Drei-Prozent-Hürde gerissen EU startet Defizitverfahren
07.10.2009, 11:48 UhrDie EU-Kommission hat Defizitstrafverfahren gegen Deutschland und acht weitere EU-Staaten auf den Weg gebracht. Bei der Neuverschuldung werde im laufenden Jahr 3,9 Prozent vom BIP erwartet, erlaubt sind höchstens 3,0 Prozent. Das Strafverfahren soll Mitte November offiziell eröffnet werden.

Deutschland hat nicht allein gepatzt. Alles ein Aufwasch für die EU.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die EU-Kommission schnürt Union und FDP ein enges Korsett für Steuersenkungen. Die Brüsseler Behörde leitete gegen Deutschland und acht weitere EU-Staaten ein Defizitverfahren ein.
Hohe Strafen der EU sind vorerst jedoch unwahrscheinlich. Die Kommission hält Deutschland den "Ausnahmecharakter" des Defizits zugute. Dieses sei "auf einen schweren Wirtschaftsabschwung zurückzuführen", heißt es in dem Bericht. Der Kommissionsbericht an den Wirtschafts- und Finanzausschuss ist der erste Schritt im Defizitverfahren. Im November dürfte die Kommission den EU-Finanzministern auch offiziell die Eröffnung des Verfahrens empfehlen. Auch Österreich, Belgien, Italien, die Niederlande, Portugal, die Slowakei, Slowenien und Tschechien sind im Visier der EU. Gegen 11 EU-Länder laufen bereits Verfahren, unter anderem gegen Frankreich, Irland, Griechenland oder Spanien.
Der Euro- Stabilitätspakt sieht ein Defizitverfahren vor, wenn die Neuverschuldung eines Mitgliedstaates drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) übersteigt. Schwerwiegende Konsequenzen drohen allerdings nur Ländern, die den Euro eingeführt haben. Am Ende dieser Prozedur kann der EU-Finanzministerrat gegen betroffene Länder Geldbußen von 0,2 bis 0,5 Prozent des BIP verhängen.
Defizite steigen kräftig
Bis es dazu kommt, muss ein Mitgliedsland aber mehrfach Empfehlungen zur Haushaltssanierung und - im weiteren Verlauf - konkrete Vorgaben zum Defizitabbau ignoriert haben. Bei der Abstimmung über diese Maßnahmen ist im Finanzministerrat zudem eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Bisher wurden Mitgliedstaaten nicht wegen ausgeuferter Defizite zur Kasse gebeten
Milliardenschwere Konjunkturprogramme, sinkende Steuereinnahmen und steigende Ausgaben für Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld führen dazu, dass die Defizite in der EU derzeit wieder kräftig steigen. Das gilt auch für den gesamtstaatlichen Schuldenstand. Die Kommission befürchtet, dass in der Eurozone 2014 im Schnitt die Marke von 100 Prozent vom BIP erreicht werden könnte. Erlaubt sind für Mitgliedstaaten höchstens 60 Prozent.
Die EU-Finanzminister vereinbarten, wegen der Krise den Stabilitätspakt flexibler zu handhaben. Konkret bedeutet dies, dass begrenzte und zeitlich befristete Überschreitungen der Defizitmarke von drei Prozent geduldet werden. Dauerhafte Verstöße führen aber weiter zu einem Verfahren und damit zur Haushaltsaufsicht. Die Kommission brachte am Mittwoch Strafprozeduren gegen neun Staaten - darunter Deutschland - auf den Weg.
Da Deutschland in den vergangenen Jahren seine Hausausgaben bei der Budgetsanierung machte, stand es bisher im Vergleich mit anderen Ländern des Eurogebiets vergleichsweise gut da. Nun erwartet die Kommission, dass Berlin bereits im laufenden Jahr mit 3,9 Prozent Defizit die Maastrichter Marke deutlich überschreitet. Im kommenden Jahr sollen es 5,9 Prozent sein. Berlin stand schon einmal am Brüsseler Defizitpranger. Die EU eröffnete im Januar 2003 ein Strafverfahren, das 2007 wegen guter Führung geschlossen wurde.
"Hoffnung ist nicht seriös"
Die CDU mahnte zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen über Finanzfragen eine Entlastung der Bürger mit Augenmaß an. Die FDP dringt dagegen auf kräftige Steuersenkungen. Experten sind uneins, ob Steuersenkungen der Konjunktur wieder auf die Beine helfen. Finanzexperte Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin sagte gegenüber n-tv.de, es sei "nicht seriös, auf hohe Wirtschaftswachstumsraten zu pochen, um den Schuldenstand zu verringern".
Die scheidende Bundesregierung erwartet für dieses Jahr ein Staatsdefizit von 3,7 Prozent des BIP, 2010 von sechs Prozent. Erlaubt sind in der EU aber nur drei Prozent. Im November will die EU-Kommission Fristen zum Defizitabbau empfehlen. Die Entscheidung darüber liegt aber bei den EU-Finanzministern.
Beim ersten Verstoß Deutschlands gegen die Schuldengrenzen 2002 hatten sich die Bundesregierung und die EU-Kommission einen heftigen Streit geliefert. Danach wurde der Pakt aufgeweicht. EU-Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia beharrt dennoch darauf, dass die Spielregeln "rigoros" angewendet werden, damit der Pakt als Instrument zum Schuldenabbau glaubwürdig bleibt. Wegen der Rezession halten ihn derzeit 20 der 27 EU-Staaten nicht ein.
Quelle: ntv.de, hvo/rts/AFP/dpa