Wirtschaftsstimmen zur Wahl Das sagen die Ökonomen
23.09.2013, 08:50 Uhr
Bundestagswahl 2013: An der Spree wirft ein leistungsstarker Beamer Live-Bilder einer glücklichen Wahlsiegerin an die Fassade des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.
(Foto: REUTERS)
Am Tag nach der Wahl sondieren Analysten die Lage: Was bedeutet das Ergebnis für die deutsche Wirtschaft? Große Verbände gratulieren der Kanzlerin und bedauern die FDP. Einzelne Beobachter äußern sich skeptisch. Wird der Dax wirklich bis auf 10.000 Punkte steigen?
Das Wahlergebnis ist eindeutig: Dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge hat die Union die Bundestagswahl klar gewonnen. Die CDU/CSU mit Kanzlerin Angela Merkel geht als stärkste Kraft aus dem Urnengang hervor. Die FDP verpasste erstmals den Einzug in den Bundestag. Die Union braucht daher einen neuen Koalitionspartner, denn für die absolute Sitzmehrheit reichte es knapp nicht. Für eine rot-grüne Koalition reicht es offenbar trotz Gewinnen für die SPD nicht. Die Grünen verloren ebenso wie die Linkspartei an Stimmen. Die euro-skeptische AfD zieht nicht in den Bundestag ein.
Während das politische Berlin noch spekuliert, mit welcher Partei die Union Koalitionsverhandlungen aufnehmen wird, bemühen sich Wirtschaftsexperten bereits darum, den Wahlausgang im Hinblick auf europapolitische, aufsichtsrechtliche und konjunkturelle Perspektiven zu bewerten.
"Es freut mich, dass die Parteien eine sehr solide Performance gezeigt haben, die für die Integrität des Euro stehen", sagte zum Beispiel Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, in einer ersten Einschätzung zum Wahlergebnis. "Ich gehe davon aus, dass der Euro am Montag gut unterstützt sein wird. Große Kurssprünge erwarte ich aber nicht. Wir halten an unserer Prognose eines Dax -Anstiegs auf 10.000 Punkte im Jahr 2014 fest."
"Es droht der große Stillstand"
Nordea-Ökonom Holger Sandte äußerte sich dagegen skeptischer. "Bemerkenswert ist das Ergebnis der AfD. Das spielt eine Rolle, wenn es im kommenden Jahr EU- Parlamentswahlen geben wird", betonte der Chefvolkswirt der schwedischen Großbank. "Es dürfte aber keine großen Änderungen in der deutschen Europa-Politik geben. Ich rechne eher mit einem Schritt-für-Schritt-Ansatz. Möglicherweise kommt eine große Koalition", meinte Sandte.
"Große Reformen in einer großen Koalition dürften schwierig werden. Es droht eher der große Stillstand. Für die einen gibt es dann etwas höhere Steuern, für die anderen etwas niedrigere. Dabei brauchte es Reformen - von der Finanzausstattung der Kommunen über die Vereinfachung des Steuersystems bis hin zu wachstumsfördernden Maßnahmen. Aber ich glaube nicht an den großen Wurf."
Bei Lang & Schwarz hieß es, das Wahlergebnis sei "neutral bis positiv für die Börse". Wenn es zu einer großen Koalition komme, werde der Markt schnell zur Tagesordnung übergehen, sagte Guiseppe Amato, Marktanalyst des Brokerhauses. "Eine absolute Mehrheit für die Union wäre für den Euro kurz- und mittelfristig sicher nicht schädlich."
Kein Kursfeuerwerk an der Börse
Der Chefvolkswirt der Allianz bestätigte diese Ansicht: "Sollte es eine absolute Mehrheit für die Union geben, wäre es aus Sicht der Finanzmärkte positiv zu werten, dass eine konservative und wirtschaftsfreundliche Partei eine solche Stärke annehmen könnte", kommentierte Allianz-Ökonom Michael Heise den Wahlsieg der Union. Ein "Kursfeuerwerk" sei an den Börsen allerdings nicht zu erwarten. Dazu habe sich die Union im Wahlkampf aus der Sicht Heises "zu wenig als große Reformkraft für die Problemfelder Investitionsschwäche, Bildung und Energiewende profiliert".
Für die Märkte sei vor allem wichtig, dass es "eine schnelle Lösung" und "eine klare Regierungsbildung" gebe, heißt es bei der Allianz. "Eine große Koalition wäre sicher kein Schreckensbild. Die SPD hat mit den Hartz-IV-Reformen bewiesen, dass sie wesentliche Verantwortung auf wirtschaftlichem Gebiet tragen kann. Das wird auch im Ausland honoriert."
Die FDP hat es "zerlegt"
IW-Chef Michael Hüther zeigte sich beeindruckt von den deutlichen Zugewinnen der Kanzlerin. "Der Wahlsieg der Union zeigt, dass auch eine große Volkspartei noch in erheblichem Maße zulegen kann", hob der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) hervor. "Das ist umso erstaunlicher, da die Politik mit Blick auf die Euro-Krise ja nicht konfliktfrei war. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass es die FDP derart zerlegen würde. Ihr voraussichtliches Ausscheiden aus dem Bundestag ist eine historische Marke."
Mit einer Union knapp unterhalb der absoluten Mehrheit sei klar: "Es wird keine Steuererhöhungen geben", zeigte sich Hüther sicher. "Auch bei der Energiewende ist allen klar, dass das Konzept überprüft werden muss. Es besteht Handlungsbedarf: Eine weitere Steigerung der Strompreise muss verhindert werden."
"Merkel persönlich ist sehr stark"
Die umstrittene PKW-Maut könnte dagegen kommen, so der IW-Chef weiter. "Doch das Konzept von CSU-Chef Horst Seehofer trägt nicht - es ist nicht mit Europarecht vereinbar. Möglich wäre aber, dass man eine europataugliche Maut einführt und zugleich die Kfz-Steuer etwas absenkt, um die deutschen Autofahrer zu entlasten."
Bei der Berenberg Bank rechnet Holger Schmieding mit keiner besonderen Wahlaufregung an der Börse. "Es dürfte an den Märkten keine größeren Reaktionen auf den Wahlausgang geben", prognostizierte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank. "Merkel persönlich ist sehr stark mit ihrer CDU - egal, mit welcher Koalition sie regieren wird."
Bei den großen und einflussreichen Wirtschaftsverbänden Deutschlands ruft das vorläufige Endergebnis der Bundestagswahl gemischte Reaktionen hervor. "Die Parteien im Wahlkampf haben zu wenig über zielführende Wirtschafts- und Industriepolitik geredet", kritisierte zum Beispiel der Präsident des Industrieverbands BDI, Ulrich Grillo. "Das sind die Themen Energiewende, keine Steuererhöhungen und Investitionsturbo. Der BDI spricht für Unternehmen mit acht Millionen Beschäftigten, die wollen Wachstum. Nur über Verteilung zu reden reicht nicht aus, wir müssen unseren Wohlstand erstmal erwirtschaften", warf der BDI-Chef offensichtlich in Richtung Gewerkschaften ein.
Euro, Energie, Steuern, Fachkräfte
"Ich bedaure, dass die FDP wohl nicht mehr vertreten sein wird", fügte Grillo hinzu. "Liberales Gedankengut hat uns in den vergangenen Legislaturperioden vorangebracht. Wenn die AfD in den Bundestag einziehen würde, müsste sie zunächst zeigen, dass sie politikfähig ist und konstruktiv im Bundestag mitarbeitet. Nur ein Thema - Nein zum Euro - ist zu wenig. Die große Mehrheit der Wirtschaft ist für Europa und den Euro."
Das Wahlergebnis der FDP beschäftigt auch den Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW): "Wir gratulieren Frau Merkel zu ihrem glänzenden Wahlergebnis. Gleichzeitig bedauern wir es sehr, wenn die FDP das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik nicht im Bundestag vertreten ist. Denn die Liberalen standen und stehen für eine sehr mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik", sagte BVMW-Chef Mario Ohoven.
"Frau Merkel in die Pflicht nehmen"
"Es ist für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland entscheidend, dass die SPD jetzt von ihren Plänen für höhere Steuern und Abgaben abrückt", betonte Ohoven. "Denn das würde die deutsche Wirtschaft in allergrößte Schwierigkeiten bringen. Deutschland würde zudem als Lokomotive der europäischen Wirtschaft ausfallen. Unser Land steht vor riesigen Herausforderungen: Euro, Energie, Steuern, Fachkräfte, um nur vier zu nennen. Es darf keine Steuererhöhungen oder zusätzlichen Abgaben geben, es dürfen aber auch keine neuen Schulden gemacht werden."
Wir werden Frau Merkel in die Pflicht nehmen: Beim Haushalt muss schon 2014 die schwarze Null erreicht werden, der Jobmotor Mittelstand braucht angesichts explodierender Energiepreise eine sofortige Entlastung bei Steuern und Abgaben. Dazu muss als erster Schritt die Stromsteuer gesenkt werden. Schwarz-Gelb hatte 2009 viel versprochen, aber zu wenig umgesetzt. Jetzt muss die Bundeskanzlerin liefern."
"Deutschland ist nicht unregierbar"
Anton Börner, Präsident des Exportverbands BGA, sieht der offenen Koalitionsfrage unterdessen gelassen entgegen. "Mich beschleicht keine Sorge, im Gegenteil. Man sieht, dass Frau Merkel doch sehr stabile Optionen für die Regierungsbildung hat. Sie kann eine Koalition mit der SPD bilden, mit den Grünen."
"Ich denke, es gibt genug Optionen, um zu einer stabilen Regierung zu kommen", sagte Börner. "Das ist wichtig für Deutschland und das ist wichtig für Europa. Wir brauchen eine klare Perspektive für die nächsten vier Jahre. Und da bin ich jetzt zuversichtlich. Deshalb mache ich mir das keine Sorgen. Deutschland ist nicht unregierbar: das ist wichtig für Europa und die Finanzmärkte."
"Nicht jedes Schuldenpaket abnicken"
Auch Lutz Goebe, Präsident des Verbands der Familienunternehmer, beleuchtete die anstehenden Koalitionsverhandlungen und das Abschneiden der kleineren Parteien. "Das Wahlergebnis insbesondere der Grünen zeigt, dass man mit Steuererhöhungen in Deutschland keinen Stimmenzuwachs erzielen kann", erklärte Goebe.
"Wir brauchen in den nächsten vier Jahren eine Politik unter dem Leitthema, 'wie erhalten wir unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit' und 'wie bleibt Deutschland Lokomotive für Europa'. Wenn Frau Merkel mit SPD oder Grünen Koalitionsverhandlungen führt, wird das auf dem Feld der Wirtschaftspolitik schwierig. Die Wahlprogramme beider Parteien waren für die Wirtschaft sehr teuer."
Das Abschneiden der AfD bezeichnete Goebe als "Wink mit dem Zaunpfahl für alle diejenigen, die weiter in Richtung einer Schuldenvergemeinschaftung marschieren wollen". Goebe sieht darin auch "ein wichtiges Signal in die Hauptschuldnerländer, dass die besonnenen Deutschen nicht jedes Schuldenpaket abnicken wollen."
Quelle: ntv.de, mmo/rts