Autoexperte Diez über Toyota "Das ist ein Total-Crash"
04.02.2010, 09:38 Uhr
Pedal des Anstoßes: Mit einem kleinen Problem fing es im Herbst an, mittlerweile musste Toyota den größten Rückruf aller Zeiten starten.
(Foto: REUTERS)
Toyota schafft es nicht aus den Schlagzeilen. Das Gaspedal klemmt, die Bremsen versagen und der größte Autobauer der Welt steuert mit Vollgas in die Imagekrise. n-tv.de sprach mit dem Autoexperten Willi Diez über die Qualitätsprobleme der Japaner, die Kosten für das Desaster und Verschwörungstheorien um den größten Rückruf aller Zeiten.
n-tv.de: Erst das Gaspedal, dann die Bremsen. Wie können solche Probleme beim weltgrößten Autobauer Toyota entstehen?
Willi Diez: Offensichtlich haben die Qualitätssicherungssysteme versagt. Das ist natürlich überraschend. Toyota hat immer für Qualität gestanden. Solche Teile werden allerdings nicht vom Hersteller selbst gebaut sondern von Lieferanten. Da hat man wohl nicht sorgfältig genug kontrolliert. Möglicherweise war auch der Kostendruck auf die Zulieferer sehr hoch. Dann können solche Dinge passieren.
Wollte da ein Autobauer mit Gewalt die Nummer eins in der Welt werden und kassiert jetzt die Quittung dafür?
Das würde ich so nicht sehen. Toyota hat über viele Jahre sehr gute Autos gebaut und baut sicher auch weiterhin. Aber das war schon ein sehr ehrgeiziges Wachstumsprogramm. Dabei kann es schon mal vorkommen, das an der ein oder anderen Stelle Qualitätssicherungssysteme versagen.
Prof. Dr. Willi Diez ist Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen und anerkannter Fachmann für die Autobranche.
Stichwort Zulieferer: Wir erinnern uns noch an Herrn Lopez und seine sieben "Krieger". Nun waren die bei Opel und VW und nicht bei Toyota. Beide hatten in der Folgezeit ernstzunehmende Qualitätsprobleme. Diese Ära hat für die Zulieferer doch einiges verändert. Ist das, was wir hier erleben, das Erbe? Toyota war in den vergangenen Jahren doch Vorbild, was die Organisation des Autobaus angeht.
Toyota war in der Tat in der Vergangenheit Vorbild und wird es sicher auch weiterhin sein. Ich denke, man wird aus diesen Fehlern lernen. Man wird diesen Problemen auch sehr genau auf den Grund gehen. Das ist ja auch ein Teil der Qualitätsphilosophie des Konzerns. Jetzt muss man aber schnell handeln, damit sich das, was da passiert ist, nicht allzu sehr in den Köpfen der Menschen festsetzt.
Man hat allerdings das Gefühl, dass Toyota derzeit fast überrollt wird. Mit dem Prius ist jetzt das Vorzeigeauto auch noch in Verruf geraten. Ist da ein ordentliches Reagieren überhaupt noch möglich?
Man hat ja im Prinzip schon schnell reagiert, indem man die Produktion unterbrochen hat und die Autos in die Werkstätten geholt hat. Das muss jetzt flächendeckend geschehen und man muss proaktiv handeln. Toyota muss auf die Kunden zugehen und ihnen sagen: Wir kümmern uns darum und halten sie mobil. Das wird sehr, sehr viel Geld kosten. Ich schätze, das wird schon einen dreistelligen Millionenbetrag kosten.
Wird das reichen, ein dreistelliger Millionenbetrag?
Das ist schwer abschätzbar, was da noch alles auf Toyota zukommt. Plötzlich hat jeder ein Problem mit dem Gaspedal. Menschen werden aufgeschreckt und glauben, bei ihrem Auto wäre auch etwas nicht in Ordnung. Das ist wie eine Lawine. Was da am Ende an Kosten aufläuft, ist momentan noch nicht klar. Auf Basis der Fakten, die wir derzeit aus den USA kennen, wird ein dreistelliger Millionenbetrag reichen. Wenn natürlich eine noch größere Zahl von Fahrzeugen betroffen ist, kann das noch weitaus teurer werden. Dann sprechen wir über ganz andere Summen.
Die monetäre Seite ist ein Aspekt. Weitaus gravierender ist der Imageschaden. Man hat über viele Jahre an dem Image als Hersteller von zuverlässigen Automobilen gearbeitet. Wie lange wird das dauern, bis man diesen Schaden wieder reparieren kann?
Das ist natürlich ein Total-Crash, was wir hier erleben. Aber noch mal: Entscheidend ist, dass man schnell reagiert, dass man die Autos von der Straße holt und die Probleme beseitigt. Toyota hat sich über viele Jahre ein sehr gutes Image aufgebaut. Das ist jetzt nicht über Nacht zerstört. Man muss klarstellen, dass man die Themen ernst nimmt und nicht versucht, zu verharmlosen oder zu verdrängen. Toyota muss sich dem Thema stellen und die Qualitätsstandards wieder herstellen. Dann wird man diese Delle auch überwinden. Aber keine Frage: Gerade auf dem amerikanischen Markt wird das Toyota richtig Absatz kosten. Denn die Amerikaner sind in solchen Dingen sehr, sehr sensibel. Man hat immer einen Toyota gekauft, weil die Amerikaner qualitativ so schlecht waren. Das könnte sich jetzt wieder umkehren.
Im Januar war das an den Absatzzahlen schon abzulesen. General Motors hat eine Prämie für Toyotafahrer, die jetzt wechseln, eingeführt. Unklar ist auch, ob die Zahl von 19 tödlichen Unfällen, die ein amerikanischer Automobilverband in die Öffentlichkeit gebracht hat, stimmt. Das ist schon eine merkwürdige Verkettung, oder?
Nein, das ist ganz normales Geschäft. Es ist klar, dass die Wettbewerber jetzt versuchen, die verunsicherten Toyota-Kunden zurückzuholen. Toyota war in den USA mit der Werbung in der Vergangenheit auch nicht gerade zimperlich. Dort ist schon seit vielen Jahren vergleichende Werbung erlaubt. Die haben vorher auch die Finger in die Wunden von General Motors gelegt, was die Qualität angeht. Man muss damit rechnen, dass diese jetzt zurückschlagen. Die Konkurrenz will die Chance natürlich nutzen und jetzt wieder Marktanteile gewinnen. Zumal GM dringend zulegen muss, um wieder zu gesunden. Eine Verschwörung gegen Toyota kann ich da nicht erkennen.
Mit Willi Diez sprach Markus Mechnich
Quelle: ntv.de