Showdown in Brüssel? "Heute ist der D-Day"
22.06.2015, 17:16 Uhr
Am Vorabend des EU-Gipfels demonstrieren in Athen Menschen gegen eine zu harte Sparpolitik. Die Griechen sind zerstritten.
(Foto: AP)
Er war kurz der oberste Steuereintreiber Griechenlands und ist jetzt ein führender Oppositionspolitiker: Harry Theoharis. Im Interview mit n-tv.de erklärt er, warum Griechenland Reformen braucht, aber stattdessen weitere Sparmaßnahmen bekommen wird.
n-tv.de: Heute verhandeln die Staats- und Regierungschefs der EU über Griechenland. Mit welchem Gefühl blicken Sie nach Brüssel?
Harry Theoharis: Heute ist der D-Day.
Ist es so ernst?
Ja. Die griechische Regierung hat bisher eine verzweifelte Strategie verfolgt. Sie wollte allen zeigen, dass Griechenland erstmals richtig mit den Kreditgebern verhandelt. Das ist ihr gelungen und mittlerweile hat dies auch jeder verstanden. Man könnte einwenden: Die Regierung verhandelt zu viel und setzt zu wenig um. Aber sie hat auch dafür gesorgt, dass auf höchstem Level verhandelt wird. Das dient ihrer theatralischen politischen Kommunikationsstrategie. Sie hat gedacht, so mehr herausholen zu können, als wenn auf Experten-Ebene diskutiert wird.
Und das war ein Irrtum?
Das war ein Fehler. Denn wenn etwas auf der höchsten politischen Ebene diskutiert wird, denkt eben auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in politischen Kategorien. Sie verbindet die Verhandlungen dann mit ihrer politischen Zukunft. Und politisch muss sie sich ja keine Gedanken über die griechische Bevölkerung machen, sondern über die deutsche. Syriza aber nimmt an, dass Merkel über die Zukunft Europas nachdenkt. Währenddessen muss der spanische Premierminister berücksichtigen, dass ein Nachgeben der dortigen Linkspartei "Podemos" helfen könnte. Deshalb hätte die Regierung auf der technischen ebene ihre Hausaufgaben korrekt machen müssen. Dort hätte sie hart verhandeln und die Konflikte austragen müssen. Und erst dann hätte sie auf die politische Ebene gehen sollen.
Warum dauert das Gezerre schon so lange?
Die griechische Regierung hat nicht viel Erfahrung, sie steckt in einem Lernprozess. Und die andere Seite muss verstehen, dass Griechenland eine Richtungsänderung braucht. Sie muss respektieren, was hier in Griechenland passiert ist. Leider stößt das, was dieses Land braucht, in den Verhandlungen weder bei unserer Regierung noch auf der anderen Seite auf viel Gegenliebe.
Und das wäre?
Was wir wirklich brauchen, sind Reformen, die die Struktur der griechischen Wirtschaft verändern, für nachhaltiges Wachstum sorgen. Nur so können wir die Schulden zurückzahlen und vorwärts kommen. Die griechische Regierung ist aus ideologischen Gründen gegen diese Reformen. Darum wird sie am Ende sogar eher Sparmaßnahmen akzeptieren. Und den Europäern sind Sparmaßnahmen lieber, weil die sich einfacher kontrollieren lassen. Die Umsetzung von Reformen zu überprüfen, ist viel aufwändiger.

Theoharis trat als unabhängiger "Generalsekretär für Einnahmen" nach anderthalb Jahren im Juni 2014 zurück, der Posten war erst 2012 auf Druck der Gläubiger geschaffen worden. Er betont, der Rücktritt sei aus persönlichen Gründen erfolgt. Doch viele vermuten, er sei dem damaligen Ministerpräsidenten Antonis Samaras zu eifrig gewesen. Theoharis ist nun Fraktionssprecher der Mitte-Partei "To Potami" (Der Fluss).
(Foto: twitter.com/htheoharis)
Sie haben gesagt, Europa müsse respektieren, was in Griechenland passiert sei. Was heißt das konkret?
Wir haben gespart, mehr als andere das jemals getan haben. Wir haben zuviel und zu schnell gespart. Wir haben Kürzungen und Steuererhöhungen im Volumen von fast einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts umgesetzt. Dieses ist um ein Viertel geschrumpft. Stellen Sie sich das mal bezogen auf Deutschland vor. Dabei sind Sparmaßnahmen nicht das Problem. Zwecklose Sparmaßnahmen sind das Problem. Die griechische Bevölkerung muss sehen können, dass in absehbarer Zeit ein Ende in Sicht ist. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen ist eine Abwärtsspirale aus immer neuen Sparprogrammen und sinkendem Bruttoinlandsprodukt in Gang gekommen.
Viele Griechen sagen: Neue Sparmaßnahmen sind schlimmer als ein Grexit.
Ich kann das nachvollziehen, bin aber anderer Meinung. Griechenland ist doch viel größer als sein Territorium. Das gilt für viele Aspekte des Lebens. Im Prinzip ist beispielsweise Hamburg griechisch. Das heißt: Ein Grieche kann die Koffer packen, nach Hamburg fliegen und sich dort einen Job suchen. In dieser Hinsicht wäre ein Grexit ein Desaster. Und ich rede noch nicht einmal von den ökonomischen Konsequenzen.
Aber ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone bedeutet doch nicht, dass Griechenland die EU verlässt.
Doch, das würde es bedeuten. Schauen Sie sich doch an, wie schlecht die Beziehungen jetzt schon sind. Ein Grexit würde sie noch schlechter machen. Er würde eine Dynamik in Gang bringen, die nur schwer zu stoppen ist. Die Regierung wäre gezwungen, sich in vielerlei Hinsicht von Europa abzuschotten, sie müsste beispielsweise Kapitalkontrollen einführen. Die Regierung müsste angesichts der ökonomischen Katastrophe eine Zeitlang autokratische Züge tragen. Es kann so weit kommen, dass Polizei oder Armee vor den Supermärkte stehen müssen. An den Grenzen werden Zollbeamte bewaffnet kontrollieren, ob Euro-Bargeld außer Landes gebracht wird. Griechenland wäre über mehrere Monate ein Staat ohne Währung.
Also sollte Griechenland den Austritt um jeden Preis vermeiden?
Es ist sicherlich besser, Sparauflagen zu erfüllen, selbst wenn sich das schlecht auswirkt. Eine Mehrwertsteuererhöhung von zehn Prozentpunkten wäre schlimm. Aber noch schlimmer wäre eine Inflation von 100 Prozent, wenn die Drachme kommt. Man will Pensionen nicht weiter kürzen? Okay. Aber mit der Drachme würde das Geld, das sich Rentner über viele Jahre angespart haben, verschwinden.
Mit Harry Theoharis sprach Jan Gänger
Quelle: ntv.de