Von Schottland aus ins All? Großbritannien plant Weltraumbahnhof
15.07.2014, 20:25 Uhr
Abheben inmitten grüner Hügel: So stellt sich die Weltraumbehörde Großbritanniens künftige Anbindung ans All vor (Computergrafik).
(Foto: UK Space Agency)
Erst ist es nur ein Gerücht, dann kommt aus Farnborough die offizielle Bestätigung: Die britische Regierung will bis 2018 tatsächlich einen kommerziellen Weltraum-Bahnhof bauen - und von dort aus nicht nur Satelliten, sondern auch Touristen ins All befördern.
Großbritannien hat am Rande der Luftfahrtmesse in Farnborough Pläne zum Bau des ersten europäischen Weltraumbahnhofs vorgestellt. "Um in der kommerziellen Raumfahrt eine Führungsrolle zu haben, brauchen wir einen Weltraumbahnhof, der uns regelmäßige Flüge ermöglicht", erklärte der Luftfahrt-Beauftragte der britischen Regierung, Robert Goodwill.
Im Jahr 2030 könnte das Geschäft mit Reisen in den Weltraum ein Volumen von rund 40 Milliarden Pfund (gut 50 Milliarden Euro) pro Jahr erreichen, errechnet Großbritanniens staatliche Weltraum-Agentur. Mit einem Bahnhof, von dem aus abenteuerlustige Touristen die Erde verlassen, will sich das Land offenbar ein großes Stück vom Kuchen sichern.
Raketenstarts ab 2018
Bekannt wurde das Vorhaben bereits am Wochenende. Auf dem Branchentreffen der Luft- und Raumfahrtindustrie im südenglischen Farnborough stellte Goodwill das Vorhaben nun offiziell vor. Das Projekt wirkt mehr als nur ehrgeizig. Es wäre der erste Stützpunkt dieser Art in Europa - und das aus gutem Grund. Bisher lassen Satellitenbetreiber und Raumfahrtagentur ihre wertvolle Fracht von Raketenbasen weiter südlich starten. Die Nähe zum Äquator bringt handfeste Kostenvorteile. Weit ab von den Polen lässt sich die Eigenrotation der Erdkugel ausnutzen. Das spart teuren Raketentreibstoff und ermöglicht zusätzliche Nutzlast.
In den Erwägungen der britischen Regierung scheinen diese Faktoren zunächst nicht ins Gewicht zu fallen. Schon ab 2018 sollen Raketen von Großbritannien aus kleine Satelliten und auch zahlungskräftige Weltraumtouristen in den erdnahen Orbit befördern. Bis 2030 sollen dann britische Startkapazitäten volle 10 Prozent des weltweiten Geschäfts mit Transporten in den Weltraum kontrollieren.
Unabhängig von den absehbaren Schwierigkeiten eines solchen Projekts wird dadurch deutlich, welchen Stellenwert die Regierung in London der Raumfahrtindustrie beimisst. Aktuellen Zahlen zufolge steht die Hightech-Branche schon jetzt für rund 34.000 britische Arbeitsplätze und für einen jährlichen Umsatz von rund 11 Milliarden Pfund. Unter dem Stichwort der "Re-Industrialisierung" will London die Luft- und Raumfahrt nun weiter fördern.
Visionäre Wirtschaftspolitik?
Konkrete Details gab es zunächst allerdings nicht. Antworten auf Fragen zu den Baukosten und den Lasten, die auf den britischen Steuerzahler zukommen, blieb Londons Luftfahrtbeauftragter in Farnborough schuldig. Auch bei der britischen Raumfahrtbehörde gibt man sich bedeckt. "Wir sind noch in der Erkundungsphase", wich Catherine Mealing-Jones von der UK Space Agency aus. Um die Investitionsfrage werde man sich natürlich kümmern müssen.
Medienberichten zufolge hofft die Regierung auf Investitionen des finanzstarken britischen Unternehmers Richard Branson. Seine Firma Virgin Galactic hatte schon für 2011 die ersten privaten Weltraumflüge mit dem "SpaceShipTwo" von New Mexico aus angekündigt. Mehrere hundert Menschen haben nach Angaben der Firma bereits Tickets gekauft. Es locken Flüge in 100 Kilometer Höhe und mehrere Minuten Schwerelosigkeit.
Mit Bransons "SpaceShips" sind bislang allerdings noch keine Touristen geflogen. Die bisher sieben Weltraumtouristen der Menschheitsgeschichte reisten klassisch ab Baikonur oder Cap Canaveral zur internationalen Raumstation ISS rund 400 Kilometer über der Erde. Erster Weltraumtourist überhaupt war ein US-Unternehmer namens Dennis Tito, er machte 2001 den Anfang.
Kostspielige Ausflüge ins All
Raumfahrtexperten streiten zudem noch darüber, ob Unternehmen wie Virgin Galactic oder XCor überhaupt "echten" Weltraumtourismus anbieten würden, wenn die unternehmenseigenen "Raumgleiter" zum Einsatz kämen. Strittig ist dabei, ob diese Gleiter bei ihren Höhenflügen überhaupt bis ins All vordringen oder die gefühlte Schwerelosigkeit an Bord nicht vielleicht doch wie bei einem konventionellen Parabelflug in großer Höhe zustande kommt.
Sicher, eine Marktnische scheint vorhanden. Doch selbst diese Flüge mit Raumgleitern seien technisch extrem anspruchsvoll und bräuchten spezielle Flughäfen, erklärt Andreas Schütz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt: "Mit viel Regen und Wind geht nichts." Aus Sicherheitsgründen müssen die Anlagen in unbewohntem Gebiet liegen.
Lockmittel für unschlüssige Schotten?
Hier könnten die britische Regierung ansetzen: Immerhin acht angeblich geeignete Orte haben Experten in Großbritannien ausgemacht - sechs davon liegen dem Vernehmen nach in Schottland. Beobachter werten das als Politikum. Denn in gut zwei Monaten entscheiden die Schotten in einem Referendum über die Unabhängigkeit, ob sie weiterhin zum Königreich gehören wollen.
Diskutiert wird daher in Fachkreisen, ob es sich bei dem Weltraumbahnhof-Vorstoß aus London nicht vielleicht doch nur um eine Art politisches Werbe-Versprechen handelt, dass den Befürwortern einer Unabhängigkeit Schottlands den Verbleib im Vereinigten Königreich schmackhaft machen soll. Schottlands Regierungschef Alex Salmond versicherte jedenfalls eilig, die Region im Norden der britischen Insel bleibe am besten geeignet, egal, wie das Referendum ausgehe.
David Parker, Chef der UK Space Agency, sieht das allerdings etwas anders. "Wir planen auf der Basis, dass Schottland ein Teil Großbritanniens bleibt", betonte er mit Blick auf die Weltraumbahnhofpläne. Eine Entscheidung über den Standort werde "selbstverständlich" erst nach der Abstimmung gefällt.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa