Inflation importiert. An den Rohstoffmärkten ziehen die Preise wegen der weltweiten Konjunkturerholung an. Da Rohöl, Metalle und andere Rohstoffe überwiegend in Dollar bezahlt werden, steigen die Preise noch schneller. Der vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) berechnete Rohstoffpreisindex zog im April in Dollar gerechnet um 5,7 Prozent, in Euro dagegen um 7,0 Prozent an. Je tiefer der Euro fällt, desto weiter geht diese Spanne auseinander.
Contra-Argument 3: Einkaufsklemme
Für die Unternehmen wird das teuer. Die deutsche Industrie beklagte in der aktuellen Umfrage des Markit-Instituts den stärksten Kostenanstieg seit fast zwei Jahren. Sie erhöhten deshalb den dritten Monat in Folge ihre Verkaufspreise.
Das spüren dann auch die Verbraucher. Die Benzin- und Dieselpreise stiegen kürzlich auf Jahreshochs. Auch unabhängig von saisonalen Schwankungen und Sondereffekten an der Zapfsäule dürften die Verbraucherpreise ungepuffert anziehen, falls die Rohstoffnotierungen wieder in die Höhe gehen.
Contra-Argument 4: Binnenkonsumgift
Weil die Einkommen 2010 wegen Kurzarbeit, dem Wegfall von Boni und schwacher Lohnerhöhungen kaum steigen werden, wiegt eine höhere Teuerungsrate doppelt schwer. Sie belastet die Realeinkommen und damit den Konsum. Je weiter der Euro fällt, desto stärker dürfte er sich demnach als Hemmschuh für den Konsum der privaten Verbraucher auswirken. Ob dieser Effekt die positiven Auswirkungen einer neuen Export-Stärke auf den Arbeitsmarkt (siehe Pro-Argument 4) überwiegt, wollen oder können die Experten derzeit noch nicht einschätzen.
Contra-Argument 5: Angst vor der Zinskeule
Zieht die Inflationsrate deutlich an, könnte das die Europäische Zentralbank (EZB) zu schnelleren Zinserhöhungen zwingen. Das wiederum würde Kredite für Unternehmen und Verbraucher verteuern und damit Investitionen und Konsum bremsen.
Quelle: ntv.de, mmo/rts