Weichenstellungen für Europa Die Beschlüsse des Gipfels
31.01.2012, 13:36 Uhr
Deutsch-italienische Feinabstimmung in der Sitzgruppe: Angela Merkel und Mario Monti.
(Foto: dapd)
Stabilitätspakt, Euro-Plus-Pakt, Fiskalpakt: Die Schuldenkrise drängt Europa zu immer neuen Verträgen. Sie sollen die Euro-Staaten auf Sparkurs bringen und Vertrauen in das historische Großprojekt Währungsunion zurückerobern. Was haben die Euro-Retter in Brüssel beschlossen? Ein Überblick.

Die französische Sicht auf den Gipfel erläutert Staatspräsident Nicolas Sarkozy in einer eigenen Pressekonferenz.
(Foto: REUTERS)
Beim EU-Gipfel haben die Staats- und Regierungschefs aus den 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union nicht nur einen neuen Pakt für strenge Haushaltsdisziplin und den künftigen Eurorettungsfonds ESM beschlossen. Daneben verabredeten die in Brüssel versammelten Spitzenpolitiker Maßnahmen zur Förderung von Wirtschaftswachstum und das weitere Vorgehen in Griechenland.
Eine schloss sich der deutschen Initiative für schärfere Haushaltsregeln an: Dem sogenannten verweigerten nur Großbritannien und Tschechien ihre Zustimmung. In der Debatte um eine Finanzkontrolle Griechenlands stellte sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Fiskalpakt
Worum geht es? Der Fiskalpakt geht auf einen Vorstoß aus Deutschland zurück und soll eine stärkere Haushaltskontrolle sicherstellen. Neben den 17 Euro-Ländern wollen auch acht Nicht-Euro-Staaten in der EU den Pakt unterschreiben - nur Großbritannien und Tschechien treten nicht bei. Die Einigung von 25 der 27 EU-Mitglieder verkündete Ratspräsident Herman Van Rompuy am Abend nach dem Gipfel. Großbritannien hatte eine Teilnahme an dem Vorhaben bereits im Vorfeld des Gipfels abgelehnt. Tschechien stimmt dem Abkommen EU-Diplomaten zufolge "im Moment" nicht zu, könnte jedoch nachziehen.

Der Spardruck wächst, Spanien erreicht eine Arbeitslosenquote von 22,8 Prozent: In Barcelona zieht es Angestellte des Öffentlichen Dienstes auf die Straße.
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Der Pakt zwingt die Teilnehmer, eine Schuldenbremse verbindlich in nationalem Recht zu verankern. Andernfalls können sie von anderen Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden. Das Verfahren dafür soll bis März entwickelt werden.
In seiner Ausgestaltung zeigt der Fiskalpakt, dass sich die Euro-Länder nur schrittweise einem strikten Sparregime unterwerfen wollen. Wie schon bei der Verschärfung des Stabilitätspaktes stößt das deutsche Streben, mit Strafen für Disziplin zu sorgen, immer wieder auf Widerstand. So haben sich die Regierungen erneut eine Hintertür offen lassen, um peinlichen Geldbußen entkommen zu können - immerhin erreichte die Bundesregierung am Ende, dass die Tür nur einen Spalt offen ist.
Das wichtigste Ergebnis: Eine große Mehrheit der EU-Länder verschreibt sich im Kampf gegen die Schuldenkrise eine strengere Haushaltsdisziplin. Der Fiskalpakt soll nach den Vorstellungen Deutschlands künftig notorische Haushaltssünder in der Eurozone per Gerichtsurteil und einer neuen Geldstrafe zu härterem Sparen zwingen.
Der Pakt in der Praxis
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist er damit "ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Stabilitätsunion". Auf das ursprüngliche Ziel musste sie aber verzichten, dass die EU-Kommission Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen kann, die sich nicht an alle Verpflichtungen des Pakts halten. Dagegen sprachen am Ende nicht nur rechtliche Bedenken. Auch Frankreich, Deutschlands engem Verbündeten, ging die Aufwertung der EU-Kommission zu weit.

Wohin steuert Europa? Kommissionspräsident Barroso (l.) und Ratspräsident Van Rompuy.
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Am Ende fand der EU-Gipfel eine Kompromissformel. Bis März soll laut Merkel nun ein Verfahren entwickelt werden, das sicherstellt, dass im Falle eines negativen Urteils der Kommission auf jeden Fall ein Staat oder mehrere Länder die Klage einreichen. Dies soll einen neuen "Quasi-Automatismus" schaffen. Aber die Unsicherheit bleibt zunächst, ob der neue Pakt nicht die Schwäche des alten Stabilitätspakts übernimmt - er birgt das Risiko, dass die Mitgliedstaaten aufeinander Rücksicht nehmen und vor Klagen zurückschrecken. "Das könnte zu einem System wechselseitiger Rücksichtnahmen führen", warnte Bundestags-Präsident Norbert Lammert.
Herauskommen ist also eine abgespeckte Version des ursprünglich angestrebten "Durchgriffsrechts" des EuGH. Mit dem Pakt verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, eine Schuldenbremse im nationalen Recht zu verankern. Das hatten die Euro-Länder eigentlich schon in dem 2011 verabschiedeten Euro-Plus-Pakt versprochen. Jetzt sollen Taten folgen, aber mit der erwähnten Einschränkung.
Stichwort Wachstum
Die EU-Staaten setzen im Kampf gegen die Schuldenkrise nicht nur auf striktes Sparen, sondern auch auf eine . Dafür beschlossen sie Eckpunkte zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. An drei Stellen setzen diese Maßnahmen an: beim Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem Abbau von Hürden im europäischen Binnenmarkt. Dafür sollen noch vorhandene Mittel aus den EU-Strukturfonds von etwas mehr als 80 Mrd. Euro eingesetzt werden.

Nicht mehr ganz auf der Linie: Ungarns Viktor Orban am Rande des EU-Gipfels im Gespräch mit David Cameron (rechts).
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Die Maßnahmen zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit soll dabei nicht nur die Staatsfinanzen über die Seite der Steuereinnahmen stärken, sondern auch einer wachsende Unzufriedenheit der unmittelbar von der Krise betroffenen EU-Bürger entgegenwirken. In Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal erreichen die Arbeitslosenquoten Werte von .
Die geplanten Anreize für kleine und mittlere Unternehmen zielen im Prinzip in die gleiche Richtung: In Deutschland stellt der Mittelstand gerade in der Fläche eine verlässliche Arbeitsmarktstütze dar. Eine breit aufgestellte Wirtschaftsstruktur erweist sich n der Regel als weitaus weniger krisenanfällig als stark zentralisierte Systeme. Außerdem sichert es Wirtschaftskraft und Stabilität auch abseits der großen Wirtschaftszentren.
Durch eine Verbesserung des europäischen Binnenmarkts - der dritten der drei Maßnahmen aus dem Gipfelkatalog - sollen die EU-Staaten schließlich von einem der wichtigsten Vorteile der Europäischen Einigung stärker profitieren. Unternehmen, die grenzüberschreitend arbeiten, kennen das aus der Praxis: Noch immer hemmen bürokratische Vorschriften und unterschiedliche Standards die Entwicklung des gemeinsamen Wirtschaftsraums.
Rettungsfonds
Der EU-Gipfel billigte die vorgezogene Einführung des Rettungsfonds ESM. Die Einigung dazu teilte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy via Twitter mit. Neu ist, dass der ESM den aktuellen Hilfsfonds EFSF schon im Sommer ablösen soll. Die Euroländer geben Garantien über 620 Mrd. Euro. Dazu müssen sie 80 Mrd. Euro direkt einzahlen.
Mit der finanziellen Schwungkraft des Fonds wollen die Staats- und Regierungschefs das Vertrauen der Finanzmärkte in der Eurozone wiedergewinnen. Deutschland soll dabei 22 Mrd. Euro an den Fonds überweisen. Insgesamt muss die größte Volkswirtschaft der Eurozone im Rahmen des ESM für rund 167 Mrd. Euro geradestehen.
Die Finanzminister müssen nun nur noch klären, wie viel Geld die Länder bereits im laufenden Jahr in den Kapitalstock einzahlen sollen. Eine Aufstockung der Euro-Rettungsschirme war nach Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Treffen angeblich kein Thema.
Sorgenkind Griechenland
Dieses Thema stand notgedrungen auf die Agenda: Seit Wochen verhandelt die griechische Regierung mit ihren Gläubigern über einen Schuldenschnitt. Die Gespräche sollten eigentlich längst abgeschlossen sein. Nach dem Willen der Gipfelteilnehmer sollen die Euro-Finanzminister jetzt bis zum Ende der Woche eine Vereinbarung zum Forderungsverzicht privater Gläubiger und das zweite Hilfsprogramm auf den Weg bringen. Im Gegenzug für neue Hilfen soll werden.
Sarkozy stellte sich allerdings gegen den deutschen Vorschlag, Griechenland die Hoheit über sein Budget zu entziehen. Das sei "unangemessen, undemokratisch und ineffizient", sagte er. Der Vorstoß der Bundesregierung sieht unter anderem vor, einen Kommissar zur Haushaltsüberwachung einzusetzen. Zudem soll Athen mit zunächst Schulden tilgen, bevor andere Ausgaben getätigt werden.
Merkel bekräftigte nach dem Gipfel jedoch, dass "durchaus Überwachung in Griechenland" gebraucht werde. Schließlich habe das Land vereinbarte Spar- und Reformmaßnahmen nicht eingehalten. Merkel sagte, im Oktober sei schon eine "Überwachungsvereinbarung" getroffen worden, "von der wir jetzt überlegen, wie kann man die noch wirksamer machen".
Ratspräsident Van Rompuy teilte mit, solle ein umfassender Plan zu Griechenland vorgelegt werden. Die EU-Finanzminister sollten "alle notwendigen Maßnahmen" ergreifen, damit die Verhandlungen über einen Schuldenschnitt und neue Hilfen zum Abschluss kämen. Sarkozy brachte indirekt einen Verzicht der Europäischen Zentralbank auf Forderungen an Griechenland ins Gespräch.
Quelle: ntv.de, AFP/rts