Spanien steht vor der Wahl Der Rotstift wird regieren
19.11.2011, 06:22 Uhr
Das ist Juan Jose Padilla, berühmter Stierkämpfer und einer von 36 Millionen Wählern.
(Foto: REUTERS)
Erst Griechenland, dann Italien, jetzt Spanien: Inmitten wilder Turbulenzen steuert die viertgrößte Euro-Wirtschaft auf einen politischen Umbruch zu. Sicher ist, die Ära Zapatero geht zu Ende. Doch egal, wer ihm nachfolgt - der Sieger erbt ein schweres Los. Er muss dem Wähler neue Sparpakete verkaufen und gleichzeitig die Wirtschaft in Schwung bringen.
Die Lage ist miserabel: Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosigkeit grassiert, für Konjunkturprogramme fehlt das Geld. Hundertausende Haushalte sind akut vom Abstieg in die Armut bedroht. Am Ende der Ära Zapatero steht Spanien vor einem Berg an Schulden - und vor einem Meer voller Probleme.
In vorgezogenen Neuwahlen dürfen die Spanier nun über den künftigen Kurs des Landes abstimmen: Unter dem Druck der wachsenden Unzufriedenheit hatte der scheidende Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero im Juli vorgezogene Neuwahlen für den 20. November angesetzt, ein Datum, das nur vier Monate vor dem regulären Wahltermin liegt. Noch einmal antreten will Zapatero nicht. Beobachter sehen darin einen geschickten Schachzug.
Denn den Umfragen zufolge steuert die konservative Volkspartei Partido Popular (PP) von Oppositionsführer Mariano Rajoy auf einen klaren Sieg und die absolute Mehrheit zu. Der bislang regierenden Sozialistischen Arbeiterpartei Partido Socialista Obrero Espanol (PSOE) mit Alfredo Pérez Rubalcaba als Spitzenkandidat werden dagegen kaum Chancen zugebilligt. In seinen letzten Monaten als Ministerpräsident hatte Zapatero unter anderem eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in der spanische Verfassung verankert und eine Reihe harter Sparmaßnahmen auf den Weg gebracht. Umsetzen dürfen die nun andere.
Doch was passiert, wenn das nicht reicht? Kritiker werfen Zapatero vor, die wirtschaftlichen Probleme des Landes nach seiner Wiederwahl 2008 kleingeredet zu haben. Sie machen den offensichtlichen Widerspruch zwischen Realität und Regierungsmeinung für einen massiven Vertrauensverlust verantwortlich. Anders als im Frühjahr bleibt es auf den Straßen und Plätzen des Landes vergleichsweise friedlich. Nach monatelangen Protestaktionen gibt es vor der Wahl nur vereinzelte Demonstrationen. Das könnte sich schnell ändern.
"Kämpfe für das, was du willst"
Denn an Unzufriedenheit, Enttäuschung und tiefer Frustration herrscht kein Mangel. Die Auswirkungen der Lehman-Krise haben die Spanier weitaus stärker getroffen als Franzosen oder Deutsche. Der spanische Immobilienmarkt erlebte seine ganz eigene Krise. Im dritten Quartal des laufenden Jahres war das Wachstum gleich null, die Arbeitslosigkeit liegt bei 21,5 Prozent, unter Jugendlichen sogar bei 45,8 Prozent. Zudem droht dem Land der Rückfall in die Rezession.
Die Wahlkampfslogans spiegeln die Angst vor dem Volkszorn wider: Der Kandidat aus dem Lager Zapatero tritt mit einer "Formula Rubalcaba" an: Der PSOE-Mann will "zuhören, machen, erklären". Auf Plakaten fordert er die Wähler auf: "Kämpfe für das, was du willst". Bei Rajoys PP gewinnt der Wahlkampf deutlich an Dramatik. "Die Zukunft unseres Landes steht auf dem Spiel", verkündet der konservative Herausforderer. Er glaube an die Demokratie, bekräftigt Rajoy, und außerdem daran, dass es der richtige Moment für einen Wechsel sei. "Schließe dich dem Wechsel an", steht auf seinen Wahlplakaten.
Es geht um viel: Die gesamte politische Führungsriege des Landes steht zur Wahl. Neu besetzt werden die Sitze von 350 Abgeordneten im Unterhaus und die 208 Stühle im Senat. Neben Sozialisten und Konservativen werben rund 20 weitere regionale und nationale Parteien um Stimmen. Allerdings räumen Experten nur wenigen von ihnen Chancen auf einen Einzug ins Parlament ein. Das spanische Wahlsystem bevorzugt große Parteien. Aufgerufen zur Stimmabgabe sind etwa 36 Millionen Wahlberechtigte. Mehr als vier Millionen davon sind arbeitslos. Eine weitaus größere Zahl ist von den bereits umgesetzten Einschnitten persönlich betroffen oder sieht sich mittelbar vom sozialen Abstieg bedroht. Die Mischung aus anhaltender Wirtschaftsmisere und dem auf dem Haushalt lastenden Sparzwang halten Beobachter für hochbrisant.
Zinslast steigt
Dazu kommt: Wenige Tage vor der Wahl weiter an. Spanien muss zur Finanzierung seiner Schulden immer höhere Zinsen bezahlen. Dabei spart das Land bereits nach Kräften. Zu den unpopulären Maßnahmen, die Zapateros Regierung in den vergangenen Monaten ansetzte, zählten unter anderem eine Anhebung des Renteneinstiegsalters, die Verankerung eines nach deutschem Vorbild in der Verfassung und umfangreiche Gehaltskürzungen für Staatsbedienstete.
Zur Wahl treten Rajoy und seine Konservativen dennoch mit einem verschärften Sparprogramm an. Der Rotstift soll noch stärker zum Einsatz kommen, für die hochverschuldeten spanischen Regionen wollen sie ein striktes Defizitverbot verhängen. Zuletzt legte Rajoy sogar noch einmal nach: Außer bei den Renten werde es "überall Einschnitte" geben, sagte er der spanischen Tageszeitung "El País". Nur so könne das Ziel erreicht werden, das Haushaltsdefizit des Landes im Jahr 2012 auf 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Der harte Kurs scheint die Wähler nicht abzuschrecken: In den Umfragen liegt Rajoy deutlich vorn: Zuletzt gaben gut 45 Prozent der befragten Wähler an, sie wollten für die PP stimmen, nur knapp 30 Prozent entfielen noch auf die sozialistische PSOE. Wer ist dieser Rajoy, der die Spanier vom Sparen überzeugt?
Trend zur "Expertenregierung"
Mariano Rajoy ist alles andere als Volkstribun, er ist kein Torero der Politik. Beobachter beschreiben sein Temperament nicht gerade als mitreißend. Politische Reden des 56-jährigen Konservativen aus Galicien im Norden Spaniens fallen meist eher spröde und trocken aus. Ein leichtes Lispeln ist nicht zu überhören. Der neue starke Mann Spaniens spricht lieber leise als laut. Im Grunde steht er im Ruf eines verlässlichen und vorhersehbaren Technokraten.

Blau und rot: Wahlkampf in Spanien.
(Foto: REUTERS)
Dafür beweist Rajoy Rückgrat und Mut: Nach zwei Niederlagen bei Parlamentswahlen wagt er sich am kommenden Sonntag zum dritten Mal in die ganz große Arena der spanischen Politik. Nun spürt Rajoy offenbar seine große Chance. So viel Durchhaltewillen scheint vielen Spaniern zu imponieren. Die konservative Volkspartei (PP) mit ihrem unermüdlichen Spitzenkandidaten liegt mittlerweile in allen Umfragen weit vorn. Nach mehr als sieben Jahren unter dem sozialistischen Regierungschef Zapatero stehen in Madrid die Zeichen auf Umbruch.
Die Gegenseite hat es nicht einfach: Ihr schlägt mangelndes Vertrauen entgegen. Die Sozialisten haben mit dem 60-jährigen Alfredo Pérez Rubalcaba zwar durchaus einen begnadeten Redner auf den Schild gehoben. Doch die Mehrheit der Wähler scheint der Partei Zapateros die Lösung der Krise nicht mehr zuzutrauen. In anderen Zeiten würde Rubalcaba mit seiner "Formula" unschwer als Erbe Zapateros durchgehen. Doch dass die Rettung der heimischen Banken durch Steuergeld mit einem offensichtlichen sozialen Niedergang zusammenfällt, verunsichert selbst treue Parteigänger der Sozialisten. Zudem stand Spanien unter Zapatero kurz davor, sich in die Reihen der südeuropäischen Bittsteller-Staaten einreihen zu müssen, um bei stärkeren EU-Partnern im Norden um Gnade für neue Milliarden-Stützen nachzusuchen.
Die letzte Chance vertan?
Rubalcaba hatte eigentlich nur noch eine erkennbare Chance, das Ruder herumzureißen. Das war das Fernseh-Duell vom 6. November. Danach lagen die Indikatoren der Wählergunst auch näher beieinander als im Parteien-Vergleich. Aber alles rhetorische Talent des ehemaligen Innenministers half ihm wenig - die Zustimmung für Rajoy nahm zu. Die Tageszeitung "ABC" befand sogar, Rubalcaba habe den Kandidaten der Konservativen während des TV-Duells angestarrt, als wenn dieser bereits seine "Regierungserklärung" abgebe.

Die Wut weicht der Hoffnungslosigkeit: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei knapp 46 Prozent.
(Foto: REUTERS)
So können die Sozialisten wohl nur noch auf eine wundersame Wendung der letzten Sekunde hoffen, wie sie im Jahre 2004 zu ihren Gunsten eintrat. Bei den Anschlägen vom 11. März hatten Terroristen wenige Tage vor dem Wahlgang mehrere Bomben in Madrider Nahverkehrszügen gezündet. 191 Menschen kamen ums Leben, fast 2000 wurden verletzt. Im Eifer des Wahlkampfs versuchte die damalige Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten José Maria Aznar, die Anschläge aus dem El-Kaida-Täterkreis der baskischen Untergrundorganisation ETA in die Schuhe zu schieben. Die Empörung über dieses allgemein als kurzsichtig und allzu durchschaubar gebrandmarkte Manöver war gewaltig - und trug nach Ansicht von Beobachtern nicht wenig zum Wahltriumph des Sozialisten Zapatero bei.
Was hat das Land ruiniert?
Im Umgang mit der , die im Oktober nach mehr als vier Jahrzehnten das "definitive Ende ihrer bewaffneten Aktivitäten" verkündete, dürfte sich Rajoy allerdings von der bisherigen Regierungslinie kaum entfernen. Aus seiner Sicht gibt es im Baskenland "keinen politischen Konflikt", sondern nur eine "Bande von Kriminellen", die ihre Linie durchzusetzen versucht habe. Die Masse der Spanier dürfte das derzeit wenig interessieren. Im TV-Duell ging es fast ausschließlich um Wirtschafts- und Sozialpolitik. Rajoy sprach von einer "unerträglichen Lage" des Landes "mit fünf Millionen Menschen ohne Arbeit".
Den Sozialisten hielt Rajoy ein ums andere Mal vor, das Wirtschaftsleben ruiniert und weitere Staatsschulden verursacht zu haben. Die Gunst der Stunde könnte ihm ins Amt helfen. In Spanien macht sich Wechselstimmung breit. Möglicherweise wird dies den Konservativen sogar eine absolute Mehrheit im künftigen Parlament bescheren.
Kann die Wahl Spanien retten?
Egal, wie die Spanier sich an der Wahlurne entscheiden: Im Hinblick auf die finanzielle Situation des Landes bleibt ihnen eigentlich gar keine Wahl. Im Grunde entscheiden sie nur zwischen einem technokratischem Sparkommissar und einem redebegabten, aber ebenfalls spareinsichtigen Zapatero-Nachfolger. Der Rotstift regiert sowieso. Um schmerzhafte Einschnitte lassen sich nicht mehr vermeiden. Gut für Europa wäre es immerhin, wenn aus der anstehenden Parlamentswahl eine Regierung mit starkem Rückhalt hervorginge. Politische Stabilität in der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone wäre in Brüssel, Paris und Berlin hochwillkommen. Ein weiterer Krisenherd mit sozialen Unruhen und einer angeschlagenen Führung wäre katastrophal, für Spanien und die gesamte Währungsunion. Ein unklarer Kurs in Madrid könnte die Lage am Kapitalmarkt schnell wieder verschärfen.
Der Moment des spanischen Aufbruchs darf dabei aber nicht nur dazu dienen, die Sparschraube blindlings weiter anzuziehen. Unabhängig von allen Sanierungsbemühungen muss Spanien seine Wirtschaft auf eine breitere Basis stellen und zum Beispiel die Abhängigkeit von einzelnen Branchen wie dem Bausektor verringern. Daneben muss sich Zapateros Nachfolger dringend darum bemühen, das schwer erschütterte Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen. Sonst wackelt Europa im Westen weiter.
Quelle: ntv.de, mit AFP