"Große bürokratische Belastung" Ökonomen beklagen Verabschiedung des Lieferkettengesetzes
14.12.2023, 21:42 Uhr Artikel anhören
Europäische Unternehmen würden ihren Wettbewerb besonders gegenüber China schwächen, meint das Institut der deutschen Wirtschaft.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die EU hat sich auf ein Lieferkettengesetz einigen können und versucht damit, Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung von Unternehmen zu bestrafen. Deutsche Ökonomen verurteilen diesen Schritt.
Das EU-Lieferkettengesetz, auf das sich EU-Staaten und Europaparlament geeinigt haben, sei ein "mittelstands und entwicklungsfeindliches Bürokratiemonster", so der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie. Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen dagegen begrüßten das Gesetz.
Das Gesetz bedrohe die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen, erklärte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Industrie (BDI), Tanja Gönner. Wegen der hohen Auflagen und Rechtsunsicherheiten müssten sich Unternehmen infolge des Gesetzes aus Drittstaaten zurückziehen und könnten ihre Lieferketten nicht weiter diversifizieren, warnte Gönner.
Wozu dient das Gesetz?
Ab einer bestimmten Größe sind Unternehmen unter dem Lieferkettengesetz künftig verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln und mögliche Folgen zu "verhindern, zu mildern, zu beenden und zu beheben". Außerdem müssen sie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu gehören Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister oder auch die Abfallwirtschaft.
Die Verhandlungsführerin im Parlament, Lara Wolters, sprach von einem "historischen Durchbruch". Mit dem Gesetz müssten Unternehmen "das Wohlergehen der Menschen und der Erde" vor "kurzfristige Profite" stellen, sagte sie. Das Gesetz sei ein "wichtiges Hoffnungszeichen" etwa für Näherinnen in Bangladesch oder Minenarbeiter in Südafrika, erklärte der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Misereor, Pirmin Spiegel.
Ökonomen: Lieferanten gar nicht vorbereitet auf das Gesetz
"Mit dem Lieferkettengesetz schießt sich die EU im globalen Wettbewerb ins Abseits", kritisierte hingegen die Ökonomin Galina Kolev-Schaefer am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Lieferanten in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern seien auf die Anforderungen aus Europa nicht vorbereitet, europäische Unternehmen müssten sich zurückziehen. Das schaffe freie Bahn für Konkurrenz aus China, die viel weniger auf Umwelt und Menschenrechte achte.
Das Gesetz sorge zudem für "große bürokratische Belastungen" für die Unternehmen, erklärte die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebeler. "Noch höhere bürokratische Belastungen und unverhältnismäßige Strafen für Unternehmen" seien "das Gegenteil dessen, was in der aktuell schwierigen wirtschaftspolitischen Lage geboten ist", kommentierte auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP im Bundestag, Lukas Köhler.
Hohe Geldstrafen bei Gesetzesverstoß
Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz drohen den Unternehmen Strafen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Für die Überwachung und Ermittlungen sollen nationale Behörden zuständig sein. Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung sollen einen Anspruch auf Entschädigung haben. Für Verbraucherinnen und Verbraucher sorge das Gesetz für mehr Klarheit bei ihren Kaufentscheidungen, lobte Christiane Seidel, zuständig für Lebensmittel beim Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv). Aus Sicht des vzbv sei es zudem "zwingend erforderlich", dass staatliche Stellen die Angaben der Unternehmen überprüfen, fügte Seidel hinzu.
Finanzsektor wird jedoch nicht überprüft
Für den Finanzsektor gilt das Gesetz zunächst nicht, dieser werde "wird vorübergehend ausgeschlossen", erklärte der Rat der Mitgliedstaaten. Eine spätere Einbeziehung dieser Unternehmen soll noch geprüft werden. Eine solche Absichtserklärung bezeichnete der SPD-Europaabgeordnete René Repasi als "schwachen Trost". Die EU habe die Chance verpasst, den Finanzsektor in die Pflicht zu nehmen. Europäische Finanzunternehmen trügen durch Investitionen und Kredite "massiv zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden bei", erklärte auch die Organisation Germanwatch.
Die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini begrüßte, dass die europäischen Vorschriften deutlich über das in Deutschland bereits seit Anfang des Jahres geltende Lieferkettengesetz hinausgehen. Das Gesetz stärke "besonders auch deutsche Unternehmen", die bereits auf Standards bei Menschenrechten und Umweltschutz achten und schaffe "faire Wettbewerbsbedingungen für den gesamten Binnenmarkt", erklärte Cavazzini. Der Einigung müssen Europaparlament und Mitgliedstaaten noch formal zustimmen.
Quelle: ntv.de, gri/AFP