Wirtschaft

Inside Wall Street Die gefährliche Gelassenheit der Wall Street

Die Wall Street schaut gelassen nach Washington. Das kann allerdings ins Auge gehen.

Die Wall Street schaut gelassen nach Washington. Das kann allerdings ins Auge gehen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Den USA droht die Zahlungsunfähigkeit - und die Wall Street interessiert sich nicht dafür? So lassen sich die bisher nur geringen Kursverluste interpretieren. Die US-Anleger zocken - und spielen dabei genauso mit dem Feuer wie die politische Führung.

Das spanische Dörfchen Pamplona mag die gefährlichsten Bullen der Welt haben, die auch Jahr für Jahr ein paar Touristen niedertrampeln. Die tapfersten Bullen aber grasen an der Wall Street. Da geht es zwar seit ein paar Wochen bergab, angesichts des Haushaltsstreits in Washington und der drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA in ein paar Tagen ist der Optimismus der Anleger doch erstaunlich: immerhin notieren die Blue Chips mitten in der Krise gerade einmal 5 Prozent unter ihrem Allzeithoch.

Wie kommt's? Nun, die Wall Street hat sich seit Jahren von der Wirtschaftsrealität in den USA und im globalen Umfeld abgekoppelt. Das ist hinreichend bekannt. So wie die jüngste Rally an den Aktienmärkten weniger mit dem Umsatz- und Gewinnwachstum der Unternehmen zu tun hat als vielmehr mit der großzügigen Geldpolitik der Notenbanken, so hat auch der Widerstand in der Krise wenig damit zu tun, was dem Land im schlimmsten Fall wirklich droht.

Denn die Folgen sowohl der aktuellen Haushaltskrise als auch der Zahlungsunfähigkeit wenn die USA am 17. Oktober an die Schuldendecke stoßen, wären in der Tat katastrophal - und teuer. An der Wall Street aber glaubt man vehement an eine Einigung in Washington, auch wenn sich eine solche zur Zeit nicht abzeichnet. Eilig habe man es nicht, sagen Trader auf dem Parkett der New York Stock Exchange, die ihren Tag so gelassen verbringen wie sonst auch - bei Football-Talk und Pizza-Party. Ihre Version der Dinge geht so:

Auf dem Weg in die nächste Kneipe?

Die Haushaltskrise, wegen der immerhin rund 800.000 amerikanische Staatsbeamte in unbezahltem Urlaub sind, dürfte sich frühestens nach drei bis vier Wochen wirklich bemerkbar machen. Denn wer seinen Job und sein Gehalt verliert, hört ja nicht sofort auf Geld auszugeben. Im Gegenteil: Im zynisch betrachtet besten Fall findet der ein oder andere den Weg in die nächste Kneipe und sorgt dort zunächst einmal für ein Umsatzplus.

Der renommierte Vermögensmanager Barry Ritholz glaubt, dass erst nach drei oder vier Wochen wirtschaftspolitischer Unsicherheit das Konsumverhalten der Amerikaner so stark leiden würde, dass es auf die Unternehmensgewinne drücken könnte - für den Fall schließt er eine Korrektur von bis zu 30 Prozent an den Aktienmärkten nicht aus.

Optimismus und fester Glaube

Doch drei bis vier Wochen sind eine lange Zeit, und an der Wall Street geht man davon aus, dass die Politiker in der Hauptstadt zwar ein Spiel mit dem Feuer treiben, dass sie sich aber bestimmt nicht verbrennen würden. Vor Erreichen der Schuldendecke werde es schon ein Einlenken geben, sagen die überwiegend republikanisch gesinnten Männer auf dem Parkett.

Viele erwarten, dass Präsident Obama der Rechten doch entgegenkommen wird. Das ist natürlich Quatsch. Letzten Endes ist ein Ende der Krise nur möglich, wenn die Republikaner ihre Niederlage eingestehen. Ob sie das tun werden - wer weiß?!

Noch neun Tage bis zur Katastrophe?

Der Optimismus der Anleger, der feste Glaube an eine Einigung in Washington, hält die Verluste an den Börsen seit Tagen relativ gering. Interessanterweise liegt vor allem darin die Gefahr:

Denn so sehr die Wall Street auf die Politik schaut, schaut eben die Politik auch auf die Wall Street. Und wer derzeit aus dem Kapitol zu den Finanzmärkten schaut, der sieht keine allzu große Panik und mag daraus ableiten, dass die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit vielleicht nicht ganz so drastisch sei. Das ist ein Irrtum. Experten auf beiden Seiten des politischen Spektrums warnen seit Wochen, dass den Vereinigten Staaten Milliardenschäden drohen - und ein Verlust der Kreditwürdigkeit obendrein, was langfristige Folgen haben würde.

So spielen aktuell nicht nur die Politiker ein riskantes Spiel. Die Wall Street trägt mit ihrem Zweckoptimismus dazu bei, dass sich Washington Zeit lässt - hoffentlich nicht zu viel Zeit. Die Countdown-Uhren in den Nachrichtenprogrammen zählen noch neun Tage bis zur Katastrophe.

Quelle: ntv.de

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