Wirtschaft

Ökonom Krebs im Interview "Lindners Papier ist eine ökonomische Farce"

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Lindner und die FDP hatten in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass sie eine Ausnahme von der Schuldenbremse ablehnen.

Lindner und die FDP hatten in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass sie eine Ausnahme von der Schuldenbremse ablehnen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Ampel ist am Ende. Bundeskanzler Scholz feuert Finanzminister Lindner. Im Interview erzählt Ökonom Tom Krebs, wieso mit den Ansätzen der FDP die Probleme von heute nicht zu lösen sind, ob der Haushalt 2025 noch beschlossen wird und womit Lindner im nächsten Jahr seine Zeit verbringt.

ntv.de: Die Ampel-Koalition ist Geschichte. Bundeskanzler Scholz hat Finanzminister Lindner entlassen. War das längst überfällig oder doch die falsche Entscheidung?

Tom Krebs: In den vergangenen anderthalb Jahren hat die Ampel einige Fehlentscheidungen getroffen, die auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen von Christian Lindner zurückzuführen sind. Und es gibt schon grundsätzlich unterschiedliche Ansichten von Wirtschafts- und Finanzpolitik innerhalb der Ampel-Koalition, die mit der Zeit zu immer mehr Streit geführt haben. Insofern kann man sagen: Ja, Lindners Entlassung war die richtige Entscheidung.

Tom Krebs ist Professor für Makroökonomik an der Universität Mannheim. 2019 war er für ein Semester Gastprofessor im Bundesfinanzministerium unter Finanzminister Olaf Scholz. Außerdem arbeitete er als Berater für den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die amerikanische Zentralbank in Minneapolis.

Tom Krebs ist Professor für Makroökonomik an der Universität Mannheim. 2019 war er für ein Semester Gastprofessor im Bundesfinanzministerium unter Finanzminister Olaf Scholz. Außerdem arbeitete er als Berater für den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die amerikanische Zentralbank in Minneapolis.

Ihr Ökonomen-Kollege Jens Südekum wirft Lindner vor, der zentrale Satz in seinem Statement sei falsch: Eine Aussetzung der Schuldenbremse sei weder ein Verfassungsbruch noch eine Verletzung des Amtseides des Bundesfinanzministers. Teilen Sie diese Einschätzung?

Lindners Begründung ist eine Missinterpretation der Schuldenbremse – und das weiß er auch. Das Aussetzen der Schuldenbremse ist möglich und auch im Grundgesetz vorgesehen, solange es vernünftig begründet ist. Argumente für eine Notlage gibt es allein mit den unvorhersehbaren Ausgaben für den Ukraine-Krieg - was ja eigentlich auch der Plan der Bundesregierung war. Meiner Einschätzung nach ist aber noch mehr möglich. Die wirtschaftliche Situation ist jetzt u.a. so schlecht, weil wir immer noch die Spätfolgen der Energiekrise spüren. Mit diesem Argument hätten wir schon 2023 und 2024 die Notlage deklarieren können, aber die Folgen der Energiekrise wurden zu lange von der Ampel-Regierung und vielen Ökonomen kleingeredet – das nenne ich in meinem aktuellen Buch die große Fehldiagnose. Diese Realitätsverweigerung rächt sich jetzt.

Grund für Lindners Entlassung ist Scholz zufolge aber auch das Konzeptpapier des FDP-Chefs. Darin propagierte er eine marktliberale Wirtschaftswende, für die er von vielen Ökonomen Zuspruch bekam. Wie beurteilen Sie die wirtschaftspolitischen Ideen darin?

Lindners Papier ist eine ökonomische Farce. Für mich ist es der Versuch, mit den banalen Rezepten der 80er Jahre die heutigen Probleme zu lösen. Das wird nicht klappen. Einige Ökonomen vergessen scheinbar, dass die ökonomische und gesellschaftliche Realität etwas komplexer ist als die fiktive Welt der VWL-Lehrbücher für Bachelorstudierende. Bei den Wirtschaftsverbänden ist das Papier auf Zuspruch gestoßen, weil darin allgemeine Steuersenkungen angekündigt werden. Das ist gut für wohlhabende Kapitaleigentümer, aber hilft der Gesamtwirtschaft und den Beschäftigten wenig. Das wird die Wirtschaft nicht in Gang bringen. Dieses Prinzip Gießkanne ist extrem teuer und bringt wenig zusätzliches Wachstum. Und Lindner diskutiert auch nicht ernsthaft, wie das finanziert werden soll, ohne die Schuldenbremse zu lockern. Insofern basiert das Papier auf dem Prinzip "Wünsch dir was".

Was stößt Ihnen besonders auf?

Die pauschale Forderung nach Subventionskürzungen. Das hört sich erst einmal gut an, aber wenn es um die Umsetzung geht, dann kneift die FDP. Schon Ende 2023 hat die Bundesregierung den Haushalt damit versucht zu finanzieren, zum Beispiel mit der Abschaffung der Sonderregel für den Agrardiesel. Doch dann gab es Bauernproteste und Traktorkolonnen in Berlin, und Christian Lindner ist sofort eingeknickt. Die Abschaffung hätte übrigens nicht für die Milliardenbeträge gesorgt, wie wir sie derzeit brauchen. Dass wir einen wirtschaftlichen Aufschwung ohne jede Förderung hinbekommen, ist ein Irrglaube.

Lindner hat mit seinem Papier auf Vorschläge von Wirtschaftsminister Robert Habeck reagiert. Wie bewerten Sie sein Strategiepapier?

Habecks Papier akzeptiert wenigstens, dass in Krisen und großen Transformationsphasen der Staat eine wichtige Rolle spielen muss. Das Papier versucht, sich mit der ökonomischen Realität auseinanderzusetzen. Wir müssen uns überlegen, wie wir Industriepolitik aktiv und smart betreiben wollen. Wir können darauf nicht verzichten. China und die USA fahren einen sehr aggressiven Kurs und Trump wird mit zusätzlichen Zöllen in Zukunft noch sehr viel aggressivere Industriepolitik betreiben. Was ich von einem grünen Wirtschaftsminister allerdings überhaupt nicht verstehe, ist, warum er richtigerweise eine Investitionsprämie vorschlägt, aber dann die Konditionierung auf die Klimakriterien plötzlich streicht. Aus klimapolitischer Sicht ist das ein Schritt rückwärts. Da hat Habeck eine 180-Gradwende gemacht, um Lindner zu gefallen. Geholfen hat es nicht.

Die übrig gebliebene Regierung sitzt nun auf dem Schleudersitz. Neuwahlen sind für März angedacht. Ist es machbar, den Haushalt für 2025 vorher noch zu beschließen?

Das wäre natürlich schön, aber ich halte es nicht für realistisch, weil der Restregierung aus Grünen und SPD die Mehrheit im Bundestag fehlt. Trotzdem sollte sie versuchen, einen Haushalt vorzulegen, um eine inhaltliche Diskussion zu starten und ihr Konzept für eine Wirtschaftswende vorzulegen. Aber die Union wird aus politischem Kalkül keinen großvolumigen Wirtschaftsmaßnahmen zustimmen. Es wird also noch etwas länger Stillstand geben.

Wie beurteilen Sie die Wirtschaftspolitik der Ampel?

Vor dem Ukraine-Krieg und vor dem Energiepreisschock hat die Ampel-Koalition es geschafft, eine klimapolitische Wende einzuläuten. Vor allem bei den erneuerbaren Energien sind wir vorangekommen. Auch gab es ein paar gute sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Anhebung des Stundenlohns auf 12 Euro. Aber die Energiekrise hat alles verändert, und die Ampel-Regierung hat es nie geschafft, eine vernünftige finanz- und wirtschaftspolitische Antwort auf diese Krise zu geben. Die Energiekrise hat in gewisser Weise der Regierung und der Wirtschaft den Todesstoß verpasst. Zwar hat die Ampel-Regierung 2022 vieles richtig gemacht, indem sie Gas eingekauft und eine Mangellage verhindert hat. Aber ab 2023 ging es bergab. Die Ampel hat die Krisenauswirkungen unterschätzt und deswegen keine finanz- und wirtschaftspolitischen Impulse 2023 gesetzt. Die Koalition hat sich die Lage schöngeredet und ist erst 2024 aufgewacht, aber auch dann war sie nicht in der Lage, eine kohärente Antwort zu liefern.

Wer wird am Ende vom vorzeitigen Ampel-Aus profitieren?

Christian Lindner wird im kommenden Jahr jedenfalls nicht mehr Finanzminister sein. Die Prognose wage ich mal. Er wird wahrscheinlich viel Zeit haben, als arbeitsloser Ex-Minister Urlaub auf Sylt zu machen.

Mit Tom Krebs sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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