
Die Uhr tickt: Bis 21 Uhr müssen Athens Gläubiger entscheiden, ob sie beim Schuldenschnitt mitziehen. Doch die Beteiligung wackelt, denn es geht um mehr als die Rettung Griechenlands. Banken, Hedge Fonds und Regierungen feilschen um Milliarden – am Ende dürfte das Spiel wahrscheinlich die Finanzindustrie gewinnen. Die Szenarios im Überblick.
Es gibt eine Eigenschaft, die einen guten Poker-Spieler auszeichnet: Er muss eine Drohung glaubwürdig aufrechterhalten können, ohne mit der Wimper zu zucken – bis zum bitteren Ende. Ein Bluff funktioniert dann am besten, wenn man in der letzten Runde den Einsatz noch einmal erhöht, bis die Gegenspieler entsetzt die Karten auf den Tisch werfen: All in – alles auf eine Karte setzen, nennt man das. Wenn das Gezerre um den griechischen Schuldenschnitt ein Pokerspiel ist, dann hat Griechenlands Finanzminister in dieser Woche noch einmal den Einsatz erhöht: " , sagte Evangelos Venizelos. "Ein zweites Angebot wird es nicht geben". Falls der Forderungsverzicht nicht auf freiwilliger Basis zustande komme, sei man bereit, die Gläubiger mit Umschuldungsklauseln dazu zu zwingen.
Für Venizelos und das hochverschuldete Griechenland geht es um alles oder nichts: Um 21 Uhr läuft die Frist ab, bis zu der Athens Gläubiger erklären müssen, ob sie beim Schuldenschnitt mitziehen: Sie sollen "freiwillig" auf 107 Mrd. Euro ihrer Forderungen verzichten, indem sie ihre griechischen Staatsanleihen in neue Papiere mit geringerem Nominalwert, längerer Laufzeit und niedrigeren Zinsen tauschen – und Griechenland so über die Hälfte seiner Schulden erlassen.
Doch trotz aller Drohgebärden zeichnet sich ab, das viele Gläubiger den Schuldentausch verweigern: Die griechische Regierung rechnet selbst mit einer Beteiligung von lediglich 75 bis 80 Prozent, hatte vorher aber erklärt, den Tausch nur bei einer Beteiligung von mindestens 90 Prozent durchzuziehen. Damit droht der Eurozone der erste Zwangsbankrott ihrer Geschichte. Wie es nun weitergeht, hängt davon ab, wer in dem beispiellosen Poker seine Interessen durchsetzt. Denn in Wahrheit geht es nicht um die Rettung Griechenlands: Banken, Hedge Fonds und Regierungen feilschen beim Schuldenschnitt darum, wer in dem hochriskanten Spiel Milliarden absahnt – auf Kosten der anderen Mitspieler.
Szenario 1: Verlängerung der Angebotsfrist
Die Drohungen des griechischen Finanzministers sind vor allem an eine Adresse gerichtet: Hedge Fonds und andere schlecht beaufsichtigte Finanzinstitute haben Griechenland-Anleihen aufgekauft, um ein hochprofitables Geschäft zu machen: Sie spekulieren darauf, dass Athen die Konditionen für den Schuldentausch nachbessert, wenn ihm die meisten Gläubiger erst einmal einen Großteil seiner Schulden erlassen haben. Als Trittbrettfahrer würden sie durch die Verluste der Banken, die beim Schuldenschnitt mitziehen, ungeschoren davon kommen und selbst Milliardengewinne einfahren – sie haben den klammen Instituten ihre Griechenland-Forderungen meist weit unter Marktwert abgekauft.
Denn die Fonds wissen: Griechenland kann seine Gläubiger zwar zum Schuldentausch zwingen, doch das hätte fatale Konsequenzen für den Ruf des Landes an den Kapitalmärkten und für den Euro insgesamt. Platzt der Schuldentausch, ist Athen zudem Pleite: Die EU hat das zweite Rettungspaket in Höhe von 130 Mrd. Euro an die Bedingung geknüpft, dass mindestens 90 Prozent der Gläubiger beim Schuldentausch mitmachen. Fließt das Geld nicht wie geplant, müsste Griechenland schon am 20. März den Bankrott erklären – dann werden Staatsanleihen in Höhe von 14,5 Mrd. Euro fällig, die das Land ohne Hilfen nicht mehr bezahlen kann.
Falls sich also bis 21 Uhr nicht genügend Gläubiger beteiligen, ist es ist daher wahrscheinlich, dass Athen die Frist für den Schuldentausch verlängern wird, um unwillige Gläubiger doch noch ins Boot zu holen. Zwar haben hochrangige Vertreter des griechischen Finanzministeriums eine mögliche Fristverlängerung bereits hinter vorgehaltener Hand dementiert – aber es wäre nicht das erste Mal, dass Athen Zusagen nicht einhält, weil es im eigenen Interesse liegt. Zudem will die griechische Regierung zunächst nach Ablauf der Frist zusammen mit der Eurogruppe ziehen - und dann erst am Freitag entscheiden, wie es weitergeht.
Szenario 2: Nachgebessertes Angebot
In den Gesprächen dürfte eines relativ schnell klar werden: , ist der Schuldentausch eine einmalige Gelegenheit für Griechenland, wenigstens einen Teil seiner erdrückenden Schuldenlast loszuwerden. Griechenland könnte dann versuchen, den Tausch zu den bekannten Konditionen zunächst mit dem willigen Teil seiner Gläubiger durchzuziehen und sich mit dem Rest im zweiten Schritt zu einigen. Zwischen den Zeilen hat sich Griechenland diese Möglichkeit laut Pressemitteilung bereits offen gelassen: Liegt der Anteil der willigen Gläubiger zwischen 75 und 90 Prozent, könne sich Griechenland "nach Rücksprache mit seinen staatlichen Gläubigern entscheiden, den Schuldentausch durchzuführen, ohne die vorgeschlagenen Änderungen zu vollziehen". Soll heißen: Entweder gibt es dann einen Zwangsumtausch – oder ein neues Angebot. Nur wenn die Beteiligung unter 75 Prozent läge, wäre der Schuldentausch in jedem Fall geplatzt – das gilt aber als unwahrscheinlich.
Für den Fall eines neuen Angebots müsste auch die Troika zustimmen, das zweite Rettungspaket auszuzahlen, obwohl die geforderte Beteiligung nicht erreicht worden ist. Es ist nur schwer vorstellbar, dass die EU sich dem verweigert – zu groß ist die Angst vor einer ungeordneten Staatspleite in der Eurozone. Am Ende müssten Venizelos und die anderen Euro-Retter zähneknirschend akzeptieren, dass ihre Drohung mit der Zwangsumschuldung als Bluff entlarvt ist - aber Griechenland wäre gerettet.
Offiziell hat Griechenland angekündigt, Verweigerern die gleichen Bedingungen aufzuzwingen wie willigen Gläubigern: "Sollte Griechenland ausreichende Zustimmung zu den vorgeschlagenen Änderungen bekommen, ist beabsichtigt, diese Bedingungen als bindend für alle Halter der Anleihen zu erklären", teilte die griechische Schuldenagentur in dieser Woche mit. Doch ob der Zwangsumtausch wirklich passiert, hängt entscheidend davon ab, wie groß der Anteil der Gläubiger ist, die Griechenland zwingen müsste und ob sich die Gewaltdemonstration lohnt, weil es so einen weiteren Großteil seiner Forderungen vom Hals bekommt.
Denn mit einem Zwangsumtausch würde Griechenland seinen Ruf am Kapitalmarkt auf Jahre verspielen. Zudem kann es nur den Gläubigern wirklich Bedingungen diktieren, deren Anleihen in Griechenland begeben wurden. Rund 14 Prozent der vom Schuldenschnitt betroffenen Anleihen wurden aber im Ausland nach internationalem Recht aufgelegt. Bei diesen Papieren müsste sich Griechenland auf langwierige Rechtsstreitigkeiten einstellen – die Hedge Fonds haben sich deswegen mit genau diesen Papieren eingedeckt. Es spricht also vieles dafür, dass sich Griechenland mit seinen unwilligen Gläubigern einigen wird, statt sie zu zwingen. Die Wette der Hedge Fonds würde dann aufgehen - und ein Teil des zweiten Rettungspakets direkt an die Wall Street überwiesen. Möglicherweise müsste das zweite Rettungspaket sogar vergrößert werden, um den geringeren Forderungsverzicht der privaten Gläubiger auszugleichen.
Szenario 3: Die unkontrollierte Staatspleite
Verlierer in diesem wahrscheinlichen Szenario wären Griechenlands willige Gläubiger: die Banken, die sich am Schuldenschnitt beteiligen und die Euro-Staaten, die Griechenlands zweites Rettungspaket finanzieren. Genau deshalb versuchen sie seit Monaten das Horrorszenario einer griechischen Staatspleite aufzubauen: dessen Mitglieder sich allesamt am Schuldenschnitt beteiligen. In dem vertraulichen Dokument vom 18. Februar warnt der von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann geführte Verband: Es sei schwer, die Folgekosten eines gescheiterten Schuldenschnitts genauer zu beziffern, "aber es ist kaum absehbar, dass sie unter einer Billion Euro lägen".
Mit dem Zwangsumtausch griechischer Staatsschulden ohne ein zweites flankierendes Rettungspaket würde aus der planmäßigen Umschuldung eine unkontrollierte Staatspleite Griechenlands. Doch genau weil die Folgen so katastrophal wären, ist das Szenario wenig wahrscheinlich: Wenn Griechenland falle, bräuchten Italien und Spanien externe Hilfe, um ein Übergreifen der Krise auf beide Länder zu vermeiden, warnt der IIF. Irland und Portugal bräuchten bei einer griechischen Staatspleite in den nächsten fünf Jahren 380 Mrd. Euro, Italien und Spanien weitere 350 Mrd., heißt es in dem IIF-Dokument. Und nicht zuletzt müssten Banken, die Griechenland-Anleihen halten, dann mit 160 Mrd. Euro frischem Kapital wieder auf die Beine gestellt werden.
Auch der griechische Finanzminister und die Euro-Retter wissen das. Und sie wissen, dass die Euro-Rettungsschirme nicht ausreichen würden, um ein solches Szenario zu verkraften: Im vorübergehenden Rettungsschirm EFSF steckt nicht mehr genug Kapital, um Spanien und Italien aufzufangen, der dauerhafte Rettungsschirm ESM soll erst ab Mitte Juni einsatzbereit sein. Nur die Europäische Zentralbank könnte dann noch eingreifen: Sie müsste nicht nur einige, sondern alle Griechenland-Anleihen aufkaufen – und viele der Anleihen von Portugal, Spanien und Italien gleich mit.
Am Ende bleibt deshalb wahrscheinlich wohl nur die Erkenntnis: Venizelos und die Euro-Retter haben gut geblufft, aber das Spiel dennoch verloren.
Quelle: ntv.de