Wirtschaft

EM als Krisen-Heilmittel Frankreich verspricht sich mehr als Geld

Arbeiter legen letzte Hand an die Außenfassade des Stafions Geoffroy-Guichard in Saint-Etienne.

Arbeiter legen letzte Hand an die Außenfassade des Stafions Geoffroy-Guichard in Saint-Etienne.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ob das Fußball-Spektakel Frankreich wirtschaftlich voran bringt, ist ungewiss. Aber die "Grande Nation" kämpft um mehr als um Ticketverkäufe und Übernachtungen. Und dafür kommt die EM gerade recht.

Vier neue Stadien, Bataillone von Sicherheitsbeamten: Für die Fußball-Europameisterschaft hat Gastgeber Frankreich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Kaum sieben Monate sind die Anschläge vom 13. November her. Der Staat will demonstrieren, dass er dem Terror die Stirn geboten hat. Die EM soll die vorläufige Krönung sein.

Was jetzt nur noch fehlt, sind Millionen Fußball-Begeisterte, die mit ihrem Geld der dümpelnden Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Die Regierung ist zuversichtlich: "Dieses Ereignis wird für die französische Wirtschaft und Beschäftigung gewinnträchtig sein", versicherte Sportstaatssekretär Thierry Braillard. Doch ob diese Rechnung so aufgeht, ist fraglich.

Das Zentrum für Recht und Wirtschaft des Sports (CDES) in Limoges hat Zahlen geliefert. Demnach erhofft sich Paris, dass ausländische Besucher und die Uefa knapp 1,3 Milliarden Euro für Übernachtungen, Essen und Mitbringsel ausgeben werden. Durch die Mehrwertsteuer auf diese Ausgaben sowie Ticketverkäufe sollen 180 Millionen Euro in die Staatskassen fließen.

Schon jetzt ist klar: Die Ausgaben dürften deutlich höher sein als die geschätzten Einnahmen. Der Bau der Stadien und die Infrastruktur hat 1,7 Milliarden Euro gekostet. Teuer kommt Paris auch das Heer an Polizisten und Soldaten für den Schutz des Fußballereignisses. Bis zu 1450 Sicherheitskräfte werden gleichzeitig im Einsatz sein; etwa einer für 65 Besucher. Für die komplette Europameisterschaft wurden 10.000 bis 12.0000 private Sicherheitsleute engagiert. Dies betrifft die zehn Stadien, die Quartiere der 24 Mannschaften sowie die Fan-Zonen. Das übrige Land sowie die Reiserouten will Frankreich mit 10.000 Soldaten sichern.

Sicherheit hat ihren Preis

Was die komplette Mobilisierung des Sicherheitsapparates kostet, wollte die Regierung jüngst bei einer Pressekonferenz nicht beantworten. Bekannt ist lediglich, dass allein die Ausgaben für die Fanmeilen in den EM-Städten bei 24 Millionen Euro liegen. Geplant war die Hälfte. Für den ursprünglichen Betrag kommen die Kommunen auf, das Mehr zahlen Staat (8 Millionen Euro) und Uefa (4 Millionen Euro).

Nicht klar ist zudem, mit wie vielen anreisenden Fans überhaupt gerechnet werden kann. Die Regierung geht von etwa zwei Millionen Besuchern aus. Ob so viele kommen, vermag niemand zu sagen. Nach den Terroranschlägen vom 13. November, bei denen 130 Menschen ermordet wurden, sind die Besucherzahlen eingebrochen. Im ersten Quartal dieses Jahres lag die Zahl der Übernachtungen im Großraum Paris zum Beispiel sechs Prozent unter dem Wert des Vorjahres.

Hinzu kommt, dass ausgerechnet jetzt, wo das Land auf eine Sonderkonjunktur durch die EM hofft, Protestaktionen gegen die ungeliebte Regierung das zaghafte Wirtschaftswachstum drosseln. Seit Monaten kämpfen mehrere Gewerkschaften gegen die geplante Lockerung des Arbeitsrechts. Noch kurz vor der Fußball-EM behinderten Protestaktionen die Müllabfuhr in Paris. Auch bei der Staatsbahn SNCF wird gestreikt. Die Piloten bei der Fluggesellschaft Air France denken noch über einen Streik während der EM nach.

Streiks werden zum Eigentor

Die Streiks dürften das Wachstum laut Internationalem Wirtschaftsfonds (IWF) um 0,2 Prozentpunkte bremsen, was in etwa so viel wäre wie die Fußball-EM an positivem Schub bringen soll. Insgesamt trauen die Experten Frankreich in diesem Jahr ein Wachstum von 1,3 Prozent zu.

Aber auch ohne die Streiks dürfte es schwierig werden mit dem Schub für die Wirtschaft. "Die wirtschaftliche Auswirkung dieser Art Ereignis ist in der Regel recht begrenzt", sagte der Sportökonom Bastien Drut dem französischen Wirtschaftsmagazin "Challenges". Bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich habe keine einzige Studie einen echten Effekt für die Wirtschaft nachgewiesen. Deutschland machte ebenfalls seine Erfahrung mit dem finanziellen Nullsummenspiel: Eine Studie der Universität Hamburg kam nach dem WM-Sommermärchen 2006 zum Schluss, dass es keinen gesamtwirtschaftlichen Effekt gab.

Der Experte Loïc Ravenel vom internationalen Sportforschungszentrum CIES in der Schweiz hält die Diskussion um den wirtschaftlichen Nutzen für komplett verfehlt. "Erkennen wir an, dass man die EM aus Fragen des Images und des Volksfestes will, aber hören wir auf, sie wirtschaftlich zu rechtfertigen", sagte er der Zeitschrift "Alternatives Économiques".

Paris bleibt die Hoffnung: Dass die Streiks pünktlich zum Anpfiff beendet sind und dass die eigene Mannschaft auf dem Rasen gut abschneidet. Erfahrungsgemäß geben Konsumenten dann nämlich etwas mehr Geld aus. Bei der WM 1998 in Frankreich lag der positive Wachstumseffekt immerhin bei 0,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Ansonsten bringt es Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux und Sprecher der EM-Städte, auf den Punkt: "Es geht nicht immer alles nur um Geld. Ein bisschen Optimismus und geteilte Freude, das zählt auch für die Moral." Das von Selbstzweifeln geplagte Frankreich kann einen Image-Schub nach Terror und Krisenjahren mindestens genauso gut gebrauchen wie einen Wirtschafts-Schub.

Quelle: ntv.de

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