Botschafter für verlorenes Land Die Neuerfindung afghanischer Teppiche
24.12.2017, 21:29 Uhr
Das ARCC wird das erste große Knüpfzentrum in Kabul. Bisher arbeiten die Weber von zuhause.
(Foto: dpa)
Die Teppichindustrie ist einer der größten legalen Arbeitgeber in Afghanistan. Aber viele Zentren des Handwerks liegen in derzeit schwer umkämpften Gegenden der Taliban. Einige neue Initiativen bemühen sich um den Erhalt der weltweit bekannten Teppichkunst.
Ende November gab der berühmteste Teppichhändler von Kabul auf. Sein Laden auf der Hühnerstraße in Kabul, die mit Dutzenden von Teppich- und Antiquitätenläden schon in den 1960er Jahren Touristen angelockt hat, bleibt geschlossen. Zuletzt saß Wahid Abdullah jede Woche tagelang alleine in seinem Laden. Jetzt öffnet er bald ein Geschäft in der Türkei.
Teppiche aus Afghanistan - das hat einen besonderen Klang. Dutzende Stämme machen dort schon seit vielen Jahrhunderten Teppiche. Die kommen zumeist in Rot- und Erdtönen daher und fast ausschließlich mit geometrischen Mustern. "Einige - wie die eckigen Elefantenfüße, die Filpai, sind berühmt geworden", sagt Wahid Abdullah. Afghanistan sei außerdem "das letzte große Herstellungsland, in dem es noch einen riesigen Pool von hoch qualifizierten Knüpfern gibt, die Teppiche von Hand machen", sagt Reto Aschwanden von der Fair-Trade-Organisation Label Step. Sie hilft Importeuren von handgemachten Teppichen, ethische Standards einzuhalten. "In vielen anderen Teppichländern wie im Iran oder Indien werden es immer weniger, weil dort die Wirtschaft anzieht und die jungen Leute lieber im Büro arbeiten."
Teppichmachen ist ein Arme-Leute-Beruf. Je nachdem, wen man fragt, gibt es eine Million oder sogar 1,5 Millionen Teppichknüpfer und -weber in Afghanistan, das geschätzt um die 30 Millionen Einwohner hat. Die meisten sind Frauen. Die Teppichindustrie, so steht es in einem Papier des Handelsministeriums aus dem Jahr 2012, ist der zweitgrößte legale Arbeitgeber im Land nach der Landwirtschaft (der allergrößte, außerdem illegal, ist die Drogenindustrie). Laut einer neuen Expertenstudie für die Weltbank sind handgeknüpfte Teppiche auch das "größte legale Exportprodukt". Aber das Geschäft, das sich nach Jahrzehnten des Krieges in den vergangenen 15 Jahren mühsam ein wenig aufgerappelt hatte, bricht ein.
Taliban zerstören das Geschäft
Denn jetzt sind die Taliban zurück, radikale Islamisten, die Regierung und Sicherheitskräfte angreifen, wo sie können. Viele berühmte alte Teppichzentren liegen nun in schwer umkämpften Gebieten: Kundus im Norden zum Beispiel oder Andchoi im Westen. "Nicht nur die Kunden bleiben weg, auch die Weber fliehen, sogar die Garnspinner werden weniger", sagt Samarialai, ein Händler aus Kabul. Früher hatte er viele Großhändler an der Hand. Heute hat er nur einen, der gerade mal zwei Teppiche bestellt hat. Aber es gibt auch Versuche, Teppichkunst und Geschäft am Leben zu erhalten - sogar neu zu erfinden.
"Teppiche könnten trotz allem eine gute Einkommensquelle sein, denn aus Afghanistan kommen einige der feinsten Teppiche der Welt", sagt Chalid Achmadsai, der Leiter eines neuen Teppichprogramms der britischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Turquoise Mountain, die Kunsthandwerk unterstützt. "Man muss es nur anders organisieren." Die NGO bringt ihre Weber nun mit Künstlern zusammen, um moderne Designs zu entwickeln, die andere und mehr Kunden ansprechen, und macht Kontakte zu neuen Abnehmern im Ausland. Turquoise Mountain arbeitet derzeit mit 230 Webern und Färbern in sieben Firmen, aber Achmadsai und seine Kollegen begleiten jeden Teppich. Manchmal müssen sie einen Kunden anrufen und sagen, "tut uns leid, ihr Teppich verspätet sich, eine Rakete ist darauf gelandet", sagt Achmadsai. "Aber an den meisten Tagen läuft es gut."
ARCC als Lösung für viele Probleme

Ein Arbeiter färbt im ARCC Teppichwolle in natürlichem, aus einer Baumrinde gewonnem braunen Farbstoff.
(Foto: dpa)
Eine andere neue Initiative ist das Afghanistan Rugs and Carpet Center (ARRC). Das wird im Januar als erstes großes Knüpfzentrum eröffnet - eine neue Idee in Afghanistan. Noch arbeiten die meisten Knüpfer zuhause, aber in einer Halle in Kabul standen bei einem Besuch im Oktober schon Hunderte Webstühle bereit. Experten wie Chalid Achmadsai sehen die zentralisierte Arbeit wie bei ARCC als Lösung für viele Probleme, vor allem die Kinderarbeit. Knüpfzentren holen die Teppichproduktion aus der Heimarbeit und stellen sie unter Aufsicht. "Die Zentralisierung soll aber auch dabei helfen, Qualitätsstandards einzuhalten und die Lieferung zu beschleunigen", sagt Geschäftsführer Dildscham Kassimi.
Ein anderes Problem ist das Image des afghanischen Teppichs. Reto Aschwanden sagt, das Drama sei, dass er "trotz toller Qualität nicht überall als hochwertig wahrgenommen" werde, einfach, weil er wegen der schlechten Löhne billiger zu haben sei als zum Beispiel nepalesische. In der Weltbankstudie steht, dass 52 Prozent der befragten Weber weniger als einen Dollar am Tag verdienten. Zum Imageproblem trägt bei, dass ein Großteil der afghanischen Teppiche nach Pakistan gebracht wird. Aschwanden und Achmadsai sagen beide, dass der Weltmarktanteil afghanischer Teppiche eigentlich ziemlich groß sei. "Das weiß nur keiner", sagt Aschwanden, "weil die meisten nämlich als pakistanische verkauft werden".
Die Innung der Teppich-Exporteure in Kabul habe 2016 angegeben, 49.235 Quadratmeter Teppich direkt exportiert zu haben. Durch Pakistan seien allerdings mehr als eine Million Quadratmeter gegangen - ohne Registrierung. Die raren verlässlichen Zahlen zu Importen nach Deutschland bestätigen den Größenunterschied - und den Verlust an Gewinn und Sichtbarkeit: 2010 waren aus Afghanistan Teppiche im Wert von 445.000 Euro gekommen, aber aus Pakistan Teppiche für mehr als 35 Millionen. Wahid Abdullah, der Teppichhändler, der in Kabul aufgeben musste, wird seinen neuen Laden 2018 in Istanbul aufmachen. Nur afghanische Produkte wird er da anbieten. Er fühlt sich ein wenig wie der Botschafter eines verlorenen Landes. "Dann kann ich den Menschen endlich wieder von unseren Teppichen erzählen."
Quelle: ntv.de, Christine-Felice Röhrs, dpa