Wachsen, "koste es, was es wolle" Soll die EZB in die Wirtschaft eingreifen?
03.09.2014, 10:30 Uhr
Die Südstaaten der Eurozone tun sich schwer, auf den Wachstumspfad zu finden. Die Deflation in Spanien lag im Mai bei 0,2 Prozent.
(Foto: REUTERS)
Die Währungshüter haben bereits einiges versucht, um die Konjunktur zu beleben. Aber sie stottert immer noch. Muss die EZB noch mehr tun oder sollte sie sich aus der Wirtschaftspolitik besser raushalten? Die wichtigsten Argumente dafür und dagegen.
Auf dem Höhepunkt der Eurokrise vor gut zwei Jahren versprach EZB-Chef Mario Draghi in einer dramatischen Rede, alles zu tun, um den Euro zu erhalten: "whatever it takes to preserve the Euro", war damals der Original-Wortlaut. Eineinhalb Monate später, am 6. September 2012, folgte der formale Beschluss des EZB-Rats hierzu. Die europäische Zentralbank erhielt das Recht, unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Staaten, die ein Rettungsprogramm erhielten, auf dem Sekundärmarkt zu kaufen.
Zwei Jahre später hat sich die Lage deutlich beruhigt. A ber zu sagen, alles sei gut, wäre übertrieben. Trotz aller Anstrengungen der Politik und der Währungshüter kommt die Wirtschaft in der Eurozone nicht so richtig auf Touren. Die Staaten sitzen immer noch auf enormen Schuldenbergen und die Arbeitslosigkeit vor allem in den südlichen Ländern ist horrend hoch. Beunruhigend ist vor allem, dass die jüngst noch positiven Wachstumsprognosen für die Länder der Währungsunion schon wieder Makulatur sind.
Um der Wirtschaft mehr Wachstumsimpulse zu geben, erwägt die EZB deshalb jetzt weitere Maßnahmen. Sie wird möglicherweise versuchen, die Realwirtschaft dadurch anzukurbeln, dass sie Kreditverbriefungen, sogenannte Asset Backed Securities (ABS), kauft. Am Donnerstag könnte sie die Katze aus dem Sack lassen, ob sie tatsächlich ein Kaufprogramm für diese forderungsbesicherten Wertpapiere auflegt. Ob das der richtige Weg ist, ob die EZB grundätzlich intervenieren sollte, daran scheiden sich die Geister seit langem. Argumente gibt es dafür und dagegen:
PRO
- Die Maßnahmen der EZB - Zinssenkungen, Staatsanleihenkäufe, negativer Satz auf Bankeinlagen bei der Zentralbank sowie Interventionen verbaler Art - waren erfolgreich. Die Eurozone steht deutlich besser da als während der Finanzkrise. Trotzdem ist die Wirtschaft im Euroraum noch nicht stabil. Die Industrieproduktion schrumpft und die Konjunkturindikatoren zeigen nach unten. Damit vor allem die Krisenstaaten endgültig wieder auf die Beine kommen, müssen Firmen in diesen Ländern mehr investieren - dafür brauchen sie aber mehr Geld von den Banken. Doch davon erhalten sie immer weniger, weil diese ihre Risiken minimieren müssen. Sie leihen sich lieber selbst das fast kostenlose Geld bei der EZB und investieren es in "risikolose" Staatsanleihen. Staatsanleihen müssen sie nicht mit Eigenkapital hinterlegen; Unternehmenskredite schon. Hier kann die europäische Notenbank eingreifen.
- Die EZB hat die Möglichkeit, einer Deflation entgegenzusteuern. Die Inflation ist so niedrig wie lange
- Es muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden. Die Sparmaßnahmen der Staaten allein helfen nicht gegen eine Wirtschaftskrise.
- Die Zentralbank ist die ganze Zeit aktiv. Bereits im Juni hat sie zwei zusammen 400 Milliarden Euro schwere Geldspritzen für Banken (TLTRO) angekündigt. Die Erste soll im September fließen. Die EZB sollte alles in Betracht ziehen, um die maue Kreditnachfrage und die für den Geschmack der EZB zu niedrige Inflation anzukurbeln. Neben der Intervention auf dem ABS-Markt kommen zum Beispiel auch weitere Anleihenkäufe in Frage. Die USA haben damit gute Erfahrungen gemacht. In Amerika wächst die Wirtschaft im kommenden Jahr voraussichtlich um 3,0 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist auf rund sechs Prozent gefallen. Anleihekäufe könnten auch für Europa funktionieren.
CONTRA
- Die EZB betreibt Wirtschaftspolitik, was nicht zu ihren Kern-Aufgaben gehört. Ihr Hauptzweck ist für Preisstabilität zu sorgen, also die Inflation zu krontrollieren, sowie die Finanzmärkte und -institute zu beaufsichtigen.
- Die Zentralbank kauft lediglich Zeit und bekämpft die Ursachen der Krise nicht. Gleichzeitig würde der Eingriff den Reformdruck von den Staaten nehmen. Die vorerst letzte diesbezügliche Warnung kam von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er sagte Bloomberg, die EZB habe die Grenzen ihrer Hilfe für die Eurozone erreicht. Sie müsse andere Wege finden, um Wachstum zu erzeugen. Welche, sagte er nicht.
- Es gibt große Zweifel, dass das Geld der Banken in der Realwirtschaft ankommt. Dafür sprechen auch die niedrigen Inflationsraten in den Eurostaaten. Erfahrungsgemäß fördern die Interventionen der Notenbanken eher Blasenbildungen an den Finanzmärkten. Eine Blase könnte sich im Immobilienmarkt bilden. Hier sind die Preise bereits deutlich gestiegen. Auch der Aktienmarkt scheint völlig losgelöst von allem Irdischen: 9500 Punkte im Dax bedeutet ein Kursplus von 65 Prozent in den letzten drei Jahren.
- Die europäischen Währungshüter und auch viele andere Ökonomen sehen bisher keine Deflationsgefahr. Für sie sind die Preise im Grunde stabil. IWF-Chefin Christine Lagarde spricht von "Lowflation" (niedrige Inflation), andere von "Disinflation" (Verringerung des Preisanstiegsniveaus).
- Konkret der "Verbriefungsmarkt", wo es möglicherweise zu einer weiteren Intervention kommt, ist zu klein, um dadurch neue Liquidität zu schaffen. Die Ankündigung der EZB soll angeblich auch dazu geführt haben, dass Investoren den europäischen ABS-Markt leer gekauft haben. Möglicherweise hat die EZB verbotenes "Frontrunning" befördert. Schreitet sie zur Tat, würde sie die Kursgewinne von Spekulanten bezahle
Dass Draghi am Donnerstag Geschütze im Stil von großangelegten Staatsanleihekäufen der EZB auffährt, wird von den meisten Experten bezweifelt. Aber eine kleine Maßnahme, wie der Ankauf von ABS-Wertpapieren? Damit könnte er - ganz in der Tradition der Zentralbank - zumindest ein Zeichen setzen und signalisieren: Die EZB ist immer noch dran. Andererseits hat sie aber auch schon immer viel rein "rhetorisch" bewegt, ohne zu handeln.
Eines hat die Diskussion über weitere expansive Maßnahmen der EZB aber auf jeden Fall schon gebracht: Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar in den zurückliegenden zwei Monaten rund sechs Prozent an Wert verloren. So mancher Finanzexperte meint, das sei eigentlich das beste Konjunkturprogramm für die Eurozone.
Quelle: ntv.de