Wirtschaft

Giffey geht Merz und Reiche an"Alle Energieminister haben Katherina Reiche gesagt: Wir wollen keine Rückschritte sehen"

21.12.2025, 07:48 Uhr
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Katherina Reiche (l.) und Franziska Giffey steuern die deutsche und die Berliner Wirtschaft. Die SPD-Politikerin ist überzeugt: Erneuerbare Energien sind ein Geschäftsmodell, das "ohne Wackeln weitergehen" muss. (Foto: picture alliance/dpa)

Der Bundeskanzler warnt vor den Gefahren der Umweltpolitik, Wirtschaftsministerin Katherina Reiche vor den Kosten der Energiewende. Franziska Giffey hält dagegen. Im "Klima-Labor" von ntv erklärt die Berliner Senatorin für Wirtschaft und Energie, warum der schwarz-rote Senat trotz klammer Kassen bewusst Milliarden in den eigenen Solarboom, Abwasserwärme und ein riesiges unterirdisches Stromnetz steckt: Nicht Klimaschutz bremst die Konjunktur, sondern fehlende Investitionen. "Das haben wir in der Energieministerkonferenz mit Katherina Reiche auch thematisiert", sagt die SPD-Politikerin. "Die Bundesländer nutzen die Potenziale der Energiewende vielfach bereits." Die nackten Zahlen scheinen ihr recht zu geben. Die Berliner Wirtschaft wird in diesem Jahr zum 13. Mal in Folge stärker wachsen als der Bund.

ntv.de: Bundeskanzler Merz hat am Wochenende gesagt, die Umweltpolitik habe die deutsche Konjunktur zu lange gebremst und sei sogar demokratiegefährdend. Sehen Sie das auch so?

Franziska Giffey: Die Erzählung, Klimaschutz sei eine Bürde und belaste die angeschlagene Wirtschaft, ist falsch. Wir brauchen ein anderes Narrativ: Wir werden nicht trotz, sondern wegen Klimaschutz wirtschaftlich erfolgreich sein. Berlin hat eine der größten Startup-Szenen Europas. Die beschäftigt sich mit Dingen, die wir für eine erfolgreiche Zukunft benötigen: Effizienz, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.

Die CDU scheint es anders zu sehen, nicht nur auf Bundesebene. Auch in Berlin wollte die Union die Klimaziele zugunsten der Wirtschaft aufweichen.

Die Fakten unseres schwarz-roten Senats sprechen eine andere Sprache. In der bisherigen Legislatur ist Berlin zum Solarmeister aufgestiegen. Die Zahl der Solaranlagen hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf gut 50.000 mehr als verdoppelt.

Durch ein teures Förderprogramm.

Natürlich. Aber bei den Investitionen kommt doch etwas herum: Die Menschen erzeugen Strom auf ihrem eigenen Dach, werden unabhängiger und krisenresistenter. Solar zahlt sich aus.

Das klingt so ganz anders als das, was man von der schwarz-roten Bundesregierung hört. Die warnt vor den Kosten der Energiewende und möchte deshalb bei den Förderprogrammen für erneuerbare Energien sparen.

Das ist so ähnlich, als würde man nicht in die Zukunft investieren, um Geld zu sparen. Ich halte das für den falschen Weg. Im Berliner Senat haben wir gerade einen Klimapakt mit unseren 22 Landesunternehmen geschlossen. Diese werden bis 2030 mehr als 13 Milliarden Euro in ihre Transformation und den Klimaschutz investieren. Dazu gehören die Wasserbetriebe, die BVG, die BSR, aber natürlich auch unser ganz neues Unternehmen Berliner Energie und Wärme (BEW). Im Wärmebereich nutzen wir nach wie vor viel Kohle und Gas. Wenn man das ändern will, muss man investieren.

Wie schwer war es, die Berliner CDU davon zu überzeugen? Auch die sagt ja: je weniger Klimaschutz, desto besser für die Wirtschaft.

Das ist zu platt formuliert. Wir diskutieren über Geld, gerade auch beim Sondervermögen. Der Solarausbau ist unstrittig. Es gibt viele Dächer in der Stadt. Abwasserkanäle für Abwasserwärme auch. Deshalb unterstützen wir Siemens in Berlin-Siemensstadt beim Bau von Europas größtem Abwasserwärmetauscher. Außerdem fließt viel Geld in das Regenwassermanagement und in neue Bäume. Wir werden die Anzahl fast verdoppeln. Die CDU hat diese Entscheidung mitgetragen. Genauso wie die erste Potenzialstudie zur Windenergie in der Geschichte Berlins, obwohl die Union dort anderer Auffassung ist, denn für Windräder gibt es nur wenige Flächen.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

Dieses Interview ist eigentlich ein Podcast, den Sie sich anhören können: Das "Klima-Labor von ntv" finden Sie auf ntv.de und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed.

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Die Branche sagt: In Berlin ist Platz für 30 Windräder.

Ja, das ist nicht viel. Wenn Berlin aber klimaneutral werden soll, benötigen wir erneuerbare Energien. Im Vergleich zu Solaranlagen erzeugen Windräder mehr Strom auf weniger Fläche. Deswegen können wir uns dort nicht herausnehmen. Wir sprechen aber auch mit Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern über eine gemeinsame Versorgung.

Können Sie erklären, warum Gemeinden und Kommunen in erneuerbaren Energien und anderen grünen Technologien viel häufiger Potenziale zum Geldverdienen sehen und die Bundesregierung eher Kosten, die man dringend reduzieren muss?

Das haben wir in der Energieministerkonferenz auch thematisiert. Alle Länder haben betont, dass sie keine Rückschritte wollen, denn nicht alles ist mühselig und belastend. Wir haben uns auf diese Politik eingestellt und nutzen die Potenziale vielfach bereits. Werden Rechenzentren für künstliche Intelligenz viel Strom verbrauchen? Ja. Sie werden aber auch viel Wärme erzeugen. Diese Wärme müssen wir nutzen. Viele Unternehmen entwickeln dafür bereits Geschäftsmodelle. Das müssen wir fördern. Das muss ohne Wackeln weitergehen.

Wie war die Reaktion von Wirtschafts- und Energieministerin Reiche?

Sie hat das zur Kenntnis genommen. Wir werden sehen, ob es vonseiten der Bundesregierung einen zusätzlichen Schub geben wird.

Ginge es notfalls auch ohne den Bund? Als Wirtschaftsministerin muss Katherina Reiche auf das Geld achten. Speziell für die Solarenergie heißt es inzwischen: Das lohnt sich auch ohne Förderung.

Förderprogramme sollte man grundsätzlich hinterfragen. In Berlin haben wir in den vergangenen drei Jahren mit dem Programm "Solarplus" den Kauf vieler Solaranlagen und Balkonkraftwerke unterstützt. Das war eine gute Maßnahme, um die Bereitschaft der Menschen zu wecken. Aber speziell Balkonkraftwerke sind so günstig geworden, dass eine Förderung nicht mehr gerechtfertigt ist. Jeder kann in einen Baumarkt gehen und eine Anlage kaufen. Deshalb konzentriert sich das neue Programm auf Eigenheime, Mehrfamilienhäuser und das Gewerbe.

Die werden weiter gefördert?

Große Dächer sind der neue Solarschwerpunkt. Bis 2035 sollen 25 Prozent des Berliner Stroms aus Sonnenenergie stammen. Das schaffen wir nicht mit kleinen Balkonkraftwerken. Dafür brauchen wir große Anlagen wie auf dem Dach der Berliner Messe. Das ist mit 50.000 Quadratmetern eine der größten Dachanlagen Deutschlands.

Aktuell steht Solar bei 5,6 Prozent im Berliner Strommix.

Ja. Es sind noch zehn Jahre, aber eigentlich muss der Solaranteil ab sofort jedes Jahr um zwei Prozentpunkte wachsen. Deswegen müssen wir Logistikzentren, Lagerhallen, Betriebsstätten und große Industriehallen zubauen. Wenn Stromspeicher dazu kommen, werden die Unternehmen gleichzeitig resilienter. Der dreitägige Stromausfall in Berlin-Adlershof hat nicht nur Privathaushalte, sondern auch die Wirtschaft in dem Wissenschaftsstandort enorm beeinträchtigt.

Brandanschläge auf Strommasten oder Stromleitungen lassen sich doch aber nicht verhindern, oder?

Es wird nie 100-prozentigen Schutz geben, aber man kann einiges verbessern. In den vergangenen Jahren ist auch schon viel passiert. Früher gab es viele Überlandleitungen. Stromleitungen in der Luft sind ein absoluter Gefährdungspunkt.

Wie beim Urlaub im südeuropäischen Ausland?

Ja. Wir waren dieses Jahr mit einer Wirtschaftsdelegation in Indien. Das Land ist einerseits Hightech, und gleichzeitig hängen Kabelrollen am Baum ... In Berlin haben wir inzwischen gut 90 Prozent der Stromkabel unter die Erde verlegt. Letztlich sollen es fast alle Leitungen sein. Das schafft Sicherheit.

Erdleitungen sind aber auch deutlich teurer als neue Strommasten.

Das stimmt. Gleichzeitig reduziert man Angriffspunkte, denn Verteilmasten muss man in der freien Fläche zusätzlich sichern. Dabei muss man auch Cyberattacken berücksichtigen. Solche Themen besprechen wir mit unserem Landesunternehmen Stromnetz Berlin. Um den steigenden Strombedarf zu decken, wird Stromnetz Berlin die Stromkapazitäten in den kommenden Jahren übrigens verdoppeln.

Das Unternehmen investiert jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag in den Netzausbau. Sind diese Investitionen gedeckt oder abhängig von der Berliner Haushaltslage?

Es gibt verschiedene Finanzierungsmodelle. Beim Klimapakt kommen 2,3 von 13 Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt. Die Summe stellen wir den landeseigenen Unternehmen als Eigenkapital zur Verfügung. Damit können sie Kredite aufnehmen und investieren. Weil es sich um Investitionen in die Zukunft handelt, können sie die Kredite in den Folgejahren zurückzahlen.

Lässt sich der wirtschaftliche Vorteil dieser Investitionen bereits beziffern?

Momentan sind wir in einer Anreizstruktur. Wir geben Geld aus, damit sich etwas verändert. Das ist der Sinn jeder Förderung. Unternehmen sagen: Ohne Förderung hätte sich die Solaranlage nicht gerechnet. Mit Förderung mache ich das. Dann habe ich günstigen Strom vom Dach. Solche Programme führen hoffentlich dazu, dass die Unternehmen auch in Zukunft wirtschaftlich arbeiten können.

Können die Unternehmen aktuell wirtschaftlich arbeiten? Die Berliner CO2-Emissionen sind 2023 und 2024 gesunken. Das ist gut. Schaut man sich die Details an, sieht man allerdings: Ein Grund ist der sinkende Energieverbrauch der Unternehmen. Freut Sie das?

In Berlin gibt es mehr als 100.000 Industriearbeitsplätze. Unsere Startup-Szene beschäftigt genauso viele Menschen. Sie ist europaweit einzigartig. Wir haben Tourismus, Kultur und vieles mehr. Berlin ist nicht nur eine Branche oder ein Industriezweig. Wir sind breit aufgestellt und damit erfolgreich. Die Berliner Wirtschaft wächst seit zwölf Jahren über dem Bundesschnitt. Das werden wir dieses Jahr ebenfalls schaffen, das kann Ihnen bereits sagen. 2025 wurden mehr als 40.000 Gewerbe angemeldet, davon 40 Prozent von Menschen mit Migrationshintergrund. Der Berliner Arbeitsmarkt würde zusammenbrechen, wenn wir diese Menschen nicht hätten.

Und damit kommt Berlin vom Schuldenberg runter? Der steht aktuell bei 67 Milliarden Euro und soll bis 2029 auf 84 Milliarden Euro anwachsen.

Berlin wird nur dann seinen Schuldenberg loswerden, wenn es wirtschaftlich stark und erfolgreich ist. Deshalb müssen wir in Branchen investieren, die wachsen und mit denen wir Steuereinnahmen erwirtschaften können. Welche Branchen sind das? Der Fintech-Bereich, der Green-Tech-Bereich, die Games-Branche, der Gesundheitssektor und auch der Bereich der künstlichen Intelligenz. Es gibt in Berlin allein rund 300 stark wachsende Unternehmen aus dem Deep-Tech-Bereich. Viele von ihnen beschäftigen sich mit ökologischen Themen - nicht aus Altruismus, sie möchten ein Geschäftsmodell aufbauen. Das müssen wir unterstützen, denn wenn diese Unternehmen erfolgreich sind, klopft der Rest der Welt bei uns an.

Mit Franziska Giffey sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Jobabbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor von ntv" ist der Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.



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Quelle: ntv.de

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